Die Ankündigung des Singapurer Staatsfonds GIC, einen Grossteil seiner UBS-Aktien zu verkaufen, kam aus heiterem Himmel. Angesichts der milliardenhohen Buchverluste hätte dies viel früher geschehen sollen, schreibt Katharina Bart auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Die Ankündigung von dieser Woche, wonach der Singapurer Staatsfonds GIC Private Limited (GIC) 93 Millionen UBS-Aktien im Wert von rund 1,5 Milliarden Franken veräusserte, weckte längst vergessen geglaubte Erinnerungen an die Finanzkrise vor zehn Jahren. Damals, im Spätherbst 2007, hatte UBS-Präsident Marcel Ospel die Singapurer Behörden davon überzeugen können, sich mit rund 11 Milliarden Franken an der Schweizer Grossbank zu beteiligen, um deren akute Kapitalnot zu beheben.

Was die Singapurer damals zur Jahreswende 2007/2008 nicht ahnen konnten: Die Abschreibungen, welche die UBS für faule US-Hypotheken bis dahin getätigt hatte, waren erst der Anfang der Misere. Es sollte noch viel schlimmer kommen – so schlimm, dass die Bank, mit einem gesamten Abschreibungsbedarf von rund 50 Milliarden Franken, im Oktober 2008 in einer notfallmässigen Übung mit Steuergeldern vor dem Kollaps gerettet werden musste.

«Ungewöhnlich war, dass der amtierende CEO der GIC seine Enttäuschung öffentlich bekundete»

Ungefähr drei Jahre musste die UBS energisch gegen enorme Abflüsse von Kundengeldern ankämpfen, und dem schillernden Banker Ospel blieb nichts anderes übrig, als von seinem Posten abzutreten – seither fristet er in der Schweiz ein Dasein als gesellschaftlich Geächteter, der den Finanzplatz temporär in eine bedrohliche Schieflage gebracht hatte.

Trotz der sukzessiven Erholung der UBS verlor der Singapurer Staatsfonds mit seinem Engagement über die Jahre eine Menge Geld. Denn der Einstandspreis (rund 47 Franken), den die GIC bezahlt hatte, lag immer deutlich höher als das Niveau, auf dem sich der Kurs (rund 16 Franken) allmählich einpendelte.

Ungeachtet dessen hielt die Behörde unter der allmächtigen Führung ihres damaligen Vorsitzenden und früheren Premierministers Lee Kuan Yew an der UBS fest und erklärte auch, dass sich dabei um ein langfristiges Engagement auf mehrere Jahrezehnte hinaus handle.

Gründervater Lee, der im Jahr 2011 von seinen sämtlichen Amtsfunktionen zurücktrat, verstarb im März 2015. Somit erlebte er nicht mehr, dass es gerade einmal ein Jahrzehnt brauchte, bis sich die GIC diese Woche von ihrem UBS-Paket mehrheitlich wieder trennte. Besonders ungewöhnlich war dabei, dass der nunmehr amtierende CEO der GIC, Lim Chow Kiat, seine Enttäuschung über dieses Investment öffentlich bekundete, was in Asien einem Tabubruch gleichkommt.

«Insofern beging die GIC einen sträflichen Anfängerfehler»

Verwundert fragen sich denn auch viele Fachleute, was denn nun den Ausschlag gegeben haben könnte, dass sich der Singapurer Staatsfonds so abrupt von seinem UBS-Engagement trennte. Eine Erklärung findet sich möglicherweise in den Thesen der beiden Akademiker Daniel Kahnemann (Nobelpreisträger, 2002) und Amos Tversky, die in ihrer Behavioral-Finance-Forschung feststellten, dass die Furcht vor einem Börsenverlust für viele Anleger wesentlich grösser sei, als die «emotionale» Freude über einen Gewinn.

Das hat zur Folge, dass manche Investoren ihre Gewinne zu früh realisieren, während sie ungebührlich lange an ihren Verlusten festhalten – anstatt sie rasch zu liquidieren.

Gerade dies könnte die Einschätzungen der GIC beeinflusst haben. Denn eigentlich war es schon seit einigen Jahren klar, dass sich die Aktie der UBS bis auf weiteres kaum auf wesentlich mehr als 20 Franken erhöhen würde.

Zu viele Skandale, Bussen und Reorganisationen belasteten den Titel. Und um einen Gewinn zu erzielen, hätte sich für den Singapurer Staatsfonds der Kurs mehr als verdoppeln müssen. Insofern beging die GIC einen sträflichen Anfängerfehler, indem sie viel zu lange an dem Paket festhielt.

«Die fatale Haltung der GIC lässt sich vielleicht auf einen weiteren Umstand zurückführen»

Eine andere Überlegung, welche die GIC nun zum Handeln geführt hat, könnte der Umstand sein, dass die Schweizer Banken wesentlich schärferen Aufsichtsbestimmungen ausgesetzt sind als ihre Konkurrenten im Ausland. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) mit ihrem «Swiss Finish» höhere Auflagen macht. Dies ist für die Finanzhäuser zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden, was wiederum die Profitabilität schmälert.

