Grosse Banken fordern laschere Kriterien bei der Hypothekarvergabe. Pensionskassen drängen in den Markt hinein, und ausländische Immobilienfirmen lassen sich an der Schweizer Börse kotieren. Für finews.ch-Redaktor Frédéric Papp sind das untrügliche Zeichen, dass sich das Hypothekargeschäft in der Endphase eines Booms befindet.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Schweizer Privatbank Pictet & Cie. Die Auswahl der Beiträge liegt bei finews.ch.


Die Entwicklung des Schweizer Hypothekargeschäfts in den vergangenen Jahren erinnert an den Aufbau eines klassischen Dramas. Und falls dem so ist, stellt sich unweigerlich die Frage: Wo befindet sich der Markt? Vor der Peripetie oder bereits im retardierenden Moment?

Die Peripetie oder der Höhepunkt bezeichnet jenen Akt im klassischen Drama, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Im retardierenden Moment ist der Zenit bereits überschritten, er beschreibt eine Phase höchster Spannung. Fest steht: Im klassischen Drama tritt die Katastrophe unweigerlich ein. Und so wie die Zeichen stehen, droht dies auch dem Schweizer Immobilienmarkt und damit dem Geschäft mit Hypotheken.

Am Anfang des Dramas, der so genannten Exposition, stehen die Notenbanken mit ihrer seit Jahren andauernden Tiefzinspolitik. Vor allem für Banken, die primär im Zinsengeschäft tätig sind, war dies zunächst ein Segen.

«Die Bankchefs machten Freudensprünge»

Denn dank fallender Zinsen konnten sich viel mehr Schweizerinnen und Schweizer die Finanzierung von Wohneigentum leisten. Mittlerweile ist das Verhältnis hierzulande zwischen Wohneigentümern und Mietern fast ausgeglichen. Die Kreditbücher der Banken füllten sich rasch, die Zinserträge sprudelten, und die Bankchefs machten Freudensprünge. Im klassischen Drama wird diese Phase als steigende Handlung mit erregendem Moment bezeichnet.

Die freudige Entwicklung spiegelt sich auch im viel zitierten UBS-Immobilienblase-Index. Mittlerweile ist er allerdings in den Risikobereich vorgestossen – nur eine Stufe vor dem roten Bereich – der Blase.

Mit der drohenden Gefahr vor Augen richteten die Schweizerische Nationalbank (SNB) und der Bundesrat vorsorglich eine Bremse ein – den antizyklischen Kapitalpuffer. Banken – und nur diese – müssen 2 Prozent Eigenmittel für Kredite auf inländische Wohnliegenschaften hinterlegen. Damit soll ein weiterer Anstieg der Hypothekarvolumen abgebremst und wenn möglich gestoppt werden.

Übertragen auf das Drama: Bundesrat und SNB sind bestrebt, die Schussfahrt in Richtung Höhepunkt zu vermeiden und damit die drohende Katastrophe. Den Banken stiess diese Massnahme sauer auf, insbesondere deshalb, weil Pensionskassen und Versicherer davon ausgenommen sind. Diese sind es auch, die das Hypothekargeschäft aus Mangel an Anlage-Alternativen sukzessive ausbauen. In der Not suchen nun auch die hiesigen Banken nach Wegen, das Geschäft wieder an sich zu reissen und werden fündig.

«Gegen den Vorstoss der Raiffeisenbank hat sich bereits Widerstand formiert»

Die systemrelevante Raiffeisen – notabene die grösste Hypothekargeberin der Schweiz – will die Konditionen für Hypotheken deutlich lockern. Sie fordert einen kalkulatorischen Zinssatz von drei anstatt fünf Prozent. Ihre Begründung lautet: Mit fünf Prozent könnten sich viele junge Schweizerinnen und Schweizer kein Eigenheim leisten, und das sei unfair.

Gegen den Vorstoss der Raiffeisenbank hat sich bereits Widerstand formiert, aus den eigenen Reihen. So sprachen sich die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse gegen eine solche Lockerung der Vergabekriterien aus.

Klar ist: Mit einer Senkung dieser seit 2011 geltenden Selbstregulierungsmassnahme weiten sich der Markt und damit auch die Kreditbücher der Institute aus. Eine derartige Volumenausweitung würde es auch ermöglichen, dass die Banken ihre Zinsmarge halten können, die aktuell zwischen 1 und 1,5 Prozent liegt.

«Damals lief die Inflation aus dem Ruder»

So weit, so gut. Doch die Katastrophe für Banken und Hypothekarschuldner, wenn die Zinsen schneller als gedacht auf über drei Prozent steigen, will niemand ein zweites Mal erleben. Solche Szenarien schlagen zwar viele Zinsauguren in den Wind. Aber wer weiss schon, wie die Welt in fünf, zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird? Erinnert sei hier an die Immobilienkrise der 1990er-Jahre, die den Banken schätzungsweise 40 Milliarden Franken Wertberichtigungen kostete.

