«Wir erleben einen notwendigen Bereinigungsprozess»
Der Gegenwind für die Branche, die Gelder gemäss ESG-Kriterien nachhaltig anlegen will, hat in den letzten Monaten stark zugenommen, nicht nur wegen Donald Trump. Wie hat sich der Markt angepasst, und wie nehmen die Akteure selber die Veränderungen wahr? Zwei Gründer eines auf Nachhaltigkeit spezialisierten Schweizer Startups geben finews.ch Auskunft.
Vor knapp vier Jahren ist die Zürcher Finanzboutiqe ESG-AM geboren worden. Sie hat sich auf Anlagen im Anleihenbereich (Anlagequalität und hochverzinsliche Schuldner) spezialisiert, wobei die Nachhaltigkeit (ESG, also ökologische, soziale und Governance-Kriterien) eine zentrale Rolle spielt. Sie bietet verschiedene in Luxemburg zugelassene Anleihenfonds in Dollar, Euro und Franken an und bedient ausschliesslich institutionelle Kunden wie Pensionskassen und Versicherungen in der DACH-Region.
Seit Anfang dabei sind CEO Philipp Good und Peter Jeggli, Leiter Portfoliomanagement. Beide bringen mehrere Jahrzehnte Finanzmarkterfahrung mit. Good war Performanceanalyst bei Credit Suisse Asset Management, wechselte dann zu Fisch Asset Management, wo er zuletzt CEO war. Jeggli startete als Bonitätsanalyst bei der Credit Suisse, war dann Mitgründer von Independent Credit View (einer unabhängigen Bonitäts- und Research-Gesellschaft) und später Fondsmanager bei Fisch Asset Management.
Haben sich die Erwartungen, welche die Gründer von ESG-AM 2021 hegten, erfüllt? Welche Auswirkungen hat die mit Donald Trumps Amtsantritt zunehmende Skepsis gegenüber ESG auf die Schweizer Industrie? finews.ch fühlte den beiden auf den Zahn.
Meine Herren, Sie verwalten in Ihren Fonds derzeit Vermögen von rund 400 Millionen Franken. Sind Sie damit zufrieden, oder hätten Sie sich nicht doch mehr erhofft?
Good: Seit Erhalt der Finma-Lizenz sind wir nun seit drei Jahren operativ tätig. Natürlich war unsere Vision damals deutlich grösser, jedoch sind wir mit der aktuellen Entwicklung sehr zufrieden. Unser Track Record ist ausgezeichnet, d.h., unsere Portfolios berücksichtigen die höchsten Nachhaltigkeitskriterien, ohne dass bei der finanziellen Performance Einbussen in Kauf genommen werden mussten. Bei den Prozessen und beim Set-up konnten wir sozusagen auf der grünen Wiese starten und auf neuesten Cloud-Technologien und Erkenntnissen aufbauen. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass bei uns die Nachhaltigkeits- und die Bonitätsanalyse strikt getrennt und unabhängig voneinander getätigt werden. Das erlaubt eine tiefe Analyse und eine ganzheitliche Betrachtung der einzelnen Unternehmen.
Und können Sie auch mit den 400 Millionen Franken zufrieden sein?
Good: Ja, weil wir ohne Ankerinvestoren gestartet sind und trotz des schwierigen makroökonomischen Umfeldes in den letzten drei Jahren sehr viel an Assets einsammeln konnten. Normalerweise braucht es mehr Zeit und Geduld, bis Ihnen institutionelle Investoren Assets anvertrauen. Aber ja, grundsätzlich ist es ein Marathonlauf.
Haben Sie mit dem Thema Nachhaltigkeit nicht aufs falsche Pferd gesetzt? In den letzten drei Jahren hat sich der Gegenwind laufend verstärkt. Zuerst kamen die Greenwashing-Vorwürfe, welche die Glaubwürdigkeit der Branche erschütterten, die Regulierung in dem Bereich ist zu einem Dschungel geworden, und der Rückschlag für ESG in den USA nimmt immer grössere Ausmasse an; Versicherungen und Banken verabschieden sich aus Klimaallianzen, Unternehmen streichen oder stufen Diversitätsziele herab.
Good: Die Euphoriephase ist definitiv vorbei, was meiner Meinung nach sehr positiv zu bewerten ist. Denn jetzt zeigt sich, wer mit Überzeugung dabei ist und wer nicht. Für uns ist es klar, dass Klimafragen zentral bleiben. Wir stellen diesbezüglich bei Institutionellen kein Umdenken fest. Gerade Versicherer sind aufgrund der Natur ihres Geschäfts für diese Thematik sensibilisiert. Bei den Pensionskassen zählt ein Viertel zu den Pionieren, 50 Prozent schwimmen mit, der Rest kümmert sich kaum um ESG. Auch das S bleibt weiterhin relevant. Wer beispielsweise mit seinen Anlagen Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt, riskiert einen grossen Reputationsschaden. Ich bin überzeugt, dass auch die brisante Frage der Verteilung von Vermögen und Einkommen global weiterhin von grosser Bedeutung bleibt. Den Backlash hat die Branche teilweise selbst verschuldet, durch hohle Versprechungen in der Vergangenheit. Was wir jetzt erleben, ist ein notwendiger Bereinigungsprozess. Aber die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird nicht geringer, die Kunden haben heute deutlich mehr Verständnis und Wissen als früher.
«Die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird nicht geringer, die Kunden haben deutlich mehr Verständnis als früher.»
Und die Regulierung?
Good: Sie ist in Europa schon teilweise übertrieben kleinteilig. Aber bei der EU gibt es Anzeichen, dass sie sich mehr auf das Wesentliche konzentrieren will, was positiv wäre.
ESG heisst doch, dass das Anlageuniversum eingeschränkt wird, was auch den Verzicht auf Chancen bedeuten kann. Wie stark engen Sie sich selber ein?
Jeggli: Wir starten mit dem Barclays Global Aggregate Bond Index, einem Referenzwert mit über 20'000 Investment-Grade-Anleihen. Dazu kommen hochverzinsliche Anleihen für unsere High-Yield-Produkte und Wandelanleihen für die Multi-Credit-Fonds. Unser Universum schrumpft von Beginn weg aufgrund von Ausschlusskriterien um 20 Prozent. Dann kommt die positive Auswahl, die wir auf Basis unserer Analysen vornehmen. Wir wählen diejenigen Schuldner aus, die bezüglich der Schlüsselfaktoren, der Key Performance Indikatoren (KPI), wie z.B. CO2-Ausstoss überdurchschnittlich abschneiden. Insgesamt halbiert sich damit das Anlageuniversum, was branchenüblich ist. Wir haben es trotzdem geschafft, den Markt auch bei der finanziellen Performance zu schlagen.
Schliessen Sie Unternehmen bloss aus, oder setzen Sie sich auch für einen Wandel der Geschäftsmodelle ein?
Good: Wir engagieren uns gemeinsam mit anderen Vermögensverwaltern bei entsprechenden Initiativen. In bestimmten Fällen treten wir selbst in den Dialog mit Unternehmen und erklären, weshalb Daten lückenhaft sind oder die Nachhaltigkeitsperformance mangelhaft ausfällt, und was genau dagegen getan werden könnte. Dieses Feedback wird in der Regel sehr positiv aufgenommen.
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