Stefan Kooths: «Bislang wird nur der Wunschzettel immer länger»

Wie ist die fiskalpolitische Wende in Deutschland abzuschätzen? Die künftige Regierungskoalition aus Union und SPD möchte die Schuldenbremse im Grundgesetz aufweichen und damit Spielraum für hohe Ausgaben in die Infrastruktur und die Verteidigung schaffen. Viele Ökonomen begrüssen diese Pläne. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Im Interview mit finews.ch nimmt Stefan Kooths, Professor für Volkswirtschaftslehre, eine Einordnung vor.

Stefan Kooths ist seit 2014 Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum beim Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, einem der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands. Zu seinen Schwerpunkten zählen neben der Konjunkturforschung Fragen der Stabilisierungspolitik, des Geld- und Währungswesens, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie der Ordnungsökonomik. Kooths lehrt an der BSP Business and Law School in Berlin/Hamburg und ist auch international bestens vernetzt. Er ist Vorsitzender der Friedrich August v. Hayek-Gesellschaft und Mitglied der Mont Pèlerin Society. Zudem sitzt er im Präsidium  des Internationalen Wirtschaftssenats (IWS) und im Akademischen Beirat des Liberalen Instituts in Zürich.

Herr Kooths, die Union und die SPD, welche zusammen die nächste Regierung in Deutschland bilden werden, wollen 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren und zudem massiv mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Dafür soll die im Grundgesetz eingebaute Schuldenbremse aufgeweicht werden. Dass Deutschland in den letzten Jahren zu wenig in die Infrastruktur und in die Sicherheit investiert hat, dürfte unbestritten sein. Begrüssen Sie daher die «Whatever-it-takes»-Pläne der schwarz-grünen Koalition aus ökonomischer Sicht?

Ökonomisches Denken gibt es, weil wir in einer Welt von Knappheit leben und deshalb priorisieren müssen – das gilt auch für das Gemeinwesen. Und genau daran hapert es. Bislang wird nur der Wunschzettel länger. Mit höheren Defizitspielräumen werden im Ergebnis nicht die Verteidigung und die Infrastruktur finanziert, sondern all das, was sonst auf den fiskalischen Prüfstand kommen müsste und dort aussortiert würde. Indem sie die – ohnehin überfällige – Haushaltskonsolidierung verweigern, liefern die Koalitionäre in spe aus ökonomischer Sicht keine Glanzleistung ab.

Was wäre das optimale Vorgehen in der Fiskalpolitik, um die Finanzierung von Infrastruktur und Verteidigung sicherzustellen?

Es beginnt damit, beides auseinander zu halten. Infrastrukturen sind zu grossen Teilen Club-Kollektivgüter. Man kann daher die Nutzer gezielt zur Kasse bitten und die Bereitstellung eigenständigen Gesellschaften übertragen. Diese können mit den Einnahmen aus Nutzungsentgelten im Rücken eigenständig an den Kapitalmarkt gehen. Das entlastet die Staatsfinanzen und hat allokative Vorteile. Auch spart man sich damit das bizarre Gerangel um Investitionsbegriffe und Zusätzlichkeitskriterien.

«Bei Infrastrukturen kann man gezielt die Nutzer zur Kasse bitten, äussere Sicherheit ist hingegen ein echtes Kollektivgut.»

Und die Verteidigung?

Äussere Sicherheit ist demgegenüber ein echtes Kollektivgut, das nur der Staat bereitstellen kann, weil das Trittbrettfahrerproblem anders nicht zu lösen ist. Äussere Sicherheit zählt damit zu den staatlichen Kernaufgaben. Verteidigungsausgaben sind eine Versicherungsprämie, die grundsätzlich aus laufenden Einnahmen bestritten werden muss, denn auch die Versicherungsleistung muss laufend erbracht werden. Für ein rasches Hochfahren sind vorübergehende Extraschulden vertretbar, aber keine Dauerdefizite. In der mittelfristigen Finanzplanung – also binnen fünf Jahren – sollten entsprechende Umschichtungen im Staatshaushalt möglich sein, zumal bei einer Staatsquote, die – wie in Deutschland – um die 50 Prozent beträgt.

Sogar die Deutsche Bundesbank, das ordnungspolitische Gewissen Deutschlands, hält die Schuldenbremse für reformbedürftig und hat einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Wo liegt das Problem bei der heutigen Ausgestaltung der Schuldenbremse?

Die bisherige Schuldenbremse ist in dem Sinne restriktiv, dass sie langfristig auf eine sinkende Schuldenquote (Schuldenstand in Relation zur Wirtschaftsleistung) hinausliefe, die sich unter 20 Prozent einpendeln würde. Die Deutsche Bundesbank hat daher einen Vorschlag unterbreitet, der die Schuldenquote langfristig gegen 60 Prozent laufen lässt. Das dürfte immer noch ein Niveau sein, bei dem das Vertrauen der Anleger keine Risse bekommt. Das ist das entscheidende Kriterium, auch für die Stabilität des Finanzsystems insgesamt. Bei Langfristberechnungen zur Konvergenz von Schuldenquoten ist allerdings zu beachten, dass diese immer fiskalische Schönwetterszenarien unterstellen, in denen die Defizite die durch die Schuldenregel vorgegebenen Höchstwerte einhalten. Jedes Ziehen der Ausnahmeklausel und jedes Sondervermögen lässt den Konvergenzwert weiter in die Zukunft rücken. Daher müssen Ausnahmen auch tatsächlich Ausnahmen bleiben, damit in Grosskrisen die Solvenz des Staates nie in Frage steht.

«Die weitaus höheren Schuldenquoten in anderen EU-Ländern sind kein Massstab für Deutschland.»

Deutschland weist eine tiefere Schuldenquote auf als die anderen grossen EU-Mitgliedländer. Verfügt es daher nicht für Krisenzeiten über den nötigen haushaltspolitischen Spielraum für eine grosszügigere Fiskalpolitik?

Ja, und das sollte auch so bleiben. Die weitaus höheren Schuldenquoten in anderen EU-Ländern sind kein Massstab für Deutschland. Der Abstand zu kritischen Schuldenständen zählt, nicht der Abstand zu denen, die diesen Punkt schon überschritten haben – und dafür entsprechende Risikoprämien zahlen müssen, die sie fiskalisch einschränken.