Bargeld: Befinden wir uns schon in der Negativspirale?
In der Schweiz wird immer mehr ohne Bargeld bezahlt. Aber eine grosse Mehrheit der Bevölkerung will weiterhin, dass Noten und Münzen akzeptiert und eingesetzt werden können. Kryptowährungen spielen als Zahlungsmittel eine Statistenrolle.
In der Coronakrise wurden die Bürger von Bundesbern dazu aufgerufen, wenn immer möglich von der Verwendung von Bargeld abzusehen. Grund dafür war die angebliche Infektionsgefahr beim Kontakt mit Banknoten und Münzen – eine Annahme, die schon damals auf sehr wackeligen Beinen stand und sich in der Zwischenzeit als haltlos erwiesen hat.
Die Anbieter von bargeldlosen Zahlungssystem haben die Gunst der Stunde genutzt – Corona (bzw. der Umgang damit) ist zwar nicht die Ursache, aber ein wichtiger Katalysator, der die Abkehr vom Bargeld hin zu anderen Zahlungsformen beschleunigt hat. Vor diesem Hintergrund führt die Schweizerische Nationalbank (SNB) regelmässig eine Erhebung unter Privatpersonen zum Zahlungsverhalten und zur Zahlungsverkehrsinfrastruktur (Zahlungsmittelumfrage) durch – die erste Umfrage datiert allerdings bereits von 2017.
Die Ergebnisse der vierten Zahlungsmittelumfrage hat die SNB am Dienstag publiziert. Sie basieren auf den Angaben von 2'000 Personen mit Wohnsitz in der Schweiz, die im Herbst 2024 telefonisch oder per Online-Fragebogen zu ihrem Zahlungsverhalten befragt wurden und zusätzlich während einer Woche ihre alltäglichen Zahlungen in einem Zahlungstagebuch erfassten.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus Sicht der SNB lauten:
- Bei Zahlungen vor Ort (Präsenzgeschäft) verschiebt sich die Zahlungsmittelnutzung weiter von Bargeld zu bargeldlosen Zahlungsmitteln. Die Debitkarte ist neu das am häufigsten verwendete Zahlungsmittel. Insbesondere Bezahl-Apps gewinnen weiter an Beliebtheit und werden mittlerweile an Verkaufspunkten vor Ort bei fast jeder fünften Zahlung eingesetzt.
- Gleichwohl möchten 95 Prozent der Bevölkerung, dass Bargeld weiterhin als Zahlungsmittel zur Verfügung steht.
- Die befragten Personen sind im Besitz einer Vielzahl von Zahlungsmitteln – davon setzen sie im Alltag durchschnittlich drei unterschiedliche regelmässig ein.
- Die eingeschränkte Akzeptanz einzelner Zahlungsmittel und technische Störungen führen nur selten dazu, dass Zahlungen nicht zustande kommen. Bei solchen Erschwernissen kommt oft Bargeld als alternatives Zahlungsmittel zum Einsatz.
- Die Befragten beobachteten in den letzten zwei Jahren einen Rückgang der Möglichkeiten, Bargeld zu beziehen. Das wirkt sich auf die Zufriedenheit mit dem Zugang zu Bargeld aus – diese ist seit der letzten Erhebung im Jahr 2022 rückläufig. Mit den Möglichkeiten, Bargeld einzuzahlen, zeigt sich ein Fünftel der Befragten unzufrieden.
Dazu einige weiterführende Details aus dem Bericht und Interpretationen von finews.ch:
- Der Rückgang der Bargeldnutzung im Präsenzgeschäft, der sich unschwer auch im Alltag beobachten lässt, ist dramatisch. Wurde Bargeld 2017 noch bei 70 Prozent aller Transaktionen eingesetzt, beträgt der Anteil 2024 noch 30 Prozent. Ältere Personen und solche mit tieferen Einkommen nutzen Bargeld überdurchschnittlich.
- Immerhin liegt das Bargeld in der Kategorie Zahlungen an Privatpersonen ex aequo mit Bezahl-Apps (je 44 Prozent). Und in der Auswertung nach Zahlungszweck liegt es bei kleinen Händlern, Dienstleistungen ausser Haus und (was aufgrund eigener Beobachtungen eher überraschend kommt) auch in der Gastronomie an der Spitze.
- Aufschlussreich sind die Angaben zum künftigen Zahlungsverhalten: Ein Grossteil der Befragten will Bezahl-Apps noch häufiger nutzen.
