Donald Trump versprach im Wahlkampf, den «Sumpf in Washington» auszutrocknen. Der inzwischen gewählte US-Präsident wird an dieser Aufgabe scheitern, schreibt Peter Hody in seinem Essay für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Schweizer Privatbank Pictet & Cie. Die Auswahl der Beiträge liegt bei finews.ch.
Was Donald Trump nach seinem Einzug ins Weisse Haus in der US-Hauptstadt Washington als erstes anpacken wird, ist sein Geheimnis. Die Wähler indessen erwarten die Einlösung seiner Wahlversprechen. Eines davon hat Trump enorm viele Sympathien eingebracht. Sein Slogan, er werde den «Sumpf in Washington trockenlegen» («drain the swamp») war in seinem Wahlkampf der zweitbeliebteste, nach er werde «America great again» machen.
Der «Sumpf» in Washington: Damit ist ein politisches System gemeint, in welchem Bundesregierung und Heerscharen von Lobbyisten, Anwälten und Beratern ein dichtes und unübersichtliches Netz von Interessenlagen bilden, und in dem vielfach Intransparenz herrscht, ob diese nun privater oder öffentlicher Natur ist.
Es war Trumps feines Gespür für Stimmungen – und vor allem Missstimmungen – in Teilen der amerikanischen Bevölkerung, welches ihn zum nächsten US-Präsidenten werden liess.
«Über 10'000 registrierte Lobbyisten, tausende Anwälte und Berater»
Darum darf man getrost davon ausgehen, dass Trump jene Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2015 genau studiert hat, in welcher die politische Korruption im Sorgenbarometer von US-Bürgern sehr hoch rangiert. Die einzige Berufsgruppe, die gemäss einer weit verbreiteten Meinung noch unmoralischer handle als Kongressabgeordnete seien Lobbyisten, war damals das Ergebnis der Umfrage.
Um dieses Resultat richtig einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf das System «Washington». Die US-Regierung beschäftigt rund 2,7 Millionen zivile Angestellte. Im Kongress sitzen inklusive Senatsmitglieder 535 Kongressabgeordnete, die wiederum tausende Berater, Wahlhelfer, Fundraiser und Sekretäre beschäftigen. Um diesen Nukleus hat sich eine ganze Industrie gebildet, die direkt oder indirekt von der Bundesregierung lebt. Das Ausmass dieser Industrie ist riesig: mehr als 10'000 registrierte Lobbyisten, tausende Anwälte und andere Berater.
«Das System der ‹revolving doors›»
Polit-Analyst James Turber schätzt die effektive Anzahl an Lobbyisten in der US-Hauptstadt auf fast 100'000. Es ist eine Industrie, die jährlich rund 9 Milliarden Dollar umsetzt, während die Bundesregierung über 400 Milliarden Dollar an Dienstleistungen und Produkten aus der Privatwirtschaft erwirbt. Wie dieses System funktioniert, hat der US-Autor George Packer in seinem Buch «The Unwinding» anhand der Karriere eines Lobbyisten namens Jeff Connaughton detailreich beschrieben.
Es ist das System der «revolving doors» – der Drehtüren –, womit eine Praxis des fliegenden und mehrfachen Seitenwechsels von Regierungsbeamten und -beratern gemeint ist, die ihren Arbeitsplatz im Capitol mit dem einer Anwalts- und Lobbyfirma wechseln, und mit ihrem Wissen und Netzwerk dann private Interessen vertreten und dabei Unmengen Geld verdienen.
«Die Interessenverflechtungen sind enorm»
So richtig explodiert ist die Lobby-Industrie in den 1990er-Jahren. Damals sei der Seitenwechsel ins Lobbyisten-Lager noch als «selling out» als etwas Anrüchiges beschrieben worden. Später wurde der Gang durch die Drehtür ganz einfach «cashing in» genannt, so Packer.
In diesem System muss Trump erstmal Fuss fassen. Es auszutrocknen, ist eine ganz andere Aufgabe, gibt Daniel Wuersch, Partner der in New York ansässigen Anwaltskanzlei Wuersch & Gering zu bedenken. «Die Interessenverflechtungen sind enorm. Dieses System grundlegend umzubauen, übersteigt die Möglichkeiten eines Präsidenten», sagt Wuersch im Gespräch mit finews.first.
Tatsächlich sind dem Präsidenten konstitutionelle Grenzen gesetzt. Von den 2,7 Millionen zivilen Mitarbeitern darf Trump gerade mal 4'000 selber ernennen. Für rund 1'000 von ihnen muss er die Zustimmung des Senats einholen. Unabhängige Behörden oder Kommissionen seien vielfach von Mitgliedern der republikanischen wie der demokratischen Partei besetzt, so Wuersch, der über 20 Jahre lang in den USA als Anwalt tätig ist. «Das setzt der Einflussnahme des Präsidenten auf Behörden natürliche Grenzen.»
Wuersch hat über die Jahre hinweg selber beobachtet, wie Filz entstanden ist, in welchem sich private und öffentliche Interessen vermischt haben. «Aus staatspolitischer und demokratischer Sicht ist es sicher problematisch, dass der Einfluss auf die Regierung so stark von finanziellen Interessen geprägt wird», sagt er.
