Konjunktursignale setzen Kontrast zum Zinsentscheid

Im Bild, das die Delegierten der Nationalbank für regionale Wirtschaftskontakte nach ihren Gesprächen mit Schweizer Unternehmen gemalt haben, dominieren die hellen Farbtöne. Auch die Geschäftsaussichten werden positiv eingeschätzt. Die SNB muss andere Gründe für die jüngste Zinssenkung gehabt haben als die Stimmung in der Wirtschaft.

Vor einer Woche hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Leitzins erneut gesenkt – diesmal von 0,5 auf 0,25 Prozent. Martin Schlegel, Präsident des für die Geldpolitik verantwortlichen Direktoriums, hatte den Schritt u.a. damit begründet, dass Zuwarten nichts bringe.

Etliche Ökonomen waren im Vorfeld wankelmütig geworden, ob die SNB den 2024 eingeläuteten Senkungszyklus fortführen würde. Denn der Franken hatte sich v.a. zum Euro spürbar abgeschwächt, und auch die US-Notenbank ist vorsichtiger geworden und verzichtet auf eine weitere Lockerung.

Vorbeugen oder Vergeuden?

Zudem wurde damit argumentiert, dass ein gewisses Polster zur Nullzinsgrenze nützlich sein könnte, um künftig noch etwas Handlungsspielraum zu bewahren und möglichst nicht zu Negativzinsen zurückkehren zu müssen. Negativzinsen sind – etwas drastisch  ausgedrückt – ein Instrument, das wider die Natur des aktuellen Finanzsystems ist und bergen entsprechend ein hohes langfristiges Schadenspotenzial.

Raiffeisen-Analyst Alexander Koch schlägt in diese Kerbe. In einem Kommentar unter dem Titel «Vorbeugen oder Vergeuden» zeigt er zwar Verständnis für die Argumentation der SNB, stellt aber zugleich fest: «Für den Fall, dass sich die sehr hohe handels- und geopolitische Unsicherheit in diesem Jahr stärker negativ materialisiert, könnte sich das vorbeugende Handeln doch als Vergeudung von Handlungsspielraum herausstellen.»

Wahrscheinlichkeit für Negativzinsen gestiegen?

Und weiter: «Während die Senkung die monetären Bedingungen kaum verbessert haben dürfte, hätte eine Pause unseres Erachtens auch kaum etwas ‹gekostet›. Sie hätte zumindest einen etwas grösseren Handlungspuffer bedeutet, sollten die Zolleffekte heftiger ausfallen und der Franken wieder zur Stärke neigen.» Für Koch ist damit die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass die SNB im Negativszenario auf Negativzinsen zurückgreifen muss.

Auch wenn die Protokolle der Beratungen zur geldpolitischen Lagebeurteilung (im Gegensatz zur Medienmitteilung und zu den Ausführungen des Direktoriums bei der Vorstellung des Entscheids) nicht öffentlich sind, darf man davon ausgehen, dass dieser Aspekt auch SNB-intern eingehend abgewogen und behandelt wurde.

Welche Signale sendet die Wirtschaft?

Wer die Motive hinter der Geldpolitik der SNB wirklich ergründen will, sollte daneben auch das Quartalsheft beachten, das die SNB jeweils ein paar Tage nach der Präsentation ihres geldpolitischen Entscheides publiziert. Es enthält u.a. den Bericht «Konjunktursignale», der, in Anlehnung an das bekannte Beige Book der US-Notenbank Fed und wegen der Corporate-Design-Farbe der Schweizer Währungshüter, auch Blue Book genannt wird.

Der am Mittwoch veröffentlichte Bericht basiert auf Informationen, welche die Delegierten für regionale Wirtschaftskontakte in Gesprächen mit Unternehmensleitungen in der ganzen Schweiz zusammengetragen haben. Insgesamt wurden von Januar bis März 241 Unternehmensgespräche geführt und ausgewertet. Das Blue Book mit seinen oft «handfesten» Argumenten bildet für das Direktorium eine wichtige Ergänzung zu den sonst doch eher modell- und damit theorielastigen Entscheidungsgrundlagen.

