Der Personalentscheid folgt der Strategie: Das gilt auch an der Firmenspitze. Manchmal ist es von Vorteil, wenn ein auswärtiger Chef zum Handkuss kommt; der Regelfall sollte es aber nicht sein, findet Guido Schilling in seinem Essay auf finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Sunrise und Credit Suisse haben es getan, Sulzer ebenso wie Firmenich, AFG und Gategroup. Sie alle haben in der jüngeren Vergangenheit einen Chief Executive Officer (CEO) an die Spitze berufen, der nicht aus dem eigenen Unternehmen stammt.
Der Langzeitvergleich im «schillingreport», der seit mehr als zehn Jahren die Führungsgremien der 100 grössten Schweizer Unternehmen analysiert, bestätigt eine Häufung externer Chefs in jüngster Zeit: Von den 2015 neu rekrutierten CEOs kamen 44 Prozent von extern – deutlich mehr als in den Vorjahren.
Einzig im Krisenjahr 2009 war dieser Anteil mit über 57 Prozent noch höher, normalerweise bewegt er sich zwischen 20 und 40 Prozent. Dass sogar Nestlé mit seiner langjährigen Tradition gebrochen und mit Ulf Schneider von Fresenius einen Externen an die Spitze beordert hat, scheint diesen Trend nur zu untermauern.
«Es gibt sehr wohl Situationen, in denen ein CEO von aussen die beste Wahl ist»
Das ist an sich noch nicht beunruhigend, denn der Gesamtanteil der externen CEOs liegt seit Jahren konstant bei 30 Prozent, trotz kurzfristiger Ausschläge. Das Talent-Management der Schweizer Unternehmen funktioniert also zuverlässig.
Ein langjähriger Trend zu Externen, also eine zunehmende Präferenz für «den unverbrauchten Blick von aussen», lässt sich nicht erkennen. Es gibt sehr wohl Situationen, in denen ein CEO von aussen die beste Wahl ist. Personalentscheide sollten aber der Struktur, diese wiederum der Konzernstrategie folgen, um auf Alfred Chandlers These zurückzugreifen.
Wenn ein Unternehmen keiner strategischen Kurskorrektur bedarf, verspricht die Wahl eines Kandidaten aus dem eigenen Haus klare Vorteile. Die Einarbeitung bindet deutlich weniger Ressourcen und das Risiko einer Fehlbesetzung sinkt: Denn der Verwaltungsrat kennt die Person, welcher sie die Geschäftsleitung anvertrauen möchte, aus eigener Erfahrung und kann ihr Potenzial und ihre Kompetenzen realistisch einschätzen.
Ein gut eingestelltes firmeninternes Netzwerk verhindert Reibungsverluste; auch wenn es selbstredend eine Herausforderung sein kann, gegenüber den Kollegen eine neue Rolle einzunehmen.
«Ulf Schneider dürfte nun bei Nestlé eine starke Wertekultur vorfinden»
Auch die Wahl eines externen Kandidaten kann und sollte aus der Gesamtstrategie heraus motiviert sein. Hilfreich ist eine gewisse Stabilität im Geschäftsgang und im Verwaltungsrat, um die durch einen neuen CEO verursachte Unruhe im Rahmen zu halten und produktiv nutzbar zu machen.
Ulf Schneider dürfte nun bei Nestlé eine starke Wertekultur und ein grundsolides, breit abgestütztes Unternehmen vorfinden. Gleichzeitig kann der frühere Fresenius-Chef Nestlés Health-Science-Geschäft – das der Verwaltungsrat zur Zukunftssparte erklärt hat – entscheidende Impulse verleihen und Mehrwert schaffen.
Daraus lässt sich folgern: Im richtigen Umfeld eingesetzt, können externe CEOs entscheidende Veränderungen anstossen und ein Unternehmen auf einen ganz neuen Wachstumspfad bringen.
«Auswärtige CEOs werden seltener in rosigen, ruhigen Zeiten berufen»
Einige der grössten Erfolgsgeschichten der Schweizer Wirtschaft haben externe CEOs geschrieben: Ernst Tanner kam selbst 1993 als Externer von Johnson & Johnson zu Lindt & Sprüngli, nachdem zuvor eine Reihe von Geschäftsführern an der Aufgabe gescheitert waren, in Rudolph Sprünglis Fussstapfen zu treten.
