Banken-Veteran: «In Singapur wäre die UBS nicht mehr dieselbe»
Rodolfo «Rudi» Bogni blickt auf eine ebenso lange wie bemerkenswerte Bankkarriere zurück – und ist gedanklich doch ganz in der Gegenwart. Im Gespräch mit finews.ch im Londoner Athenaeum Club spricht der frühere Private-Banking-Chef der UBS über die Rolle der Schweiz in der Welt, die Herausforderungen für das Private Banking und seine anhaltende Skepsis gegenüber Kryptowährungen. Bogni äussert sich auch zur aktuellen Debatte über einen möglichen Wegzug von UBS aus der Schweiz.
finews.ch traf den aus Italien stammenden Banker Rudi Bogni an einem seiner bevorzugten Aufenthaltsorte in London: dem Athenaeum Club, dessen Mitglied er seit fast drei Jahrzehnten ist. Später an diesem Tag nimmt der 77-Jährige an einer Bitcoin-Veranstaltung im Club teil – sein Interesse an finanziellen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist ungebrochen.
Wir sitzen ihm gegenüber im ehrwürdigen «Drawing Room» des Clubs – einem ausgesprochen grosszügigen Salon. Dahinter liegt die eindrückliche Bibliothek des Hauses, eine hunderte Jahre alte Sammlung von intensiv gelesenen Bänden, viele davon im abgwetzten Ledereinband. Der Athenaeum Club selbst strahlt genau diese Atmosphäre aus: eine unverkennbare, in Würde gealterte Eleganz, durchdrungen von historischer Patina und Intellekt.
Bognis Karriere umspannt die wohl spannendsten Jahrzehnte des modernen Bankwesens. In den 1990er-Jahren leitete er das UK-Geschäft des damaligen Bankvereins – heute UBS –, in einer Phase mutiger Expansion ins Derivatgeschäft und der spektakulären Übernahme von Warburg. Von 1997 bis 2000 war er Chef der globalen Vermögensverwaltung der Schweizer Bankengruppe.
Im Gespräch spricht der ehemalige Banker über das Schweizer Bankwesen, die Rolle von UBS, Bitcoin – und seine wachsenden Sorgen über den Zustand der westlichen Welt.
Herr Bogni, Sie wurden in Italien geboren, haben Ihre Karriere in London gemacht und leben heute zwischen Grossbritannien und Bottmingen bei Basel. Wie sehen Sie die Schweiz heute?
Die Schweiz ist und bleibt ein grossartiges Land. Was jedoch oft verklärt wird, ist das Konzept der Souveränität – eine solche existiert heute kaum noch. Selbst Donald Trumps Versuche, die Weltwirtschaft zu entkoppeln, werden langfristig keinen nachhaltigen Effekt haben. Die Schweizer Wirtschaft war schon immer zweigeteilt: Ein Bein steht in der Eurozone – mit KMU, die im Umkreis von 400 Kilometern tätig sind; das andere Bein ist mit dem Dollar verknüpft – hauptsächlich die Finanz- und Pharmaindustrie.
Diese beiden Welten müssen politisch miteinander auskommen, was natürlich Spannungen erzeugt. Die Kohäsion der Schweizer Gesellschaft – trotz dieser Spannungen – macht ihre Stärke aus. Sie erlaubt es der Schweiz, eine weit überproportionale Rolle in der Welt einzunehmen. Aber diese Kohäsion muss bewahrt werden. Sie ist über Jahrhunderte gewachsen und nicht garantiert – kleinliche Debatten über Managerlöhne von Bankern helfen da wenig.
Als ehemaliger Private Banker: Wie erklären Sie die langfristige Aufwertung des Schweizer Frankens?
Vertrauen. Das setzen die Menschen in den Franken – nicht nur ins Finanzsystem, sondern ins ganze Land. Andere Länder mögen gute Ratings haben, aber sie geniessen nicht dasselbe, breit gefasste Vertrauen. Politische Stabilität spielt dabei eine grosse Rolle. Natürlich bringt die Aufwertung Herausforderungen für Finanzinstitute mit sich – die Kostenbasis fällt in Franken an, die Erträge aber in Euro oder Dollar.
Die SNB bewegt sich wieder Richtung Nullzinsen. Wo ziehen Sie die Grenze?
Null ist in Ordnung. Darunter wird es problematisch. Ich war immer der Meinung, dass Zentralbanken negative Zinsen vermeiden sollten. Sie signalisieren Panik – und das bringt die Leute dazu, über einen Plan B nachzudenken. Aber es gibt keinen Plan B – schon gar nicht für die Schweiz.
«Die Schweiz muss für die neuen Vermögensbildner relevant bleiben.»