- Und für die Kryptogemeinde: Der Anteil der Eigentümer von Kryptowährungen und Stablecoins hat gegenüber der letzten Umfrage von 2022 (als diese Thematik erstmals abgedeckt wurden) fast verdoppelt, auf knapp 10 Prozent. Allerdings werden Bitcoin & Co. weiterhin kaum als Zahlungsmittel eingesetzt.
- Bemerkenswert ist, dass der Anteil derjenigen, die Bargeld auch künftig nutzen möchten (und es bereits heute tun) gegenüber 2022 noch gestiegen ist. Selbst bei denjenigen, die angeben, Bargeld selber nicht mehr zu benötigen, will eine klare Mehrheit, dass grundsätzlich weiterhin mit Noten und Münzen bezahlt werden kann. Die Zahl der Befürworter einer Abschaffung von Bargeld hat von tiefem Niveau leicht zugenommen.
- Für den Zugang zu den Zahlungsmitteln ist die entsprechende Infrastruktur entscheidend. Und hier haben die Anstrengungen der Anbieter Früchte getragen. Die Zahl der Befragten, die über bargeldlose Zahlungsinstrumente verfügen, nimmt kontinuierlich zu. Über 90 Prozent haben Debitkarten oder einen Onlinezugang und 80 Prozent Bezahl-Apps.
- Demgegenüber wird das Bezugsnetz für Bargeld kritischer beurteilt. Nur noch 88 Prozent (2022:92) sind damit zufrieden. Immerhin 43 Prozent gehen mit offenen Augen durch die Welt und haben gemerkt, dass die Möglichkeiten, Bargeld zu beziehen, abgenommen haben.
- Fast 80 Prozent nehmen an, dass Bargeld für den Händler das günstigste Zahlungsmittel ist. Aber nur für jeden Dritten spielt dieser Aspekt bei der Wahl seines Zahlungsmittels eine Rolle.
Früher hatte sich die SNB, die sowohl die Aufgabe hat, die Versorgung des Landes mit Bargeld zu gewährleisten als auch das Funktionieren bargeldloser Zahlungssysteme zu erleichtern und zu sichern, bezüglich Zahlungsmittel unter Verweis auf die Zahlungsgewohnheiten der Bevölkerung eher neutral verhalten.
In den letzten Jahren hat sie klarer zum Ausdruck gebracht, dass sie am Bargeld festzuhalten gedenkt, wohl nicht zuletzt wegen des zunehmenden politischen Widerstands, der sich gegen die allmähliche Verdrängung des Bargelds formiert. Ein allseits sichtbares Signal der SNB dafür ist das Projekt der neuen Banknoten, dass sie im vergangenen Oktober lanciert hat. In der Zwischenzeit stehen die Teilnehmer des Gestaltungswettbewerbs fest.
Runder Tisch zur Prävention gegen eine Negativspirale
Zudem hat die SNB zusammen mit der Eidgenössischen Finanzverwaltung einen runden Tisch zur Bargeldversorgung eingerichtet. Dort sitzen die für die Bargeldversorgung zentralen Akteure sowie Vertreter von Wirtschafts- und Konsumentenverbänden. Diskutiert werden Fragen zum Bargeldzugang und zur Bargeldakzeptanz. Ziel ist es, frühzeitig einen Handlungsbedarf zu erkennen und einer Negativspirale im Bargeldsystem entgegenzuwirken.
Zusätzlich zur Zahlungsmittelumfrage unter Privaten führt die SNB auch eine solche unter Unternehmen durch. Und im vergangenen Jahr ist sogar die für das Zahlungssystem unentbehrliche SIX Group aktiv geworden, weil Finanzinstitute ihr Bancomatennetz ausdünnen, was die Bargeldversorgung schwächt.
Martin Schlegel, dem Präsidenten des Direktoriums, scheint die Bargeldfrage besonders am Herzen zu liegen. Noch als Vizepräsident und damit zuständiger Departementsleiter rief er bereits in einem Referat im November 2022 dazu auf, der Bargeldinfrastruktur Sorge zu tragen und eine Negativspirale zu vermeiden, damit der Bürger weiterhin die freie Wahl des Zahlungsmittels hat.
Nicht ganz einfach ist die Antwort auf die bange Frage, ob wir uns beim Bargeld nicht schon heute in einer noch langsam drehenden Negativspirale befinden.