So ist es gut möglich, dass man beim GIC zum Schluss kam, dass ein Engagement bei einer anderen europäischen Grossbank in den nächsten Jahren lukrativer sein könnte. Hinweise darauf liefern zwei andere Grossinvestoren: So haben die katarischen Behörden ihr Engagement bei der Deutschen Bank in jüngster Zeit substanziell erhöht – und nicht etwa bei der Credit Suisse, wo sie ebenfalls beteiligt sind; und der chinesische Konzern HNA avancierte in den vergangenen Wochen beim deutschen Kreditinstitut zum grössten Aktionär.

Dass ein mächtiger Staatsfonds, wie es das Singapurer Vehikel ist, «Anfängerfehler an der Börse» begeht, ist indessen doch ungewöhnlich. Die zögerliche und letztlich fatale Haltung der GIC im Fall UBS lässt sich vielleicht noch auf einen weiteren Umstand zurückführen: Sowohl die GIC als auch der zweite Singapurer Staatsfonds Temasek werden von einem Machtzirkel geleitet, der auch den kleinen Stadtstaat respektive die «Singapur AG» regiert.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit Ho Ching ausgerechnet die Gattin des amtierenden Premierministers Lee Hsien Loong, die Temasek präsidiert; und Lee Hsien Loong ist kein geringerer als der Sohn des inzwischen verstorbenen Staatsgründers Lee Kuan Yew.

«Der 1MDB-Skandal hat möglicherweise zu einer Verstimmung geführt»

Diese, nach heutigen Massstäben eher etwas heiklen Verbandelungen ziehen sich durch weite Teile der Administration Singapurs durch; sie können einerseits sicherlich zu effizienten und raschen Beschlüssen verhelfen, wie dies 2007 der Fall war, als UBS-Präsident Marcel Ospel innert weniger Tage eine Zusage von der GIC erhielt. Andererseits können manche Entscheide eine politische Dimension erhalten, die der wirtschaftlichen Logik zuwiderlaufen.

Seit dem Tod von Lee Kuan Yew im Frühjahr 2015 hat nicht nur eine geistige Erneuerung und Identifikationssuche eingesetzt, sondern in diversen Amtsstellen kam es bereits zu einem Generationenwechsel. So hat Anfang 2017 Lim Chow Kiat als CEO der GIC den bisherigen Chef Lim Siong Guan abgelöst, und mit Jeffrey Jaensubkhakij ist auch ein neuer Investmentchef aufgestiegen. Beide sind zwar langjährige GIC-Kaderleute und damit auch Vertraute der Singapur AG. Doch es ist wohl kein Zufall, dass die GIC nun ihr UBS-Engagement auf 2,4 Prozent reduziert hat.

Nichts geändert hat sich vorläufig an der höchst diskreten Entscheidungsfindung innerhalb des Singapurer Staatsfonds – dass allerdings Lim Chow Kiat seine Enttäuschung über das UBS-Engagement bekundete, grenzt an einen Paradigmenwechsel in der Kommunikation nach aussen.

Last but not least sei an dieser Stelle noch eine weitere Überlegung gestattet: Der vor gut zwei Jahren ausgebrochene Geldwäscherei- und Korruptionsskandal rund um den malaysischen Staatsfonds 1MDB dürfte möglicherweise auch zu einer gewissen Verstimmung zwischen Singapur und der UBS geführt haben.

Die Schweizer Grossbank war im Gegensatz zur Tessiner BSI Bank und zur Falcon Private Bank zwar nur am Rande in die fehl- und umgeleiteten Finanztransaktionen via Singapur involviert, was ihr entsprechend auch nur eine Geldbusse und nicht etwa einen Lizenzentzug einbrockte. Doch möglicherweise wurde es der GIC mit ihrem Engagement in die UBS doch etwas unwohl – nicht zuletzt angesichts der Schockwellen, die dieser Skandal in Singapur ausgelöst hat.


Katharina Bart ist als Senior Contributor für finews.ch und finews.com tätig. Darüber hinaus schreibt sie auch für die asiatische Partnerseite finews.asia. Die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin ist seit knapp 15 Jahren im Journalismus tätig, zuletzt war sie Chief Correspondent im Zürcher Büro der internationalen Nachrichtenagentur «Thomson Reuters», für die sie insgesamt vier Jahre arbeitete. Zuvor war sie von 2003 bis 2011 Correspondent für das «Wall Street Journal» sowie für die Nachrichtenagentur «Dow Jones Newswires».

Nach ihren Studien in Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Grand Valley State University in Michigan, USA, sowie an der Universität in Fribourg in der Schweiz, arbeitete Bart unter anderem für die damalige Zurich Financial Services (ZFS) sowie für den Industriekonzern Rieter und Friedli Corporate Finance.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Guido Schilling, Adriano B. Lucatelli, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Dan Steinbock, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Peter Kurer, Kinan Khadam-Al-Jame, Werner E. Rutsch, Robert Hemmi, Claude Baumann, Anton Affentranger und Yves Mirabaud.