Ein funktionierender Markt findet immer seinen Weg. Wenn man auf die USA in den letzten Jahren schaut, so folgten die Zinsen grösstenteils dem Markt – ausser in Phasen, in denen die Fed auf Sonderinstrumente zurückgriff oder technische Probleme wie den Repo-Schock anzugehen hatte. Dem Markt Luft zu lassen ist besser, als ihn zu kleinteilig zu steuern.
Kommen wir zum Schweizer Private Banking. Es hat in den letzten Jahren an globalem Marktanteil verloren.
Es gab im Private Banking immer zwei Modelle: das amerikanische, basierend auf Brokerage – mit dem Ziel, Aktivität und Gebühren zu generieren, unabhängig vom Kundennutzen. Und das Schweizer Modell. das ganz auf die Beratung zentriert war, mit dem Kundeninteresse im Zentrum. Wenn Banken sich davon entfernen und ihr eigenes Geschäftsvolumen vor den Kunden stellen, wird es gefährlich.
Das ist nämlich nicht die Grundlage des Schweizer Private Bankings. Dessen Fundament war nie das Bankgeheimnis: Vertrauen war es. Als ich bei der UBS war, habe ich mich dafür eingesetzt, weltweit Buchungszentren zu eröffnen, um steuerkonforme Kunden besser zu betreuen. Wahrscheinlich war ich zu früh dran – vielleicht hat es mich auch den Job gekostet. Aber heute, mit dem veränderten steuerlichen Umfeld, kann man Kunden aus aller Welt direkt von der Schweiz aus bedienen.
Das globale Vermögenswachstum findet ja nicht zuvorderst in der Schweiz statt.
Das ist der entscheidende Punkt. Heute entsteht neues Vermögen vor allem in den USA und Asien. Europa stagniert, insbesondere im Technologiesektor. Was früher 30 Prozent der Marktkapitalisierung ausmachte, beträgt heute unter 10 Prozent. Die Schweiz muss für diese neuen Zentren der Vermögenswachstums relevant bleiben – und das heisst unter Umständen, auch kulturell und geografisch weiterzudenken.
«Wir galten eher als Piraten denn als Gnomen.»
Könnte die Schweiz jemanden wie Elon Musk anziehen?
Wahrscheinlich nicht. Er ist stark auf die USA fokussiert. Aber die nächste Generation? Ja. Die Kinder der amerikanischen und asiatischen Milliardäre sind weniger in den Aufbau des Vermögens eingespannt und vielleicht auch kulturell offener. Die könnten sich für das Schweizer Private-Banking-Angebot interessieren.
Zurzeit kursieren Gerüchte, dass die UBS wegen zunehmendem politischen Druck die Schweiz verlassen könnte.
Für mich ist das schwer vorstellbar. Das Image der Bank ist untrennbar mit dem Vertrauen verknüpft, das die Schweiz als Land geniesst. Die UBS – insbesondere ihr Private Banking – wäre nicht dieselbe, wenn sie in London, Singapur oder New York ansässig wäre.
Zurück zu Ihrer Karriere: Als Sie 1990 bei der UBS in London begannen, damals noch Bankverein genannt, schrieb das Büro Verluste. Wie gelang die Wende?
Es war Teil einer grösseren Transformation. Als ich das Londoner Büro leitete, trieb Marcel Ospel mit dem Kauf von O’Connor in Chicago den Einstieg ins Derivategeschäft voran. Wir übernahmen dort auch einen Vermögensverwalter und holten wichtige Leute nach London. Wir ersetzten einen Grossteil des alten Teams – das vor allem auf kleinere Kredite fokussiert war – durch hochkarätige Investmentbanker. Und 1994 kauften wir Warburg.
Wie reagierte das britische Establishment? Wurden Schweizer Banker nicht gerne als «Gnomen» verspottet?
Das haben wir nie direkt gespürt. Der alte Bankverein wollte Teil des Establishments werden. Aber wir nicht, wir galten eher als Piraten denn als Zwerge. Wir machten mutige Deals etwa M&A-Transaktionen auf Basis von Differenzkontrakten, was damals völlig neu war. Der Kauf von Warburg wurde als Kapitulation der britischen Finanzelite wahrgenommen.
«In Wahrheit trifft kaum jemand Lebensentscheidungen nur wegen Steuern.»
Sie sind London treu geblieben. Was zieht Sie an der Stadt an?
London ist endlos anregend: Musik, Theater, intellektuelles Leben. Selbst spontan kann ich noch ein Konzert am Royal College of Music besuchen. Im Club liebe ich die lange Tafel: Man setzt sich und sitzt plötzlich neben einem Ex-Botschafter, einem Philosophen oder einem Venture-Capital-Investor. Echte Vielfalt im Denken, nicht nur im persönlichen Hintergrund.
Erzählen Sie mehr über diese lange Tafel.
