Leonteq und das Bleichgesicht

Diskret aber beharrlich hat sich Lukas Ruflin zum Dreh- und Angelpunkt innerhalb der Firma Leonteq emporgearbeitet. Wer ist dieser Mann, der afrikanische Wurzeln hat, Russisch spricht und Abenteuerromane liest?

In der zehnjährigen Saga rund um die Schweizer Derivatefirma Leonteq war viel von Jan Schoch, der Galionsfigur des Unternehmens, die Rede. Dabei war es recht eigentlich jemand anders, der im Hintergrund die Fäden zog: Lukas Ruflin, Mitgründer und früherer Weggefährte Schochs, der auch dessen Ablösung als CEO begünstigte.

Der 42-jährige Ruflin ist tatsächlich ein höchst diskreter Mann, der seit Neustem fast zehn Prozent des Unternehmens besitzt und im Gegensatz zu Grossaktionär Rainer-Marc Frey über all die Jahre als Verwaltungsrat ganz nahe an der wechselvollen Entwicklung von Leonteq beteiligt war. Jedoch nie so, dass man ihm aufgrund der strategischen Versäumnisse der operativen Führung einen Strick daraus hätte ziehen können.

Das grosse Los?

Er blieb lange Zeit im Hintergrund, doch als es hart auf hart ging, war er es, der immer mehr Verantwortung übernahm und heute tatsächlich der führende Kopf der Firma ist, selbst wenn viele Beobachter und Fachleute lieber Frey huldigen. Doch wer ist dieser nach wie vor unscheinbare Ostschweizer, der das ganz grosse Los ziehen dürfte, falls Leonteq nachhaltig wieder auf Kurs kommt?

Seit der Finanzkrise und der damit verbundenen Zäsur im Swiss Banking hat die Branche viel darüber philosophiert, wie der Prototyp des Schweizer Bankers von morgen aussehen könnte. Und lange Zeit galten Julius-Bär-Chef Boris Collardi oder Vontobel-CEO Zeno Staub als Anwärter auf dieses Profil.

Der «Weisse»

Doch recht eigentlich entspricht Ruflin mit seinem vielseitigen Wesen, seiner unaufgeregten Art viel eher den Anforderungen eines Entscheidungsträgers im Schweizer Bankwesen der Zukunft. Und dies, obwohl Ruflin immer auch ein Exot war.

Allein schon deshalb: Der Arztsohn kam im afrikanischen Lesotho zur Welt. Von daher stammt auch sein zweiter – exotischer – Vorname Thabo. Später verbrachte er einen Teil seiner Kindheit in Kamerun, wo seine Eltern ein Spital leiteten, und wo man ihn «Le Blanc» nannte.

Manchmal eine 120-Stunden-Woche

Nach der Matura in St. Gallen absolvierte er bei der Beratungsgesellschaft PwC ein Praktikum – in Moskau. So konnte er erneut aussergewöhnliche Erfahrungen sammeln und vor allem auch Russisch fliessend sprechen lernen.

Die Bereitschaft, in immer neue Welten einzutauchen und sich mit Herz und Seele einer Sache zu verschreiben, zieht sich wie ein roter Faden durch Ruflins Werdegang. Auch nach dem Wirtschaftsstudium an der Hochschule St. Gallen, als er in die Finanzbranche wechselte: Für die US-Investmentbanken J.P. Morgan und Lehman Brothers schuftete er manchmal bis zu 120 Stunden die Woche.

Der Rest ist Geschichte

Im Jahr 2004 wechselte Ruflin zur damals noch eher wenig bekannten EFG International, einer Schweizer Privatbank mit griechischen Wurzeln der Familie Latsis, wo er 2007 den Derivatebereich EFG Financial Products mitgründete, dem Vorläufer der späteren Firma Leonteq.

Der Rest ist Geschichte; Ruflin machte zunächst eine steile Karriere bei EFG, wo er es bis zum stellvertretenden CEO brachte, und parallel dazu war er als Verwaltungsrat massgeblich an der Entwicklung der Firma Leonteq beteiligt, in deren Verwaltungsrat er 2009 einzog und heute Vizepräsident ist.


Kein Freund von Plattitüden

Die Abgehobenheit eines beruflichen Überfliegers geht ihm bis heute ab. Dazu wirkt Ruflin allzu geerdet, selbstkritisch und aufmerksam. Eher gehört er zu jener Spezie, die ihr Metier mit einem anderen Selbstverständnis angeht – ohne Pfründen aus der Vergangenheit, dafür leistungsorientiert. Er ist kein Freund von Plattitüden, und Ruflin ist auch kein Karrierist, der dank seiner familiären Herkunft oder im Hors-Sol-Klima einer Schweizer Grossbank noch oben gespült wurde.

Er macht seinen Weg mit Zielstrebigkeit, Interesse an der Sache und grossem persönlichem Engagement, wie sich in den vergangenen turbulenten Monaten bei Leonteq gezeigt hat. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb er seine Beteiligung an dem Unternehmen erhöht hat.

Gitarre in der Freizeit

In seiner Freizeit spielt der Leonteq-Vizepräsident bisweilen Gitarre, liest leidenschaftlich viel, von Klassikern der Weltliteratur bis zu Abenteuerromanen. Mit seinen vielseitigen Interessen stellt sich durchaus die Frage, ob er seine letzte Herausforderung tatsächlich in der Finanzbranche sieht. «Ich habe einen grossartigen Job, und ich muss noch liefern», sagt er. Eine Veränderung ist derzeit also kein Thema.

Als sich Jan Schon im vergangenen März an der Generalversammlung von Leonteq für den schlechten Geschäftsgang entschuldigen musste und damit letztlich auch seinen Abgang einläutete und Präsident Pierin Vincenz von den Aktionären einen gehörigen Denkzettel verpasst bekam, sass Ruflin geradezu cool auf dem Podium – fast gelangweilt, während seine Kollegen schwitzten.

Prost mit einem Glas Wasser

Nach der Wiederwahl der Mitglieder des Aufsichtsgremiums hob Ruflin unerwartet das Glas vor sich und sagte: «Darauf stosse ich gerne an – mit einem Glas Wasser.» Auch da war er wieder der Exot, aber mit dem längeren Atem, wie sich bald zeigen sollte.