Der Jugendlichkeitswahn hat zumindest in der Schweizer Wirtschaft ein Ende. CEOs werden wieder älter. Der Frauenanteil nimmt in Führungsfunktionen zwar laufend zu, doch im europäischen Vergleich schneidet die Schweiz erstaunlich schlecht ab.
Grundsätzlich ist die Schweizer Wirtschaft in Sachen «Gender Diversity» recht gut unterwegs, wie dem 16. «Schillingreport» zu entnehmen ist, der am Freitag vorgestellt wurde. Die in diesem Jahr eingeführten Geschlechterrichtwerte sollten bis zum Jahr 2030 problemlos erreicht werden, wie Unternehmensberater Guido Schilling in seiner Präsentation betonte.
Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten in dieser Erhebung untersuchten Schweizer Firmen beträgt aktuell 13 Prozent. «Hält die Dynamik an», meint Schilling, «dürfte der gesetzlich festgelegte Geschlechterrichtwert von 20 Prozent Frauen bis Ende 2030 gut erreicht werden.» Das wären 0,8 Prozentpunkte mehr pro Jahr.
Zwei Beispiele von Frauen, die in der Finanzbranche in diesem Jahr CEO wurden sind Sabine Keller-Busse von der UBS Schweiz sowie Michèle Rodoni, CEO der Mobiliar.
Keine einzige Frau auf der Chefetage
Branchen mit hohem Frauenanteil auf der Chefetage sind Dienstleistungsbetriebe mit 22 Prozent; dazu gehören Life Sciences und Versicherungen mit je 17 Prozent sowie Firmen im Detailhandel mit einem Anteil von rund 20 Prozent in den Geschäftsleitungen. Die Bankbranche liegt noch wesentlich tiefer und zwar mit 13 Prozent im Durchschnitt der Gesamterhebung, wie Schilling gegenüber finews.ch erklärte.
Zu denken gibt eher, dass in 42 Prozent aller untersuchten Firmen bis heute keine einzige Frau auf der Chefetage sitzt, wie aus dem Report weiter hervorgeht.
Schwache Schweiz im europaweiten Vergleich
In den Verwaltungsräten sieht es leicht besser aus: In 90 Prozent der untersuchten Gremien aller Branchen sitzt mittlerweile mindestens eine Frau. Im Durchschnitt beträgt der Frauenanteil in den Schweizer Aufsichtsgremien 24 Prozent. Auch da liegt der Geschlechterrichtwert bis 2030 von 30 Prozent im Bereich des Möglichen. Dazu wären 1,2 Prozentpunkte Wachstum pro Jahr nötig.
Trotzdem erweist sich die Schweiz als rückständig, zumindest im europäischen Vergleich. Mit ihrem 24-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsgremien rangiert die Schweiz europaweit gerade mal an 16. Stelle (vgl. nachstehende Grafik).
(Anklicken zum Vergrössern, Quelle: EU-Kommissionen, schillingreport 2021; Grafik: finews.ch)
Dies stimme insofern nachdenklich, da Länder wie Schweden, Grossbritannien, Finnland oder Dänemark ohne eine festgeschriebene Quote zu haben bereits wesentlich höhere Frauenanteile in den Aufsichtsgremien der grössten Unternehmen aufweisen würden, betonte Schilling.
Lieber ältere CEOs
In diesen Ländern befinde sich die «Gender Diversity» bereits in der «Akzeptanzphase», während die Thematik hierzulande erst in diesem Jahr in die «Bewusstseinsphase» gelangt sei – will heissen: Man sei sich bewusst, dass es einen höheren Frauenanteil brauche, aber die Akzeptanz sei noch nicht überall gleich vorhanden, so Schilling.
Der Report weist auf ein weiteres Phänomen hin: Das Durchschnittsalter der CEOs in der Schweiz ist in den vergangenen 15 Jahren massiv gestiegen. Betrug es 2007 noch 47 Jahre, so liegt der Wert heute bei 55 Jahren. Ausserdem fällt die Wahl eines neuen CEOs zunehmend auf externe Kandidaten.
Risikoscheue Verwaltungsräte
Schilling leitet daraus ab, dass viele Verwaltungsräte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der vor Jahresfrist ausgebrochenen Coronakrise – wenig Mut bewiesen, einem jüngeren Kandidaten als Konzernchef eine Chance zu geben. Sie scheuten das Risiko und würden stattdessen lieber auf einen soliden Leistungsausweis setzen, so dass «ältere» CEOs eher zum Handkuss kämen.