So manche Bankführungen haben in den Abschlüssen für das Jahr 2022 kräftig mit Reserven hantiert. Das geschieht mit dem Plazet der Aufsicht – und muss trotzdem in seinem Ausmass verwundern.
Der Abschluss-Reigen zum Geschäftsjahr 2022 ist in der Finanzbranche bald beendet. Rasch hat sich gezeigt, dass das turbulente Anlagejahr und die eingetrübte Konjunktur vielen Banken zu schaffen gemacht haben.
Dennoch haben einige Finanzhäuser unter dem Strich deutlich besser abgeschnitten, als es das garstige Umfeld vermuten liess. Zweifellos war dies häufig ein Verdienst von Management und Angestellten. Mitunter schienen aber auch andere Kräfte gewirkt zu haben.
Beliebt bei Kantonalbanken
Das Zauberwort heisst «Reserven für allgemeine Bankrisiken». Zu diesem Mittel griffen zuletzt gleich mehrere Kantonalbanken. So haben die Staatsbanken aus Neuenburg und St. Gallen, aber auch das Institut aus Basel Stadt mit seiner Tochter Bank Cler, mithilfe dieser Position die Ergebnisse getrimmt. Neben den Zugern gingen die Basler in ihrem «disziplinierten Bilanz-Management» weiter als die Konkurrenz.
So wurde beim Basler Bankhaus mit Hilfe der Reserven für allgemeine Bankrisiken von 78,8 Millionen Franken rund ein Drittel des tatsächlichen Geschäftserfolgs überwiesen. Gleichzeitig wurde aus einer Zunahme des Geschäftserfolgs von 4 Prozent ein um 15 Prozent höherer Konzerngewinn, vor allem weil die Zuweisung in die Reserve etwas geringer war als vor Jahresfrist.
Wie von Zauberhand
Der Clou: trotz Veränderung der Reserve für allgemeine Bankrisiken bleibt das Eigenkapital unverändert – und zwar sowohl das Eigenkapital gemäss Bilanz als auch das regulatorische Kapital und damit die Eigenmittelquoten. Mit anderen Worten wird der ausgewiesene Reingewinn verändert, ohne dass sich an der finanziellen Lage oder den Eigenmittelpolstern der Bank etwas verändert.
Derselbe Kniff war im Abschluss der Aargauer Kantonalbank zu beobachten. Durch die beinahe Verdoppelung der Reserve für allgemeine Bankrisiken wurde ein Gewinn aus einem Beteiligungsverkauf praktisch weggewischt. Nichts davon schlug sich hingegen in einer Verstärkung der Eigenmittelpolster der Bank nieder. Stattdessen vergrösserte sich für die Bankleitung der Spielraum zum Ergebnismanagement, machen doch die Reserven für allgemeine Bankrisiken fast die Hälfte des Eigenkapitals des Instituts aus.
Grosszügige Aufsicht
Dass an Geschäftsabschlüssen mit Hilfe der Reserven für allgemeine Bankrisiken geschraubt wird, ist nicht selten, muss aber irritieren. Gleichwohl sieht die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) daran nichts Anstössiges. Sie toleriert diese Art von Justierungen nicht nur, sie stellt dafür sogar das Prädikat «True and Fair View» aus. Mit diesem Finma-Siegel versehen, winkt auch die Schweizer Börse SIX solcherart überarbeitete Abschlüsse durch.
Der Umgang mit Reserven für allgemeine Bankrisiken ist eine helvetische Eigenheit. Es handelt sich um ein Unikum der Schweizer Bankenrechnungslegung, allerdings ist es nicht unumstrittene.
Keine Kleinigkeit
So muss es Aussenstehende verwundern, dass diese Reserven dank Finma-Plazet erfolgswirksam gebildet und aufgelöst werden können. Mit anderen Worten: Ihre Handhabung über die Erfolgsrechnung schlägt direkt und eins zu eins auf den Reingewinn einer Bank durch. So kann etwa aus einem enttäuschenden Erfolg aus dem Bankgeschäft im Handumdrehen ein glänzender Reingewinn entstehen.
Weiter wird diese Reserve direkt von der Geschäftsleitung und dem Management – ohne Beschluss der Generalversammlung – verwaltet. Damit können die Topmanager praktisch schalten und walten, wie es ihnen beliebt.
Sonderbewillugung für Banken
In allen anderen Branchen ist solches Treiben zur Gewinnbeeinflussung nicht erlaubt. Im Obligationenrecht dürfen zum einen Reserven nur aus einbehaltenen Gewinnen im Rahmen der Gewinnverteilung direkt über die Bilanz gebucht werden. Zum andern hat die Generalversammlung das letzte Wort dazu.
Für die Bankspitzen ist der Reserventransfer ein beliebtes Instrument, um Gewinne aufzupeppen – ganz legal und ohne direkte Eingriffsmöglichkeit der Eigner.
Spiel in zwei Richtungen
Dabei funktioniert die Beeinflussung in zwei Richtungen. In ausserordentlich erfolgreichen Jahren kann ein Teil des Gewinns in der Reserve verpackt werden. Umgekehrt kann die Geschäftsleitung nach einem enttäuschenden Geschäftsjahr einen mutigen Griff in die Reserven für allgemeine Bankrisiken machen und so das Resultat um ein ansehnliches Sümmchen ergänzen.
Beschwichtigend lässt sich zwar einwenden, dass es um eine legale Gewinnglättung geht. Allerdings verändern sich dabei weder die Risikopolster der Bank noch verbessert sich die Fähigkeit, Verluste zu absorbieren. Letztlich bleibt also ein Nachgeschmack – zumal bei gewinnabhängig verteilten Boni an die Geschäftsleitung.