«Zuwendungen wie Geldüberweisungen, Golfreisen und Ausflüge»
Allerdings sieht er in dem System nicht nur Nachteile. «Die Drehtür zwischen privater und öffentlicher Karriere schafft für Persönlichkeiten, die in der Privatwirtschaft Karriere gemacht haben oder machen wollen, einen Anreiz, dem Staat zu dienen», so der Anwalt. Das Verständnis für die «andere Seite» werde dadurch in Wirtschaft und Politik gefördert. «Ich würde die Bilanz dieser Drehtür trotz der Interessenskonflikte als positiv beurteilen.»
Die im Allgemeinen negative Wahrnehmung des Lobbyisten- und Regierungsfilzes hat möglicherweise auch Individuen geprägt wie beispielsweise Jack Abramoff, einst einer der schillerndsten Lobbyisten in Washington, bis er als Urheber einer Reihe von Skandalen aufflog.
In Gerichtsverfahren räumte Abramoff ein, prominente Abgeordnete mit «Zuwendungen» wie Geldüberweisungen, Golfreisen oder anderer Ausflüge bedacht zu haben. Dem Nachrichtensender «CNN» sagte Abramoff vor einigen Jahren, eine der besten Methoden zu bekommen, was er wolle, seien ein Jobangebote an Helfer von Kongressabgeordneten gewesen. Habe die Person das Angebot angenommen, «gehörte sie einem», so der Lobbyist.
«Lobbyisten arbeiten wie Venture-Kapitalisten»
Im System Washington sind die Ressourcen ungleich verteilt. Grossunternehmen oder Wirtschaftsinteressengruppen beschäftigen teilweise bis zu 100 Lobbyisten und Anwälte. Dabei ist deren Arbeit weitaus filigraner und strategischer als es einer wie Abramoff erscheinen lässt.
US-Autor Packer beschreibt, wie Koalititionen geschmiedet werden, strategische Leitplanken für Anliegen und Kampagnen gesetzt, bestimmte Interessengruppe über spezifische Kanäle angesteuert und Themen für Medien aufbereitet werden. Dabei arbeiten Lobbyisten nach demselben Prinzip wie Venture-Kapitalisten: Sie setzen auf verschiedene Karten, bearbeiten mehrere Szenarien, um dann jene weiterzuverfolgen, die Erfolge zeigen.
«Lobbying ist zu einem Wettbewerb der Ressourcen ausgeartet»
In Washington ist das Lobbying unter massivem Einsatz zu einem eigentlichen Wettbewerb der Ressourcen ausgeartet, in welchem grosse und finanzkräftige Interessengruppen, Unternehmen oder Industrien klar bevorteilt sind. Der US-Kongress kann mit diesen Kapazitäten jedenfalls nicht mithalten.
Aus den Folgen dieses Systems hat Trump während seines Wahlkampfes Kapital geschlagen und die klassische «Blue Collar»-Wählerschaft auf seine Seite gezogen. Diese gehört zu dem Teil Amerikas, der sich von Washingtons Politik nicht mehr repräsentiert sieht – und das Lobbying dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben.
Im Jahr 2014 hielt eine Cambridge-Studie nach der Analyse von über 1'800 Regierungsentscheiden in den USA fest, dass «Wirtschaftseliten und Wirtschaftsinteressen vertretende Stakeholder einen substanziellen Einfluss auf US-Regierungsgeschäfte ausüben, während der Durchschnittsbürger und im Volk abgestützte Interessengruppen nur geringen oder gar keinen Einfluss haben.»
«Die USA haben sich von einer Demokratie zu einer Oligarchie gewandelt»
Die USA haben sich, so eine Interpretation der Studie, von einer Demokratie zu einer Oligarchie gewandelt. Es war schlaues politische Kalkül Trumps, das Austrocknen des «Sumpfs in Washington» zu versprechen.
Seit seiner Wahl zum US-Präsidenten scheint es ihm weiterhin ernst mit seinem Versprechen. Eine seiner ersten Ankündigungen war, den Drehtür-Mechanismus zwischen Privatwirtschaft und Regierungsarbeit erheblich zu erschweren.
Allerdings hat seine Zusammenstellung des Regierungsteams nun gezeigt, dass die meisten Mitglieder – unter ihnen ehemalige Goldman-Sachs-Banker und ein Exxon-CEO, genau durch diese Drehtür getreten sind, um seine Politik für die kommenden vier Jahre zu vertreten.
Und jüngst hat sich Trump auch von seinem «Sumpf austrocknen»-Slogan distanziert. Er habe diesen ohnehin nie gemocht. Trump hat wohl selber realisiert, dass er sich an diesem Wahlversprechen die Zähne ausbeissen würde.
Peter Hody ist stellvertretender Chefredaktor von finews.ch. Er übte in den vergangenen Jahren diverse Führungspositionen bei Wirtschafts- und Finanzmedien aus, u.a. bei «CASH» und bei «Stocks». Zuvor schrieb er aus Zürich für die Associated Press (AP) und berichtete als Korrespondent aus dem Bundeshaus für RTL/ProSieben. Er ist Historiker und absolvierte an der Hamburg Media School einen MBA in Medien-Management.
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Peter Hody, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp und Brigitte Strebel.