Das Credit Research der Zürcher Staatsbank analysiert die Halbjahresabschlüsse von Schweizer Industrieunternehmen. Die Inflation und der Arbeitskräftemangel sind in den Hintergrund gerückt, und China wird nicht mehr als die verlängerte Werkbank der Welt betrachtet. Was bedeutet dies für die Anleger?
Wer als Anleger davon ausgeht, dass ein Schweizer Schuldner seine Anleihen während der Laufzeit immer ordentlich bedient (also die Couponzahlungen leistet) und am Ende auch fristgerecht den Nominalbetrag zurückbezahlt, hat zwar meistens, aber nicht immer recht. Aktuell ist der Schuldner GZO Spital Wetzikon die recht prominente Ausnahme von der Regel. Er ist weiterhin nicht in der Lage, die überfällige Anleihe zurückzuzahlen.
Doch auch mit Unternehmensschuldnern kann man Geld verlieren. In ewiger Erinnerung bleibt der Ausfall von Swissair 2001, des damals grössten inländischen Corporate am Markt. Und vor noch nicht allzu langer Zeit mussten die Obligationäre des Technologieunternehmens Kudelski zittern, weil unsicher war, ob dieser liquide genug wäre, um seine Ende September fällige Anleihe zurückzuzahlen – erst Anfang Juli wurde bekannt, dass er sich eine Kreditfazilität über den entsprechenden Betrag von 150 Millionen Franken hat sichern können (und etwas später teilte Kudelski mit, Skidata verkauft zu haben, was genügend Mittel in die Kasse spült).
Relevant auch für die Aktionäre
Bei den Schweizer 17 Industrieschuldnern, deren Halbjahresabschlüsse die Zürcher Kantonalbank (ZKB) in einer am Donnerstag publizierten Studie («Industrie-Emittenten: H1 2024-Abschlüsse») analysiert hat, zeichnet sich glücklicherweise kein Zahlungsausfall ab. Aber es gibt andere gute Gründe, genauer hinzuschauen.
Erstens deckt die ZKB darin illustre und gewichtige Gesellschaften ab, nämlich ABB, Autoneum, Bobst, Bucher, Burckhardt, Clariant, Dätwyler, Georg Fischer, Givaudan, Holcim, Kühne & Nagel, Lonza, OC Oerlikon, Rieter, SFS, Sika und Sulzer. Sie nimmt dabei die Sichtweise der Obligationäre ein und setzt damit andere Akzente als das Aktienresearch. Aktien und Obligationen sind aber nicht zwei getrennte Welten; die Ausführungen von ZKB-Bonitätsanalyst Adrian Knoblauch sind auch für Aktionäre dieser Gesellschaften relevant.
Wie läuft die Weltkonjunktur?
Da es sich zweitens meist um ausgeprägt exportorientierte Unternehmen handelt, liefert die Studie unter anderem mit deren Investitionsplänen auch Hinweise von der Branchenentwicklung bis hin zur Weltkonjunktur.
Drittens erlaubt sie Aufschlüsse darüber, wie die Unternehmen den Kapitalmarkt als Finanzierungsquelle nutzen. Nach dem Untergang der Credit Suisse steht das Firmenkundengeschäft der Banken unter scharfer Beobachtung. Dabei sollte nicht vergessen gehen, dass Anleihen für mittlere und grössere Unternehmen oft eine valable Alternative zu Bankkrediten sein können und zudem für eine breite Investorenbasis bürgen.
Opportunitäten für aktive Investoren?
Viertens werden Obligationen während der Laufzeit wie Aktien gehandelt; aktive Investoren können daher versuchen, fundamental nicht gerechtfertigte Bewertungsunterschiede auszunutzen. Auch diesbezüglich gibt Knoblauch Empfehlungen ab.
Um das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen und gerade damit zu beginnen: Die Emittenten derselben Ratingkategorie (die ZKB stützt sich dabei auf ihre eigenen, im aktuellen «Swiss Rating Guide» zusammengefassten Bewertungen ab, die Spanne reicht von A bis BB–) würden vom Markt ziemlich ähnlich eingestuft, die Unterschiede seien so klein, dass sich Relative-Value-Trades aufgrund der Geld-Brief-Spanne kaum lohnten. Eine Ausnahme bilde das BBB-Segment mit Sulzer, Georg Fischer und Dätwyler. Das ist für Knoblauch nachvollziehbar, weil diese Emittenten noch nicht lange so eingestuft sind.
Schwieriges Pflaster für Schuldner unterhalb der Anlagequalität
Bietet der Anleihenmarkt eine valable Alternative zu Bankkrediten? Die ZKB stellt fest, dass es Schuldner ohne das Gütesiegel der Anlagequalität (also mit einem Rating von BB+ und tiefer) schwer haben. Autoneum habe im Frühling eine geplante Emission ziemlich abrupt abgebrochen, «möglicherweise wegen Diskrepanzen zwischen Renditevorstellungen der Investoren und den alternativen Finanzierungsformen von Banken».
Für Non-Investment-Grade-Corporates bleibt der qualitätsbewusste Schweizer Anleihenmarkt offenbar ein schwieriges Pflaster. Aus dieser Gruppe gelang es in den vergangenen Monaten bisher einzig dem (nicht von der Studie abgedeckten) Bauunternehmen Implenia, eine Anleihe zu emittieren. Für Unternehmen mit Anlagequalität ist das in der Regel kein Problem. Lonza wird gemäss ZKB dieses Jahr noch weitere Anleihen emittieren, andere, wie Bucher und Sulzer, haben wiederum so viele liquide Mittel, dass sie fällige Anleihen gar nicht refinanzieren müssen.