Damals lief die Inflation aus dem Ruder. Die Teuerung stieg an und zwang die Schweizerische Nationalbank, die zuvor die Märkte mit Billiggeld geflutet hatte, die Zinsen innert zwei Jahren von 3,5 auf 7 Prozent zu erhöhen. Das führte zum Desaster für Banken und Hauseigentümer. Wissenschaftlich betrachtet ist es nicht statthaft, vergangene Prämissen unreflektiert auf die aktuelle Situation zu übertragen, doch gewisse Parallelen zwischen damals und heute sind augenscheinlich.

Nicht nur steht die Forderung nach einer Aufweichung der Kreditvergabe-Konditionen im Raum, auch technologisch lassen sich die Banken heute einiges einfallen. Die UBS lancierte kürzlich die Plattform Atrium, wo Hypothekarnehmer mit institutionellen Investoren, meist Pensionskassen, zusammenkommen. Dort feilschen sie dann mit der UBS um den besten Preis.

«Solche Initiativen sind Anzeichen, dass wir uns in der Endphase des Immobilienbooms befinden»

Auch wenn die UBS den Zuschlag nicht bekommt, weil sie auf Grund des antizyklischen Kapitalpuffers kein konkurrenzfähiges Angebot unterbreiten kann, verdient die Grossbank dennoch via Atrium an den Service- und Abschlussgebühren. Ein ähnliches Modell fährt die Glarner Kantonalbank (GLKB) mit ihrer vor wenigen Wochen in Betrieb genommenen Kreditfabrik. Diese sammelt über ihren Hypomat Wohnbaufinanzierungen ein, führt die Kreditwürdigkeit- und -fähigkeit durch und reicht sie dann gegen eine Gebühr an Pensionskassen – unter anderem an jene der Migros – weiter.

Andere Firmen wiederum, wie der Versicherer Zurich und vor allem die Swiss Life schwärmen in die umliegenden Länder aus und kaufen Immobilien en masse auf. Zum einen, weil sie in der Schweiz schon sehr viel Grund und Boden besitzen – die Swiss Life gehört zu den grössten Immobilienbesitzerinnen des Landes –, zum anderen, weil ihnen gewisse Regionen schlicht zu teuer geworden sind.

Solche Initiativen sind Anzeichen, dass wir uns wahrscheinlich in der Endphase des Immobilienbooms befinden. Im Drama liesse sich diese Situation unmittelbar vor dem Höhepunkt verorten.

Der Immobilienboom treibt auch eigenartige Blüten. So hat kürzlich die amerikanischstämmige Firma Varia US-Properties mit Sitz in Zug den Gang an die Schweizer Börse vollzogen. Den Erlös aus der Publikumsöffnung (Initial Public Offering, IPO) investiert die Firma laut eigenen Angaben ausschliesslich in US-Immobilien. Bereits im Juni gelang mit Investis einer Westschweizer Immobilienfirma der Sprung aufs Börsenparkett. Das Unternehmen ist vorwiegend in der Genfersee-Region engagiert.

«Darüber lässt sich genüsslich streiten»

Sind solche Börsengänge und Initiativen wie jene der Raiffeisen, UBS oder GLKB bereits Anzeichen, dass der Zenit im Hypothekargeschäft überschritten ist? Befinden wir uns womöglich schon im retardierenden Moment – also in der Phase der höchsten Spannung, die in eine Katastrophe mündet?

Ob es sich bei der Entwicklung des Hypothekargeschäfts tatsächlich um ein Drama mit tragischem Ende handelt oder es den Banken und Hypothekarschuldnern gelingt, sich schadlos zu halten, darüber lässt sich genüsslich streiten.

In diesem Zusammenhang müsste man sich aber auch fragen, ob nicht etwas mehr Zurückhaltung gezeigt wäre und man die Hypothekar-Maschinerie etwas drosseln würde. Denn der Schaden eines Immobiliencrashs ist am Ende eindeutig grösser, als wenn man sich in den nächsten paar Jahren mit kleineren Brötchen begnügt.


Frédéric Papp ist Redaktor bei finews.ch. Zuvor war er bei «cash.ch» tätig. Er studierte Philosophie, Betriebswirtschaft und Politik an der Universität Zürich. Studiumsbegleitend arbeitete er als freier Wirtschaftsjournalist beim «Zürcher Oberländer» und als Sachbearbeiter bei der Zürcher Kantonalbank. Auf seinem ersten Bildungsweg absolvierte Papp eine Lehre als Bankkaufmann bei der Schweizer Privatbank Rahn & Bodmer.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Peter Hody, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier und Alfred Mettler.