Die Nationalbank setzt ihren behutsamen Lockerungskurs fort, rüstet den Zinsschritt aber rhetorisch auf. Sie erweitert das Angebot an Liquidität, die sie allen Banken bei Bedarf zur Verfügung stellen kann. Und sie zieht eine erste Bilanz zu Instant Payments und erwartet, dass sich der Standard mittelfristig im elektronischen Zahlungsverkehr durchsetzt.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) führt ihren im März eingeschlagenen Lockerungskurs mit ruhiger Hand weiter und senkt den Leitzins erneut um einen Viertelprozentpunkt auf 1 Prozent. Sie reagiert damit auf den abnehmenden Inflationsdruck, der sich auch in ihrer nach unten korrigierten Inflationsprognose spiegelt. Die SNB ist damit nicht den in den letzten Wochen lauter gewordenen Sirenengesängen des Marktes erlegen, die für eine noch kräftigere Zinsreduktion auf 0,75 Prozent warben.
Allerdings betonte Thomas Jordan, bis Ende September noch Präsident des Direktoriums, beim Verlesen des geldpolitischen Entscheids an der Medienkonferenz am Donnerstagvormittag gleich zweimal, in welche Richtung der Zinstrend weist. «In den nächsten Quartalen können weitere Zinssenkungen erforderlich werden, um die Preisstabilität in der mittleren Frist zu sichern.» Und am Schluss seiner Ausführungen zur Geldpolitik legte er nochmals nach: «Wir werden die weitere Entwicklung genau beobachten und unsere Geldpolitik wenn nötig weiter lockern, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig im Bereich der Preisstabilität bleibt.»
Reise zu einem tieferen Zinsniveau geht weiter
In der Fragerunde stellte Jordan in Abrede, dass die SNB damit zum Konzept der Forward Guidance übergegangen sei, sich also mit Aussagen zur künftigen Ausrichtung der Geldpolitik festlegt. Es handle sich lediglich um eine Interpretationshilfe zur Inflationsprognose und auch nicht um eine bedingungslose Fixierung des künftigen Kurses der Geldpolitik – wie dies andere Zentralbanken in Europa und Übersee insbesondere in der Tiefzinsphase zur Steuerung der Markterwartungen mit sehr gemischtem Erfolg praktiziert haben.
In der Tat lässt schon die Absenkung der Inflationsprognose (speziell stark revidiert wurde der Wert für die Jahresteuerung 2025, nämlich von 1,1 auf 0,6 Prozent) vermuten, dass die Reise hin zu einen niedrigeren Zinsniveau noch nicht abgeschlossen ist. Und es ist auch richtig, dass sich es um eine bedingte Aussage handelt, welche die SNB nicht bindet.
Ungewöhnlich explizite «Interpretationshilfe» zum künftigen Zinspfad
Aber dass eine solche Ansage zum künftigen Zinspfad so explizit und gleich doppelt in einem geldpolitischen Entscheid gemacht wird, ist doch ziemlich aussergewöhnlich. Wahrscheinlich wollte das Direktorium den kleinen Zinsschritt so rhetorisch aufrüsten, nicht zuletzt mit Blick auf den Devisenmarkt. Dazu passte auch Jordans Einschätzung, dass die Abwärtsrisiken für die Inflation zurzeit höher sind als die Aufwärtsrisiken.
Der harte Franken ist auch ein wichtiger Grund, weshalb der Inflationsdruck gegenüber der Lagebeurteilung im Juni so stark abgenommen hat. Daneben erwähnte Jordan den günstigeren Ölpreis und prospektiv die per 2025 tieferen Strompreise. Die Zweitrundeneffekte fielen daher auch in der mittleren Frist geringer aus. Geldpolitiker haben auf Zweitrundeneffekte immer ein besonderes Auge, können diese doch dazu führen, dass aus einem einmaligen Inflationsschub eine längere Inflationsspirale wird.
Abwärtsdruck auf Inflation frühzeitig erkannt und gehandelt
Recht optimistisch beurteilte der scheidende Präsident die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts wird gemäss SNB von 1 Prozent im laufenden auf 1,5 Prozent im kommenden Jahr anziehen.