Vorsichtige Investitionspläne
Fazit zu Punkt 3: Ja, der Schweizer Anleihenmarkt bildet eine valable Alternative zu Bankkrediten, allerdings nicht unbedingt für Unternehmen mit tiefer Bonität – diese bleiben meist auf andere Finanzierungsquellen angewiesen.
Bei den Investitionsplänen ist eine generelle Zurückhaltung zu spüren. Bucher hoffe indes darauf, dass die mit den sinkenden Zinsen günstigeren Finanzierungsbedingungen die Investitionsbereitschaft der Landwirte wieder erhöhten, stellt Knoblauch fest. Mit Ausnahme von Lonza werde aber kaum in Wachstumsprojekte investiert.
Sorgenkind Autoindustrie – Aufsteller Branchenmessen
Die Unternehmen hätten zwar von einer robusten Nachfrage in Europa berichtet, seien aber mehrheitlich der Ansicht, dass die Wirtschaftsdynamik abgenommen habe. Speziell schwierig ist das Umfeld für die europäische Autoindustrie, worunter neben Autoneum auch SFS, Sika, Dätwyler, Georg Fischer und OC Oerlikon litten. Bemerkenswert ist die Beobachtung der ZKB, dass sich physische Branchenmessen (die wegen der Pandemie lange nicht stattfinden konnten) sehr erfreulich im Absatz der Teilnehmer niedergeschlagen hätten.
Bezüglich Inflation sind die Unternehmen entspannter unterwegs als auch schon. Sie gehen davon aus, dass der Rohstoffzyklus gedreht hat und die Energiepreise weiter sinken. Lohnsteigerungen und der Arbeitskräftemangel seien deutlich weniger thematisiert worden als im Vorjahr. Aufgrund der Konjunkturabkühlung gehen aber die Aufträge zurück, was auf schwaches zweites Halbjahr hindeutet.
Steht die ausgewiesene Liquidität auch tätsächlich zur Verfügung?
Doch auch die Geopolitik hat Auswirkungen. Viele international tätige Schweizer und ausländische Unternehmen betrachten China nicht mehr als «verlängerte Werkbank» für den Weltmarkt und errichten Produktionsstätten in anderen Regionen, speziell in Asien («Friendshoring»), was zu einer Neuordnung der Lieferketten führt. Die in der ZKB-Studie analysierten Corporates machen bei diesem Diversifikationstrend mit und spüren ihn auch in Form einer höheren Nachfrage in Nordamerika (auch getrieben durch staatliche Stimulierungsprogramme) und Asien.
Die ZKB gibt in diesem Zusammenhang eine auch für Aktionäre wertvolle Information preis (womit wir beim ersten Punkt gelandet sind). An den Analystenkonferenzen sei mehrfach zur Sprache gekommen, dass die verfügbare Liquidität auf der Bilanz eines Unternehmens nicht jederzeit vollumfänglich zur Verfügung stehe, weil in Jurisdiktionen wie China oder Brasilien gewisse Kapitalkontrollen herrschten.
Verschuldungsthematik entschärft – Aktionärsinteressen rücken in Vordergrund
Nicht immer decken sich die Aktionärsinteressen mit denen der Obligationäre. Bis auf Autoneum und Rieter habe kein Unternehmen davon gesprochen, die Verschuldung reduzieren zu wollen. Diese Thematik sei womöglich wegen des laufenden Zinssenkungszyklus und der Entspannung an der Inflationsfront in den Hintergrund gerückt. Ausserdem hatten viele Unternehmen als Reaktion auf den Inflationsschub Kostensenkungsprogramme lanciert, die Wirkung zeigen. Aktionärsinteressen würden nun wieder stärker gewichtet, so beobachtet die ZKB ein «gewisses Comeback» von Aktienrückkäufen.
Knoblauch konstatiert zudem, dass sich das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) wieder belebt hat. Dabei liege der Fokus meist auf der Verstärkung des Service-Geschäfts oder auf technologieaffinen Unternehmen mit hohem Softwareanteil, und weniger auf direkten Konkurrenten.
Das Dilemma der Obligationäre und Aktionäre mit M&A
Die Unternehmen kaufen aber nicht nur dazu, sondern trennen sich auch von Geschäftszweigen. Bei OC Oerlikon steht beispielsweise der Verkauf der Division Polymer-Processing und bei Holcim die Verselbständigung des US-Geschäfts auf dem Programm.
Dazu zum Schluss eine Feststellung nicht der ZKB, sondern von finews.ch: Dass M&A den Börsenwert von Unternehmen nicht in jedem Fall steigern, ist bekannt. Aber auch Obligationäre haben mitunter zwei Herzen in der Brust. Eine Übernahme schwächt zwar oft die Bonität eines Unternehmens, muss aber finanziert werden und sorgt damit für Nachschub an frischen Anleihen. Umgekehrt spült ein Verkauf Liquidität in die Kasse, doch Unternehmen mit hoher Liquidität haben den Kapitalmarkt gar nicht mehr nötig.