Armin Jans: «Sind die Schweizer Banken krisenfester geworden?»
Im Sog der Finanzkrise musste die UBS mit Steuergeldern gerettet werden. Seither ist viel geschehen. Doch sind die Schweizer Banken heute krisenfester?, fragt Armin Jans in seinem Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
In den vergangenen 120 Jahren gab es in der Schweiz vier Bankenkrisen:
- 1910-1913 verschwanden rund hundert Lokal- und Regionalbanken, die im Zuge der starken Expansion ihrer Kredittätigkeit untragbare Verluste realisierten.
- 1931-1936 litten die damals acht Grossbanken vor allem darunter, dass Deutschland ihre dortigen Guthaben einfror. Der Comptoir d’Escompte Genève wurde geschlossen, fast alle anderen Grossbanken benötigten Bundeshilfe.
- Anfang der 1990er-Jahre kletterte die Inflationsrate auf fast 6 Prozent. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) straffte deshalb die Geldpolitik sehr rasch. Aufgrund des Zinsanstiegs (der Zinssatz für erste Hypotheken erreichte kurzzeitig 7 Prozent) fielen die Preise für Wohnbauten um gut 20 Prozent. Wegen der dadurch entstandenen Verluste ging ein Drittel der Banken, vor allem Lokal- und Regionalbanken, unter. Auch einige Kantonalbanken kriselten, und die Schweizerische Volksbank wurde von der Credit Suisse übernommen. Die Spar- und Leihkasse Thun ging Konkurs und wurde liquidiert.
- 2008 kam es zum Rettungspaket für die UBS, die vor allem aufgrund riskanter Investments in den USA und der globalen Finanzkrise hohe Verluste einfuhr und diese mit ihrer dünnen Eigenmitteldecke nicht auffangen konnte.
Diese Bankenkrisen ereigneten sich in einem jeweils sehr unterschiedlichen regulatorischen Umfeld. Vor 1936 gab es kein Eidgenössisches Bankengesetz und damit auch keine nationale Bankenaufsicht, ebenso wenig einen «lender of last resort» oder einen Einlegerschutz. All dies hat sich mittlerweile geändert. Seit den 1980er-Jahren wurden zudem schrittweise neue internationale Standards für die Eigenmittel erarbeitet. Bis zum Ausbruch der globalen Finanzkrise wurden auf dieser Basis die Regeln von Basel I und Basel II in der Schweiz in nationales Recht umgesetzt.
«Die Schweiz gehörte zu den Staaten, die diese Standards teilweise noch verschärfte»
All dies genügte jedoch nicht, um die Schweiz vor den Auswirkungen der 2007 einsetzenden globalen Finanzkrise vollständig zu schützen. So benötigte die UBS im Oktober 2008 ein staatliches Rettungspaket. Im Nachgang zur Finanzkrise wurden die internationalen Standards bezüglich Eigenmittel, Liquidität und «Too big to fail» vollständig überarbeitet (Basel III).
Die Schweiz gehörte dabei zu den Staaten, die diese am schnellsten übernahmen und sie teilweise noch verschärfte (Swiss Finish). Nicht nur, um zukünftig dem Steuerzahler keine Finanzspritzen für kriselnde systemrelevante Banken anzulasten. Vielmehr ging es darum, der (im internationalen Vergleich) hohen Risikoexposition des Bankensystems Rechnung zu tragen und dessen Widerstandskraft und damit auch dessen Reputation zu stärken. Wurde dieses Ziel erreicht?
«Alle Banken sollten kleinere oder mittlere Krisen aus eigener Kraft bewältigen können»
Generell gilt, dass die seit 2010 eingeführten Regeln von Basel III (mit deutlich höheren Anforderungen an Eigenmittel und Liquidität) wie auch die seit der Finanzkrise markant gesunkenen Interbankverflechtungen die Krisenresistenz der Banken und des Bankensystems klar erhöht haben. Die Antwort auf die Frage muss im Einzelnen aber differenziert werden:
1. Alle Banken sollten kleinere oder mittlere, institutsbezogene Krisen aus eigener Kraft bewältigen können. Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sind gefordert, Strategie, Risikopolitik und Governance ihrer Bank entsprechend zu anzupassen.
