Zwischen den vollmundigen Verheissungen der Banken und dem, was sie abliefern, besteht eine tiefe Kluft, stellt finews.ch-Mitgründer Claude Baumann in seinem Essay für finews.first fest.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Eigentlich bin ich der Kunde, den sich heute alle Schweizer Banken wünschen: (Zufällig) Schweizer und Unternehmer. Ich habe meine Einkünfte und Ersparnisse stets ehr und redlich versteuert. Beteiligt bin ich an einer Firma, die in den vergangenen acht Jahren ein Dutzend Stellen geschaffen hat, profitabel ist und ebenfalls Steuern bezahlt. Schliesslich bin ich über 50 Jahre alt, befinde ich mich also in einer Lebensphase, in der sich gewisse finanzielle Bedürfnisse durchaus manifestieren.

Soviel zu meiner Ausgangslage. Und diejenige der Banken?

Seit das Bankgeheimnis, das den hiesigen Geldhäusern jahrzehntelang üppige Erträge bescherte, nicht mehr dieselben Geschäftsmöglichkeiten wie früher eröffnet – nämlich Schwarzgeld zu verwalten –, sind neue Einnahmen gefragt. Unter diesen Prämissen haben es inzwischen sehr viele Schweizer Finanzinstitute auf sogenannte Executives (Geschäftsführer von Firmen) und Entrepreneurs (Unternehmer) abgesehen.

«Allein schon eine kurze Suche auf Google hätte einiges über mich zutage gefördert»

Aufgrund meiner Tätigkeit habe ich fast täglich mit derlei Strategieansagen und wohlformulierten Leistungsversprechen zu tun. Um neue Kunden zu ködern, geben sich die Banken zuverlässig, serviceorientiert, kundenfreundlich und langfristig ausgerichtet, um nur einige Attribute zu nennen. Doch im Alltag entpuppen sich solche Verheissungen allzu oft als leere Worthülsen.

Ich spreche dabei nicht einmal von den Gebühren, die je nach Gutdünken des jeweiligen Kundenberaters variieren. Nein, ich spreche hier von einer Art «Umgangskultur» zwischen der Bank und ihren Kunden, die darauf abzielen sollte, einen Mehrwert zu erbringen oder auch «die letzte Meile» für den Kunden zu gehen, wie es im Marketing-Jargon heisst. Doch da hapert es gehörig, wie sich zumindest in meinem Fall zeigt. Beispiele gefällig?

Weil bei den Grossbanken fast alle zwei Jahre die Kundenberater wechseln, hatte ich es unlängst wieder mit einem neuen Mitarbeiter zu tun. Dass er mich mit Zeitungen assoziierte, für die ich in grauer Vorzeit einmal geschrieben hatte, aber nicht wusste, was ich seit acht Jahren «unternehme», war selbst für ihn etwas peinlich.

«Elementare Abklärungen bleiben auf der Strecke»

Doch wie um alles in der Welt will mich jemand «ganzheitlich» über meine verschiedenen «Lebensphasen» hinweg beraten, wenn er nicht up to date ist? Dabei hätte allein schon eine kurze Suche auf Google einiges über mich zutage gefördert.

Ein anderer Kundenberater wusste zwar, wie ich beruflich unterwegs bin, jedoch nicht, dass sein Arbeitgeber auch unsere Hausbank ist. Wie, frage ich mich, will eine Bank sogenanntes Cross-Selling betreiben, also eine Kundenbeziehung in mehrfacher Hinsicht nutzen, wenn selbst elementare Abklärungen auf der Strecke bleiben?

Nach solchen Erfahrungen dünkt es mich, die Haltung vieler Bankleute im Umgang mit Kunden weise ignorante Züge auf. Ein anderer Kundenberater, mit dem ich mich tatsächlich regelmässig über die Branche ausgetauscht hatte, schlug vor, mich seinem Vorgesetzten vorzustellen. Umso verwunderter war ich dann, als mir dieser gleich zu Beginn des Gesprächs eröffnete, er kenne das Finanzportal, das ich mitgegründet habe, leider nicht. Nun liesse sich argumentieren, es gebe auf dem Schweizer Finanzplatz bessere Finanzwebseiten. Doch um eine Kundenbeziehung zu vertiefen, ist dies kaum eine optimale Voraussetzung.