Ähnliches gilt für Calvin Grieder, der 2001 von Swisscom kommend die Leitung des Familienkonzerns Bühler von Urs Bühler übernahm. Das Traditionsunternehmen benötigte damals eine klarere Positionierung auf dem Markt und ein Kostensenkungs-Programm, um wieder auf einen Wachstumspfad zu gelangen. Der Neuling sollte diesen Geist der Veränderung nach Uzwil tragen. Grieder kam, lieferte und blieb schliesslich 15 Jahre lang an der Spitze.
Die Beispiele zeigen auch: Auswärtige CEOs werden seltener in rosigen, ruhigen Zeiten berufen, sondern wenn Eigentümerwechsel, grosse wirtschaftliche Herausforderungen oder ein unerwarteter Abgang des bisherigen CEOs einen Bruch erzwingen.
«Dies ist ein zweischneidiges Schwert»
So war es bei jenen sieben Unternehmen aus dem «schillingreport», die ihren CEO in den vergangenen zehn Jahren vier- oder fünfmal gewechselt haben. Es liegt auf der Hand, dass diese CEOs aufgrund der herausfordernden Ausgangslage ihres neuen Arbeitgebers weniger oft reüssieren als ihre Kollegen.
Trotz dieser Ausreisser unterscheidet sich die Verweildauer an der Spitze nur geringfügig: Interne CEOs sind im Durchschnitt 6,2 Jahre im Amt, externe 5,9 Jahre – angemessene Werte, die einem Unternehmen zu Stabilität verhelfen und dem CEO genügend Zeit lassen, um strategische Kursänderungen anzubringen.
Zieht man die «Notwechsel» ab, sieht die Bilanz der Externen nochmals besser aus. CEOs, die von anderen Unternehmen kommen, haben naturgemäss häufiger Erfahrung in anderen Geschäftsleitungen gesammelt und halten zudem signifikant mehr externe Verwaltungsrats-Mandate.
Dies ist ein zweischneidiges Schwert: Eine Aussenperspektive und Verwaltungsrats-Erfahrung können dem CEO helfen, frische Ideen ins Unternehmen hereinzutragen, damit er es in einer festgefahrenen Situation auf neue Bahnen lenken kann. Nimmt er indes zu viele Verwaltungsrats-Mandate in seine neue Aufgabe mit, bleibt schlicht zu wenig Zeit für die Hauptaufgabe.
Ob interne oder externe Lösung auf der CEO-Position: Eine gute Planung seitens der strategischen Führung ist unabdingbar.
«Leider spielt das Leben oftmals anders»
Natürlich hofft jeder Verwaltungsrat, die Wechsel in seiner Konzernleitung langfristig planen und steuern zu können. Leider spielt das Leben oftmals anders: Eine unabsehbare Vakanz kann jedes Unternehmen treffen, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder wegen eines unangekündigten Abgangs des CEOs.
Umso wichtiger ist es, dass der Verwaltungsrat für jede Schlüsselposition eine Liste mit potenziellen Nachfolgern führt, diese regelmässig bespricht und à jour hält. So lässt sich ein plötzlicher Ausfall besser kompensieren.
Auf einer solchen Liste sollten sich vor allem valable interne Kandidaten befinden. Es lohnt sich allerdings auch, zwei, drei externe Kandidatinnen und Kandidaten zur Hand zu haben, denn die strategische Ausgangslage verändert sich heute nicht mehr im Verlauf von Jahrzehnten, sondern in Jahren oder gar Monaten.
Guido Schilling trat 1987 als Partner in das 1980 gegründete Executive-Search-Unternehmen ein, das heute als guido schilling ag firmiert. Dank dieser mehr als 25-jährigen Tätigkeit im Executive Search prägte er diese Branche entscheidend mit. Er besitzt einen Abschluss als Betriebsökonom. Einen wertvollen Beitrag für mehr Transparenz im Top-Management leistet Schilling mit dem jährlichen «schillingreport», der seit 2006 erscheint und die 100 grössten Schweizer Unternehmen bezüglich ihrer Führungsorgane untersucht.
Schilling ist zudem Gründer, Vorsteher und Mitglied zahlreicher Organisationen. So war er Initiator und Gründungspräsident des Rotary Clubs Zürich Turicum. In seiner Freizeit engagiert er sich unter anderem als Verwaltungsratspräsident der Maag Music & Arts in Zürich. Unter seiner Ägide entstanden so erfolgreiche Schweizer Musicals wie «Ewigi Liebi», «Deep» und «Space Dream».
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody und Mirjam Staub-Bisang.