«Gut entwickelt«, «solide, «dynamisch»

Diesmal allerdings ist die Tonalität im Blue Book ziemlich aufgehellt – und steht damit in einem gewissen Kontrast zur Zinssenkung. So hat die Wachstumsdynamik im ersten Quartal 2025 insgesamt zugenommen, die Unternehmen verzeichnen einen «soliden Anstieg» der Umsätze. Gut entwickelt haben sich ausserdem die Gewinnmargen der Unternehmen. Sie sind gegenüber dem Vorquartal gestiegen und bewegen sich auf «solidem Niveau», wozu auch die Frankenabschwächung beigetragen hat.

Selbst in der Industrie, die seit einiger Zeit als Sorgenkind gilt, stellt die SNB eine «gewisse Belebung» fest. Die Nachfrage in Europa hat sich verbessert, diejenige in den USA bleibt dynamisch. Insbesondere Medizinaltechnik- und Pharmaunternehmen berichten davon; sie profitieren zudem von der hohen Nachfrage nach «Schlankmachern» der jüngsten Generation. Und auch Asien wird – abgesehen von China – positiv erwähnt.

Welche Branchen weiterhin darben

Naturgemäss gibt es einige «Ausreisser». Die Auftragslage bei den Zulieferern der deutschen Automobilindustrie, bei der Uhrenindustrie und in der Chemiebranche bleibt schwach. Immerhin gehen die Umsätze nicht weiter zurück.

Im lange lahmenden Fahrzeughandel werden zwar wieder mehr Autos verkauft – gedämpft bleibt allerdings die Nachfrage nach fahrbaren Untersätzen mit Elektroantrieb. 

Starker Bau und vom Schnee verwöhnte Hotellerie

Unverändert vital präsentiert sich der Bausektor, wo die hohe Nachfrage nach öffentlicher Infrastruktur unterstützend wirkt. Und beim Wohnungsbau zeichnet sich eine verbesserte Auftragslage ab.

Selbst das Wetter findet im SNB-Bericht positive Erwähnung. Die Hotellerie habe in den Wintersportgebieten von den «guten Wetter- und Schneebedingungen» profitiert.

Für Finanzmarktbeobachter wenig überraschend kommt die Feststellung, das bei den Banken die Kundeneinlagen als «umkämpft» wahrgenommen werden, d.h., beim Zinsgeschäft ein «gewisser Margendruck» besteht.

Handwerker und Techniker bleiben gesucht

Der Arbeitsmarkt scheint im Gleichgewicht zu sein. Der Personalbestand entspreche ungefähr dem Bedarf der Unternehmen, hält die SNB fest. Auch hier gibt es Ausnahmen. Während die Unternehmen bei kaufmännischen Berufen genügend geeignete Bewerbungen erhalten, bestehen bei technischen und handwerklichen Berufen, in der Gastronomie, Hotellerie im Gesundheitssektor und in der Bauwirtschaft Engpässe. Insgesamt haben die Rekrutierungsschwierigkeiten aber im Vergleich zu den Vorjahren abgenommen.

Wer darauf gesetzt hat, dass sich zumindest bei der Einschätzung der Geschäftsaussichten Hinweise finden, welche die Notwendigkeit einer Zinssenkung untermauern, wird enttäuscht. Die Zuversicht der Unternehmen für die kommenden Quartale hat nämlich zugenommen; sie erwarten für die kommenden zwei Quartale ein «solides Umsatzwachstum».

Erwartbar: Erhebliche Unsicherheit

Dass die Unsicherheit «erheblich» ist und «besonders» die Handelspolitik der US-Regierung belastend ist, kann nicht überraschen. Und dass in diesem Umfeld die Unternehmen die Ausrüstungsinvestitionen nur verhalten erhöhen, liegt ebenfalls in der Bandbreite des Erwarteten. Bei der Vorstellung ihres jüngsten Entscheids hat die SNB denn auch mehrfach auf die hohen «globalen Unsicherheiten» rekurriert.

Ebensowenig lässt sich die Zinssenkung aus den Inflationserwartungen zwingend herleiten. Diese Erwartungen sind nämlich nur leicht gesunken, liegen aber weiterhin klar im Bereich, den die SNB mit Preisstabilität gleichsetzt.

Fazit: Die im Bericht «Konjunktursignale» zusammengetragenen Fakten und Auswertungen hätten diesmal eigentlich keine Zinssenkung nahegelegt. Aber auch das ist ein Erkenntnisgewinn: Das Direktorium muss für seinen jüngsten Entscheid andere (und hoffentlich gute) Gründe gehabt haben.