Wenn die SNB die Geldpolitik strafft, haben Devisenverkäufe gegenüber Zinserhöhungen aus Sicht der Finanzstabilität einen Vorteil. Sie belasten die Bankbilanzen weniger. Dass die aktuelle Lockerungspolitik wieder zu negativen Zinsen führt, ist gemäss dem Nationalbankvize nicht geplant.

Von Anfang Jahr bis Ende September war er der (quotenfixierten Kreisen naturgemäss etwas suspekte) dritte Mann im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB), nun ist er Vizepräsident des obersten Entscheidungsgremiums: Antoine Martin.

Zusammen mit Präsident Martin Schlegel und dem Mitglied Petra Tschudin bestimmt er den Kurs der Schweizer Geldpolitik.

Auf Einladung der Swiss Financial Analysts Association (SFAA) gab er am Donnerstagabend in Zürich eine Einschätzung der Wirtschaftslage ab und legte auch dar, wie die SNB agiert, um die Preisstabilität zu bewahren und damit ihren Auftrag zu erfüllen. Dass er sich dabei an die Leitplanken hielt, welche das Direktorium bei seinem letzten geldpolitischen Entscheid vor erst zwei Wochen vorgegeben hatte, konnte nicht überraschen.

Wechselkursinstrument schont das Bankensystem

Dass die SNB die weltweit zu beobachtende Inflationswelle nach der Pandemie rascher in den Griff bekommen habe als andere Zentralbanken, habe daran gelegen, dass sie neben dem Leitzins auch das Wechselkursinstrument einsetzen könne. Die SNB hatte als Reaktion auf den Teuerungsschub Devisen verkauft, was zu einer Aufwertung des Frankens führte. Dadurch verringerte sich der Inflationsdruck der importierten Güter.

Das Wechselkursinstrument habe zudem den Vorteil, dass es anders als das Zinsinstrument die Bankbilanzen und damit das Finanzsystem weniger belaste, erklärte Martin, der als Vorsteher des II. Departements der SNB auch für die Finanzstabilität zuständig ist. Eine Reihe von Zinserhöhungen kann zu Turbulenzen im Finanzsektor führen, weil dann von Banken gehaltene längerlaufende Anleihen massiv an Wert einbüssen, wie die US-Regionalbankenkrise in Erinnerung gerufen hat.

Grosse Unterschiede zwischen den Wirtschaftsräumen

Derzeit tragen indes nicht die Preise importierter, sondern in der Schweiz hergestellter und angebotener Waren respektive Dienstleistungen zur Inflation bei. Eine wichtige Komponente bilden dabei die Mieten, die auch aufgrund der Regulierung tendenziell mit höheren Leitzinsen steigen, was für die SNB, die damit ja die Inflation bekämpfen will, eher kontraproduktiv ist. Die Mieten seien aber im jüngsten (und seit März definitiv abgeschlossenen) Zinserhöhungszyklus weniger stark gestiegen als befürchtet, hielt Martin fest.

Er beleuchtete auch die Unterschiede zwischen den grossen Wirtschaftsräumen. Sie senkten derzeit zwar alle ihre Zinsen. «Die USA wachsen aber weiterhin über Potenzial, und das schon lange erwartete Soft landing ist weiterhin nicht in Sicht. Dagegen lässt die angekündigte Erholung in Europa weiter auf sich warten, vor allem auch wegen der Schwäche in Deutschland.» Und China weist zwar vergleichsweise gute absolute Wachstumszahlen aus – sie liegen aber markant unter dem Durchschnitt der letzten Jahren und damit auch unter dem Potenzial.

Steuert die SNB wieder auf Negativzinsen zu?

Die Schweizer Wirtschaft schlägt sich in diesem Umfeld nicht schlecht. Allerdings entwickelt sich der Industriesektor gemäss Martin unterdurchschnittlich. Hier belastet zum einen die schwierige Situation in Deutschland, für viele Betriebe der wichtigste Absatzmarkt, und zum anderen die Schwäche Chinas, die insbesondere die Uhrenbranche trifft.

In der rege genutzten und thematisch vielfältigen Fragerunde (von Krypto über die Geopolitik bis zu Krankenkassenprämien) zeigte Martin, der als Ökonom über 20 Jahre meist in leitenden Positionen der US-Notenbank diente und damit auch die angelsächsische Debattenkultur bestens kennt, keine Blösse.

Auf die Frage, ob die SNB wieder zu Negativzinsen greifen werde, antwortete er, es gebe keine entsprechenden Pläne, und die Inflation bewege sich derzeit im Komfortbereich des Direktoriums. Aber Negativzinsen befänden sich nun einmal im Werkzeugkasten der SNB und sie könne bei Bedarf auch wieder darauf zurückgreifen.