«Mein Alter bringt es leider auch mit sich, dass man Angehörige verliert»

Am Ende des Tages irritiert nicht nur die mangelnde Vorbereitung auf ein Kundengespräch, sondern vor allem die Gleichgültigkeit – früher hätte man vermutlich von einem Dienst nach Vorschrift gesprochen –, diese seltsame Abwehrhaltung vieler Berater, sich auf einen Kunden einzulassen und zu antizipieren, was seine finanziellen Bedürfnisse sein könnten.

Dabei ist es landauf landab gerade das, was die Banken als Leistungsversprechen in Aussicht stellen. Doch selbst acht Jahre nach den Erfahrungen aus der Finanzkrise, dem faktischen Ende des Schweizer Bankgeheimnisses, immer engerer Margen und dem unaufhaltsamen Vormarsch digitaler Technologien fördert die Praxis das Gegenteil zutage. Beratung, angeblich der Nukleus des einzigartigen Swiss Banking, lässt einiges zu wünschen übrig.

Mein Alter bringt es leider auch mit sich, dass man Angehörige verliert. Das ist schmerzlich und traurig, führt gleichzeitig aber zu Themen wie Nachfolgeregelung, Erbschaft oder Vermögensanalyse. Wo, wenn nicht hier wäre Beratung angezeigt? Ich indessen, warte noch immer auf den Rückruf des Filialleiters meiner hausnahen Bank. Dabei müsste man meinen, dass bei einem Verantwortlichen allein schon beim Stichwort «Erbschaft» die Alarmglocken (im positiven Sinn) losgehen. Denn jeder Vermögensübertrag ist mit einer Neuallokation verbunden. Doch offenbar scheint das manche Bankleute nicht zu kümmern.

«Ich spreche hier nicht von irgendwelchen Landbanken oder Ersparniskassen»

Viele Institute verwenden am meisten Energie darauf, Abläufe zu verzögern, etwa wenn ein wichtiges Dokument erst in zehn Tagen in Aussicht gestellt wird (sic) oder Abklärungen (für eine Erbschaft) unerfindlicherweise ausbleiben (sic). Dabei glaubte ich bisher, wir seien im Fintech-Zeitalter angekommen, seien längst auf Knopfdruck voll digitalisiert. Doch dem ist leider nicht so, und ich spreche hier nicht von irgendwelchen Landbanken oder Ersparniskassen.

Zugegeben, Erbschaftsangelegenheiten können komplex sein. Doch das rechtfertigt nicht, Prozesse auf den Sankt Nimmerleinstag zu vertagen; kein Wunder kommt da der Verdacht auf, manche Banken versuchten, selbst den letzten «Gebühren-Tropfen» aus der Zitrone zu pressen.

Dabei geht es auch anders, wie sich zeigt, nachdem man bei der Geschäftsleitung interveniert hat – doch muss das sein? Braucht es den Aufbau einer Drohkulisse, damit etwas in nützlicher Frist geschieht? Mein Fazit?

«Leidet die Branche am Phantomschmerz des untergegangenen Bankgeheimnisses?»

Abseits vollmundiger Ankündigungen und Verlautbarungen vegetiert im realexistierenden Swiss Banking eine Welt dahin, die sich so unglaublich hilflos, unmotiviert und extrem schwerfällig gebärdet. Woran mag das liegen? An den vielgescholtenen Regulatorien, an der ausufernden Compliance, an der Abgehobenheit der austauschbaren CEOs mit ihren überbordenden Salären? Am Phantomschmerz des untergegangenen Bankgeheimnisses?

Was fehlt, ist eine Dienstleistungskultur – was sich von den Begriffen «dienen» und «leisten» ableiten lässt, wie der letzte grosse Schweizer Bankier Robert Holzach zu sagen pflegte. Bis auf eine Ausnahme mögen sich die Schweizer Banken damit brüsten, die globale Finanzkrise souverän gemeistert zu haben, aus ihrer Sinnkrise haben sie sich deswegen noch lange nicht befreit.


Claude Baumann ist Mitgründer und Chefredaktor von finews.ch und finews.asia in Singapur. Er ist Autor mehrerer Bücher über die Finanzbranche, zuletzt erschien «Robert Holzach – Ein Bankier und seine Zeit» im Verlag Neue Zürcher Zeitung.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang und Guido Schilling.