Insgesamt war Jordan die Genugtuung anzumerken, dass sich die frühe Zinssenkung im März (vor den meisten anderen Zentralbanken) im Lichte der seitherigen Inflationsentwicklung als richtig herausgestellt hat. Und in Bezug auf die unter seiner Ägide stark ausgeweitete Nationalbankbilanz merkte er bei passender Gelegenheit an, die Wirtschaftslage in der Schweiz sähe heute ganz anders aus, hätte die SNB ihre Bilanz nicht für die Geldpolitik dermassen in Anspruch genommen.
Im Bedarfsfall Notenbankliquidität für alle Banken
Sein Nachfolger Martin Schlegel, derzeit noch Vizepräsident, widmete sich einer Thematik, die mit dem Fall der Credit Suisse brisanter geworden ist und die er bereits im Juni angesprochen hatte: der Rolle der SNB als Kreditgeberin für das Bankensystem in einer Krise. In normalen Zeiten können sich Banken Liquidität am Interbankenmarkt oder über ein Repogeschäft bei der SNB beschaffen. Für solche Repogeschäfte akzeptiert die SNB aber nur erstklassige Wertpapiere als Besicherung (Collateral) – und wenn es kriselt, werden solche erfahrungsgemäss rasch knapp.
2019 hatte die SNB daher eine Initiative gestartet mit dem Ziel, dass sie dann allen (und nicht nur den systemrelevanten Banken) Liquidität gewähren kann. Als Sicherheit dienen dabei die von einer Bank vergebenen Hypotheken – auf dieses Asset entfallen 85 Prozent des inländischen Kreditvolumens.
Breitere Palette an Sicherheiten
«Wir erwarten von den Banken, dass sie sich darauf vorbereiten», hielt Schlegel quasi mit ausgestrecktem Mahnfinger fest. Immerhin scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben. «Als wir die Initiative 2019 lancierten, war das Interesse der Banken daran bescheiden. Das sieht heute nach der Erfahrung von 2023 ganz anders aus.»
Bereits bisher konnten die systemrelevanten Banken auch Liquidität gegen einen breiten Kreis von qualitativ weniger guten Wertschriften (Anleihen von Schuldner tieferer Bonität, Verbriefungen und Aktien in verschiedenen Währungen) beziehen. Um ihr Collateral-Risiko zu reduzieren, wendet die SNB dabei Abschläge (Haircuts) an; im Repogeschäft gibt es diese nicht.
Ein mit Verpflichtungen verbundenes Angebot
Neu wird dieses Angebot allen Banken offenstehen. Die Details dazu werden noch zusammen mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement und der Finanzmarktaufsicht ausgearbeitet. Aber schon jetzt ist klar, dass die Banken in die Pflicht genommen werden: Künftig müssen sie ein bestimmtes Volumen an Sicherheiten für den Bezug von Liquidität bei der SNB bereithalten.
Antoine Martin, bisher Leiter des III. Departements und bald Vize, zog eine vorläufige Bilanz zur Einführung von Instant Payments, die am 20. August erfolgte. Sie fiel positiv aus: 60 Banken machen mit, teilweise gab es über 10'000 solche Zahlungen pro Tag, und die Verarbeitungszeit beträgt durchschnittlich zwei Sekunden.
Echte Vorteile auch für Private?
Martin unterstrich ausserdem die Vorteile für Private, Unternehmen und Geschäftsbanken. Für Banken gebe es keine Gegenparteirisiken mehr, Unternehmen profitierten von einem vereinfachten Liquiditätsmanagement, und ein privater Käufer z.B. eines Fahrzeugs müsse mit der Übernahme nicht mehr warten, bis der Betrag auf dem Konto des Verkäufers eingetroffen sei; für letzteren Fall stünde allerdings mit Bargeld eine effiziente Zahlungsform zur Verfügung, die obendrein mit einem nicht zu schlagenden Track Record aufwarten kann.
Die SNB erwartet, dass sich Sofortzahlungen mittelfristig als neuer Standard im elektronischen Zahlungsverkehr durchsetzen werden, mit «wettbewerbsfähigen Konditionen», wie Martin mit Blick auf die heute noch teilweise beträchtlichen institutsspezifischen Gebühren präzisierte.