Mit notorischer Unbelehrbarkeit lassen sich Journalisten für sogenannte Enthüllungen einspannen. Die Öffentlichkeit fällt kaum mehr darauf herein, findet finews.ch-Chefredaktor Claude Baumann.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Soviel vorweg: Es geht hier nicht darum, illegale Praktiken zu tolerieren. Es geht auch nicht darum, echte journalistische Recherche-Arbeit zu diffamieren. Doch im Fall der Anfang November publizierten Paradise Papers stimmt einiges nicht.
Wenn insgesamt 13,4 Millionen vertrauliche Dokumente in den Besitz ausgewählter Medien gelangen und diese Informationen angeblich akribisch ausgewertet werden, würde dies den Schluss nahelegen, dass die Welt danach eine andere (bessere?) ist – oder zumindest wüssten wir mehr über die verwerflichen Machenschaften der Hochfinanz, und es würden juristische Schritte eingeleitet.
Doch nicht viel davon ist der Fall. Insofern verwundert es wenig, dass die gross angekündigte Enthüllung angeblicher Betrugspraktiken in einschlägigen Steueroasen auf eine höchst geringe Resonanz gestossen ist. Unter diesen Prämissen gelten die Paradise Papers zweifelsohne als einer der grössten Medien-Flops des Jahres 2017. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
1. Keine echte «Recherche»
Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) behauptet, aufgrund umfangreicher Recherchen Missstände in Sachen Steuerbetrug aufgedeckt zu haben. Tatsächlich wurden dem Netzwerk von anonymer Seite – vermutlich aus den USA – gestohlene Daten einer Anwaltskanzlei und eines Treuhandunternehmens zugespielt. Die Arbeit der Journalisten bestand dann darin, diese Informationen so zu bearbeiten, dass sie im Sinn der Quelle aufbereitet und der medialen Skandalisierung gerecht werden. Dass dabei elementare Prinzipen ignoriert wurden, spielte offenbar keine Rolle (siehe unten).
2. Viele Ungenauigkeiten
Von einer sensationellen Enthüllung kann nicht die Rede sein, weil die Recherche von enorm vielen Ungenauigkeiten und Verwechslungen zeugt. Nur schon der Umstand, dass Steueroptimierung und Steuerbetrug in den Nachforschungen gleichgestellt werden, spricht kaum von grosser Sachkenntnis respektive Seriosität. Zur Erinnerung: Steueroptimierung betreibt auch jeder Schweizer Bürger, der eine 3. Säule hat, was legal ist. Ist er damit ein Krimineller, wie dies das ICIJ in seiner Argumentation nahelegt?
3. Falscher Ansatz
Das ICIJ ging offenbar davon aus, dass die Glaubwürdigkeit der Enthüllungen durch Quantität untermauert würde. Darum wohl publizierte das Netzwerk eine Fülle an Namen (unter anderem George Soros, Madonna, Lewis Hamilton) und Informationen, denen nichts Rechtswidriges anzulasten war. So wurde insinuiert, dass allein der Umstand, in diesen Dokumenten erwähnt zu sein, auf Betrügereien schliessen lässt. In einer Datenfülle von mehr als 13 Millionen vertraulichen Dokumenten ist es statistisch normal, dass auch Rechtsverstösse zum Vorschein kommen. Daraus jedoch Pauschalisierungen abzuleiten, ist fahrlässig.
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