2. Falls eine einzelne, nicht systemrelevante Bank von einer existenziellen Krise betroffen würde, kämen zuerst eine Sanierung oder eine Übernahme durch eine andere Bank in Frage. Wäre dies nicht möglich, müsste die Bank aus dem Markt ausscheiden. Das Bankensystem sollte dies aber verkraften.
3. Die Krisenresistenz systemrelevanter Banken soll primär durch erhöhte Eigenmittelpuffer sichergestellt werden. Wäre eine solche Bank trotzdem in ihrer Existenz gefährdet und eine Sanierung (insbesondere ein «bail-in») nicht möglich, kämen die für diesen Fall erstellten Notfallpläne zur Anwendung. Damit müsste sichergestellt werden, dass die Bank die für die schweizerische Kundschaft und Wirtschaft grundlegenden Dienstleistungen (Kontoführung, Zahlungsverkehr, Kreditversorgung) weiterhin erbringen kann.
«In diesem Fall wäre der Staat gefordert»
Die systemrelevanten Banken müssen dafür spezielle Eigenmittel halten («gone-concern capital»). Die nicht systemrelevanten Teile der Bank würden liquidiert. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) steht hier in der Pflicht, sie hat den von jeder systemrelevanten Bank zu erstellenden jährlich zu aktualisierenden Notfallplan zu genehmigen und eine allfällige Umsetzung eng zu überwachen. Zu beachten ist ausserdem, dass die Zielanforderungen für die Eigenmittel erst ab Ende 2019 (unter Berücksichtigung der neuen Berechnungsmethoden für die risikogewichteten Aktiven erst ab 2027) erfüllt werden müssen.
Die Notfallpläne müssen ab 2020 operativ sein. Zumindest während der Übergangsfristen kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass sich der Staat und damit der Steuerzahler finanziell engagieren müsste, um einen Zusammenbruch zu vermeiden.
4. Falls nicht einzelne Banken, sondern das Bankensystem als Ganzes von einer grossen Krise betroffen wäre, könnte dies seine Widerstandskraft übersteigen. In diesem Fall wäre der Staat gefordert, um einen Systemzusammenbruch und die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Schäden zu vermeiden.
Insgesamt gilt, dass die Schweizer Banken und ihr Bankensystem dank der neuen Regulierung deutlich krisenresistenter geworden sind. Ein Vorbehalt ist anzubringen. Kein noch so durchdachtes Regelwerk ist garantiert krisenfest. Rechtliche Vorschriften orientieren sich zudem primär an vergangenen Krisen. Ob sie auch zukünftigen Herausforderungen (Cyberwar, Kryptowährungen, Schattenbanken) gewachsen sind, bleibt offen.
Armin Jans war bis 2014 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur; Bankrat der Schweizerischen Nationalbank von 1999 bis 2011 sowie der Zuger Kantonalbank von 2003 bis 2014. Er ist Mitherausgeber des kürzlich im NZZ-Verlag erschienenen Buches: «Krisenfeste Schweizer Banken? Die Regulierung von Eigenmitteln, Liquidität und Too big to fail».
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Nuno Fernandes, Richard Egger, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Brigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Kinan Khadam-Al-Jame, Robert Hemmi, Anton Affentranger, Yves Mirabaud, Hans-Martin Kraus, Gérard Guerdat, Didier Saint-Georges, Mario Bassi, Stephen Thariyan, Dan Steinbock, Rino Borini, Bert Flossbach, Michael Hasenstab, Guido Schilling, Werner E. Rutsch, Dorte Bech Vizard, Adriano B. Lucatelli, Katharina Bart, Maya Bhandari, Jean Tirole, Hans Jakob Roth, Marco Martinelli, Beat Wittmann, Thomas Sutter, Tom King, Werner Peyer, Thomas Kupfer, Peter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Claude Baumann, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert und Marionna Wegenstein.