Den «Königsweg Miliz» als zentralen Erfolgsfaktor der Schweiz zu propagieren und ihn auch ausländischen Mitbürgern ausführlich zu erklären, sei wichtiger denn je, schreibt Werner E. Rutsch für finews.first.
Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.
Insbesondere seit der Finanzkrise von 2007 wird in der Schweiz über eine zunehmende Entfremdung von Wirtschaft und Politik geklagt. Mehr noch: Die Eliten hätten den Kontakt zur Gesellschaft – die Bodenhaftung – verloren, heisst es bisweilen.
Das Thema erlangte anlässlich der Volksabstimmung zur Unternehmenssteuerreform III erneute Aktualität. Die Firmenlenker müssten eben wieder vermehrt den Kontakt zur Basis pflegen, und an Gemeindeversammlungen teilnehmen, anstatt das Feld bloss den Funktionären von Economiesuisse zu überlassen, kommentierte Markus Somm, Chefredaktor der «Basler Zeitung», das Abstimmungsresultat.
Tatsache ist, dass Wirtschaft und Politik über lange Zeit in der Schweiz verzahnt waren, vor allem dank des Milizsystems. Unternehmenslenker wie Ulrich Bremi (Swiss Re, Kaba) oder Peter Spälti (heutige Axa Winterthur) sassen im Nationalrat, betätigten sich als Mäzene und hatten selbstredend einen hohen Offiziersrang in der Schweizer Armee. Abwertend wurde dabei von wirtschaftskritischen Kreisen vom «helvetischen Filz» gesprochen, der es bis zum Buchtitel brachte. Die damals hinterfragten Verflechtungen, die letztlich auch die politische Landschaft beeinflusst haben, beinhalteten jedoch durchaus Vorteile, wie man heute vermehrt realisiert.
«Bisweilen werden Amtsträger nun sogar per Zeitungsinserat gesucht»
Das eben typisch schweizerische Milizsystem – kennzeichnend für nebenberufliche, meist freiwillige Engagements, die oft, aber nicht immer entschädigt werden – hat die Funktion, Leistungen für den Staat respektive die Allgemeinheit zu erbringen (Feuerwehr, Militär, Experten). Andererseits werden damit explizit Interessenvertretungen sichergestellt (Politik, Verwaltungs- und Stiftungsräte).
Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung droht das System allerdings nun zunehmend an seine Grenzen zu gelangen. Während in der Politik für die eidgenössische und kantonale Ebene die Nachfrage noch das Angebot übersteigt, kämpfen die rund 2’500 Schweizer Gemeinden vermehrt um die Besetzung ihrer Exekutiven und Kommissionen. Bisweilen werden Amtsträger nun sogar per Zeitungsinserat gesucht, und erste Kantone nehmen auch Abschied von der Wohnsitzpflicht am Standort.
Auch die Armee ist gefordert, den Nachwuchs ihrer Führungskader sicherzustellen in einem Berufsumfeld, das durch verstärkten Wettbewerb und bisweilen «Präsenzkultur» gekennzeichnet ist.
«Viele Milizaktivtäten finden heute in Sportvereinen und Hobbyorganisationen statt»
Aber auch ein gesellschaftlicher Wertewandel trägt dazu bei, dass sich Prioritäten verschieben: Ein Grossteil der Milizaktivtäten findet heute im Rahmen von Sportvereinen und Hobbyorganisationen statt. Das ist nicht per se negativ, doch letztlich konkurrieren sie um das knappe Zeitbudget der dienstleistenden Bürger.
Was sind denn die vielfältigen Vorteile des Systems? Für den Staat respektive die Institutionen liegen sie im Wissenstransfer, aber auch in einer meist sorgfältig austarierten, symmetrischen Interessenvertretung (etwa politische Kommissionen). Ferner lassen sich so besonders Funktionen mit schwankendem Arbeitsanfall effizienter organisieren (etwa Feuerwehr oder Aufsichtsgremien). Ebenso gewinnt in Situationen mit Unsicherheit die Qualität von Entscheidungen aufgrund der breitgefächerten Kompetenz der Gremien.
Für den Dienstleistenden liegen die Vorteile ebenso im Wissenstransfer, im neudeutschen «Job Enrichment», einem Einblick in andere Bereiche, aber auch in einem Gewinn bezüglich Netzwerk, Beziehungen und Kameradschaft. Die Auftraggeber, die den Dienstleistenden meist für diese Funktionen frei stellen, profitieren unter anderem von einem Informationsrückfluss zugunsten ihrer eigenen Institution.
«Die Führungsausbildung in der Armee als Nutzen für die Wirtschaft wird wieder erkannt»
Da das Milizengagement oft auf intrinsischer Motivation beruht respektive eine allfällige Entschädigung im Hintergrund steht, ist es für den Empfänger auch kostengünstig. Als möglicher Nachteil der Miliztätigkeit könnten die meist unbekannten Opportunitätskosten gelten. Umso wichtiger ist es, den «Königsweg Miliz» als Errungenschaft, ja als Erfolgsfaktor unseres Landes zu propagieren und insbesondere ausländischen Mitbürgern ausführlich zu erklären, wie es der Freiburger Professor Reiner Eichenberger unlängst an einer Veranstaltung zum Ausdruck brachte.
Der souveräne Umgang mit den – oft auf einer demokratischen Wahl basierenden – Milizämtern ist deshalb notwendig, um nicht nur ihre Akzeptanz, sondern ihre weitere Förderung auch in einer internationalisierten Wirtschaft sicherzustellen.
Dass die Führungsausbildung in der Armee durchaus von Nutzen für die Wirtschaft ist, wird neuerdings wieder eher erkannt. Weitere Erleichterungen, wie der erwähnte Fall der Wohnsitzpflicht für Gemeindepolitiker wären wünschenswert. Zu überlegen wäre ferner die steuerliche Entlastung respektive Freistellung von durch Milizämtern erzielten Zusatzeinkommen – dies würde ihre Attraktivität zweifellos fördern.
Die Gedanken basieren auf einer kürzlichen Podiumsveranstaltung von Axa Investment Managers mit:
- Korpskommandant Philippe Rebord, Chef der Armee
- Prof. Dr. Reiner Eichenberger, Universität Fribourg
- Dr. Vera Kupper Staub, Vizepräsidentin, OAK BV, Bern
- Natalie Rickli, Nationalrätin SVP und Partner Relation Manager bei Goldbach Media
- Josef Maushart, CEO/VRP, Fraisa, Kantonsrat CVP und Präsident, Industrieverband Solothurn Inveso
- Stefan Schedle, Vizepräsident des Stiftungsrates, Pensionskasse der Axa-Gesellschaften
Werner E. Rutsch ist seit 2010 Mitglied der Geschäftsleitung von Axa Investment Managers (Schweiz) und Leiter Institutional Business. Er studierte Volks- und Betriebswirtschaft an der Universität Bern, wo er 1994 auch promovierte. Mehr als 15 Jahre war er in leitenden Funktionen im Bankwesen tätig.
Der 48-jährige Rutsch hat zahlreiche Artikel zu Wirtschaftsthemen, insbesondere über Bankmarketing und -kommunikation, publiziert und verfasste als Co-Autor das 2008 erschienene Standardwerk «Swiss Banking – wie weiter?».
Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Guido Schilling, Claude Baumann, Adriano B. Lucatelli, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Dan Steinbock, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Peter Kurer und Kinan Khadam-Al-Jame.