Mit Krediten an den Archegos-Eigentümer haben die Schweizer Grossbanken Milliarden verloren. Das von Bill Hwang ausgelöste Debakel rückt die boomenden Aktien von chinesischen Firmen in ein schiefes Licht.

Mit dem «Tiger-Baby» Bill Hwang haben einige der renommiertesten Banken der Welt – darunter die Schweizer UBS und Credit Suisse (CS) – bis anhin rund 10 Milliarden Dollar verloren.

Wie am Montag auch finews.ch berichtete, nahm die CS letztes Jahr mit ihren Diensten für Hwangs Finanzfirma Archegos kümmerliche 16 Millionen Dollar ein. Dafür erlaubte das Institut dem New Yorker Family Office bei einigen Transaktionen einen zehnfachen Kredithebel (Leverage).

Alarmierte Aufsicht

Die Pleite von Archegos im vergangenen März hat die CS mit bisher 4,7 Milliarden Dollar am schwersten von allen involvierten Banken getroffen. Bei der Schweizer Konkurrentin UBS schlug die Pleite mit immerhin 774 Millionen Dollar zu Buche. Fürs zweite Quartal 2021 warnte die UBS vor weiteren 87 Millionen Dollar Verlust; bei der CS dürften es im zweiten Jahresviertel nochmals 600 Millionen Franken werden.

Derweil hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) ein Verfahren gegen die CS eingeleitet, und die US-Notenbank nimmt diverse involvierte Finanzhäuser unter die Lupe. Der Staub ums Debakel hat sich also noch längst nicht gelegt.

Die Mär vom Wachstum

Mittlerweile zeigt sich, dass der Fall Archegos viel weitreichendere Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben könnte. Die knallend geplatzten Wetten des Mannes, der an der Wall Street als «verrücktes, geldvermehrendes Genie» hofiert wurde, rücken auch die Firmen ins Rampenlicht, mit deren Aktien er Milliarden Dollar verspekulierte. Viele davon sind boomende chinesische Namen, und einige der Positionen waren zuvor schon in Zusammenhang mit Unregelmässigkeiten aufgefallen.

Das chinesische Medienunternehmen iQiyi etwa wurde bereits von der US-Börsenaufsicht SEC unter die Lupe genommen, als Gerüchte über getürkte Bilanzen die Runde machen. Der Firma GSX Techedu, ein weiterer Titel im Portefeuille von Archegos, wurde von den auf Leerverkäufe spezialisierten Hedgefonds Muddy Waters und Citron in aller Öffentlichkeit Anlagebetrug vorgeworfen.

Reich an Pleiten und Skandalen

Ein Kommentator der staatlichen Zeitung «South China Morning Post» (Artikel bezahlpflichtig) wirft nun die Frage auf, ob die Geduld westlicher Regulatoren mit den Aktien chinesischer Firmen aufgebracht sei: Das Zweit-Listing etwa an amerikanischen Börsen drohe, noch ganz verboten zu werden.

Spekulant Hwang figurierte in diesem Bild als die Spitze eines Eisbergs an verborgenen Risiken mit China-Aktien. Tatsächlich ist die «Wachstums-Story» rund um die zweitgrösste Volkswirtschaft, die auch hiesige Bankberater ihren Schweizer Kunden gerne erzählen, reich an Pleiten und Skandalen. Das zeigte sich vergangenes Jahr wieder im Fall von Luckin Coffee, der chinesischen Version der amerikanischen Kaffeehaus-Kette Starbucks. Diverse Grossbanken, darunter prominent die CS, hatten Luckin-Gründer Lu Zhengyao Lombardkredite von Hunderten Millionen Dollar gewährt.

Schon einmal verurteilt

Als bei Luckin Coffee Bilanzbetrug festgestellt wurde, sackte der Aktienkurs der als Sicherheit für die Kredite hinterlegten Luckin-Aktien ins Bodenlose. Die Banken blieben auf geschätzt 300 Millionen Dollar an Verlusten sitzen. In den USA schritt daraufhin der Regulator ein und liess die Aktie an der amerikanischen Technik-Börse Nasdaq dekotieren.

Sinnigerweise fiel Hwang schon einmal als Teil der Problematik mit China-Aktien negativ auf: Im Jahr 2012 klagte die SEC ihn und seinen damaligen Hedgefonds wegen Insiderhandels und der Manipulation von chinesischen Aktien an. Hwang bekannte sich schuldig, stimmte straf- und zivilrechtlichen Vergleichen in Höhe von über 60 Millionen Dollar zu, und schloss später den Fonds. Doch die Wall Street verzieh im schnell: Acht Jahre später gebot er mit Archegos über ein Vermögen von rund 10 Milliarden Dollar.

Über US-Titel gestolpert

Dass sich Hwang dann selber nach einem unerwarteten Kurssturz der Aktien des amerikanischen Medienkonzerns ViacomCBS in die Bredouille geriet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Jener US-Titel hatte innert Jahresfrist um 600 Prozent an Wert zugelegt; auf dem Kurshoch beschloss das Unternehmen eine Kapitalerhöhung – ein Schritt, der äusserst einträglich zu werden versprach, den Bogen bei den Börsianern aber überspannte.

Ein Übermass an Spekulation und Gier kann also auch Investoren in westliche Firmen zum Verhängnis werden.