Mit seiner Finanzfirma Archegos managte der frühere Hedgefonds-Manager Bill Hwang Investments von bis zu 100 Milliarden Dollar. Das Unglaubliche dabei: Niemand bekam etwas davon mit – bis sich das Imperium in Luft auflöste.
Die erste Wortmeldung von Archegos Capital Management nach dem Debakel der letzten Tage war höchst einsilbig. In einer von einer Medienagentur verbreiteten Erklärung hielt die New Yorker Finanzfirma fest, man diskutiere nun «sämtliche Optionen». Weiter beklagte das Family Office von Ex-Hedgefonds-Manager Bill Hwang (Bild unten), dass dies eine schwere Zeit fürs Unternehmen, die Mitarbeitenden und die Partner sei.
Panikartige Verkäufe
Nicht nur für sie: Diverse Grossbanken Banken, darunter die Schweizer Credit Suisse (CS) und die UBS, hatten Archego mit Investmentbank-Diensten und Krediten zuhauf alimentiert. Letzte Woche geriet die 2012 gegründete Finanzfirma in Schieflage, weil die Aktie des Medienkonzerns Viacom CBS deutliche Kursverluste erlitten hatte.
Dann überstürzten sich die Ereignisse. Nachdem Archegos Capital den «Margin Calls», also der Nachschusspflicht gegenüber den Banken, nicht nachkommen konnte, musste der Fonds seine Positionen auflösen. Es folgten panikartige Aktienverkäufe von gegen 40 Milliarden Dollar, während sich die Milliardenkredite der Banken an Archegos in Luft auflösten.
Gewaltiges Vermögen
Bei der CS steht Bankchef Thomas Gottstein vor einem Scherbenhaufen, wie finews.ch analysierte. Schätzungen gehen von Verlusten von bis zu 5 Milliarden Dollar für das Institut aus. Die UBS schweigt bisher eisern zu den Folgen des Debakels fürs eigene Geschäft.
Archegos bedeutet auf Griechisch «der, welcher den Weg anführt». Nun zeichnet sich ab, dass Hwang mit seiner Firma eine höchst renommierte Runde von Banken an den Rand des Abgrunds führte, über den er mit seinem Investment-Imperium selber stürzte. Die Agentur «Bloomberg» (Artikel bezahlpflichtig) schätzt die Kapitalisierung von Archegos – im eigentlichen Sinne das Vermögen von Hwang – auf 10 Milliarden Dollar.
Begonnen hatte er vor neun Jahren mir rund 200 Millionen Dollar Startkapital.
«Verrücktes, geldvermehrendes Genie»
Die Höhe der Positionen, welche das Family Office mithilfe der Banken und massiven Fremdkapital-Hebeln bewegte, kann noch gar nicht abgeschätzt werden. Waren es 20, 50 oder gar 100 Milliarden Dollar? Kein Wunder, dass Gründer Hwang unter seinesgleichen als «verrücktes, geldvermehrendes Genie» galt, wie die britische Zeitung «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) berichtete.
Die Frage zeigt das schier Unglaubliche am Archegos-Debakel: Innert weniger Tagen hat sich eines der grössten Privatvermögen an der Wall Street in Luft aufgelöst – und offenbar wusste niemand, dass es überhaupt existierte.
Dies erstaunt umso mehr, als Hwang im New Yorker Finanzmekka eine Zeit lang als persona non grata galt. Im Jahr 2001 gründete er die damalige Tiger Asia Management, nach seiner Zeit als sogenanntes «Tiger-Baby» – ein Begriff, der auf ein Dutzend Hedgefonds mit Wurzeln beim renommierten Hedgefonds-Manager Julian Robertson und dessen Tiger Management zurückgeht.
Millionen-Busse in den USA
Tiger Asia wuchs zu einem Multi-Milliarden-Dollar-Hedgefonds und einem der grössten Investoren auf den asiatischen Finanzmärkten heran. Doch 2012 klagte die US-Börsenaufsicht SEC Hwang und Tiger Asia wegen Insiderhandels und der Manipulation von chinesischen Aktien an. Hwang bekannte sich schuldig, stimmte straf- und zivilrechtlichen Vergleichen in Höhe von über 60 Millionen Dollar zu, und schloss später den Fonds. Das Traditionshaus Goldman Sachs weigerte sich danach jahrelang, mit ihm Geschäfte zu machen – und tat es nach 2018 doch wieder.
Mit Archegos Capital Management trat Hwang ab 2012 deutlich leiser auf. Die Tatsache, dass es sich dabei um ein Family Office handelte, führte zu einer viel lockereren Aufsicht. Gegenüber der SEC müssen Family Offices weder den Eigentümer, das Management noch die verwalteten Vermögen offenlegen.
Aus den eigenen Büchern gezaubert
Wie in den letzten Tagen publik wurde, wickelte der Finanzprofi seine Wetten auf Aktien wie Viacom CBS und Disney, aber auch von chinesischen Firmen wie Tencent und Baidu, zudem über komplizierte Derivate-Strategien ab. Das trug ebenfalls zur Verschleierung jener Positionen bei. Dank Swap-Konstrukten landeten die Investments nicht etwa in den Büchern von Archegos, sondern effektiv in den Bilanzen der Banken, welche die Derivate für das Family Office aufsetzten.
So füllte die Finanzfirma nie ein so genanntes 13F-Formular aus, das in den USA jeder Fonds einreichen muss, der mehr als 100 Millionen Dollar an einer Firma hält.
An dem Derivate-Setup verdienten die mit ihm verbündeten Investmentbanken bestens, und sie erlaubten Hwang riesige Kredithebel: Für jede Aktie, die Archegos selber hielt, liehen die Institute dem Family Office bis zu 20 weitere Papiere, wie die «Financial Times» berichtete.
Wie von Geisterhand
So kam es, das nur zehn Banken Kredite von geschätzten 50 Milliarden Dollar bei Archegos ausstehend hatten. Derweil wunderten sich letztes Jahr Marktbeobachter, warum die Kurse gewisser, von Archegos gehaltenen Titel wie von Geisterhand zum Höhenflug ansetzten.
Jetzt reibt man sich bei den betroffenen Banken die Augen, und wird es wohl noch eine Weile tun: das klandestine Reich von Hwang ist noch nicht vermessen worden. Nicht zuletzt deswegen hat die Grossbank CS vorerst davon abgesehen, konkrete Zahlen zu ihren Verlusten aus der Bankbeziehung zu Archegos zu nennen.