Sie ist wie ein Stammtisch. Keine Reservation – einfach erscheinen, hinsetzen, reden. Daraus kann alles entstehen. Der Club zählt über 50 Nobelpreisträger zu seinen historischen Mitgliedern. Ich bin erst nach meinem Weggang von der UBS beigetreten – nachdem Frauen als Mitglieder zugelassen wurden. Zuvor fand ich diese alte Regel etwas seltsam.
Wie sehen Sie das heutige Vereinigte Königreich? Es heisst, viele Reiche verlassen das Land.
Jedes Mal, wenn die Non-Dom-Steuerdebatte aufkommt, geraten die Leute in Panik. Aber in Wahrheit trifft kaum jemand Lebensentscheidungen nur wegen der Steuern. Ja, einige Russen sind gegangen, aber im Allgemeinen schätzen vermögende Personen die Lebensqualität in Grossbritannien weiterhin. Die grössere Herausforderung ist die Migration. Grossbritannien ist stark auf Zuwanderung angewiesen – vor allem bei dei den Universitäten. Der jüngere Wandel von osteuropäischer zu südasiatischer Migration hat das Sozialsystem eher belastet.
«Manchmal verlange ich Bargeld – nur um die Bank zu ärgern.»
Wie blicken Sie langfristig auf die Welt – sind Sie pessimistisch?
Die Demografie bereitet mir am meisten Sorgen. Wenn die Geburtenraten weiter sinken, könnte Europa in einer Generation die Hälfte seiner Bevölkerung verlieren. China steht vor dem gleichen Problem. Eine alternde, schrumpfende Bevölkerung braucht Renten, Gesundheitsversorgung – und doch bröckelt die wirtschaftliche Basis, die das finanzieren soll. Gleichzeitig denkt die Politik nur zwölf Monate oder bis zur nächsten Wahl. Wir brauchen internationale Kooperation – aber sie fehlt. Also ja, ich bin etwas pessimistisch. Wobei: Wer wirklich pessimistisch ist, hört auf zu leben.
Zum Schluss: Bitcoin. Beim letzten Gespräch mit finews.ch sagten Sie, Sie hätten lieber Gold in der Tasche. Gilt das noch?
Absolut. Ich bin überzeugt, dass wir digitale Zentralbankwährungen brauchen – sie werden zu einem grundlegenden Bestandteil einer modernen Infrastrukturen. Aber mit Kryptowährungen habe ich Mühe. Es fällt mir bereits schwer, staatlichen Währungen zu vertrauen – wie soll ich dann etwas Metaphysischem vertrauen, das auf der Grundlage von «Bits oder keine Bits» vertrauen? Das ist nichts für mich. Aber ich verstehe, dass andere spekulieren oder investieren wollen – und wünsche ihnen Glück.
Digitale Zentralbankwährungen gelten als problematisch mit Blick auf neue Überwachungsmöglichkeiten seitens des Staates.
Das ist ein reales Risiko – besonders in autoritären Staaten wie China. Aber totale Überwachung ist nicht realistisch – sie wird auf der Grundlage von Algorithmen und regelbasiert erfolgen. Wer zu viel Glücksspiel betreibt, wird automatisch sanktioniert. Das ist automatisierte Durchsetzung, keine individualisierte Kontrolle. Schon heute sind auch in Demokratien gewisse Eingriffe an der Tagesordnung.
Zum Beispiel hier in Grossbritannien: Wenn man 4’000 Pfund in bar verlangt, wird man gleich ausgefragt. Angeblich wegen Geldwäscherei- oder Betrugsprävention. Manchmal verlange ich absichtlich Bargeld – nur um sie zu ärgern. Wenn sie fragen, wofür ich das Geld brauche, sage ich: «Damit Sie nicht wissen, wofür ich es ausgebe.»
Der 77-jährige Italiener Rodolfo «Rudi» Bogni lebt heute in London und Basel. Seine Bankkarriere begann er Anfang der 1970er bei der Chase Manhattan Bank. Später war er Finanzchef der Midland Bank, Leiter der UBS in London und schliesslich CEO des globalen Private Banking der UBS. Über zwanzig Jahre war er Verwaltungsrat bei Kedge und Waypoint (Bertarelli-Familie) und trat Ende 2024 aus den Stiftungsräten verschiedener fürstlicher Stiftungen Liechtensteins zurück, darunter jener der LGT-Gruppe. Bogni war Mitglied des Leitungsgremiums des CSFI (Centre for the Study of Financial Innovation), Vorsitzender des Beirats von Oxford Analytica sowie Mitglied des des Council of Shakespeare’s Globe Theatre. Zudem ist er Mitglied des Securities Institute der London Mathematical Society und der Vereinigung Basler Ökonomen.