Reifeprüfung bestanden: Diese Weine altern hervorragend

Wein besitzt im Gegensatz zu anderen Getränken die geniale Fähigkeit zu reifen und im Alter aussergewöhnliche Erlebnisse zu bieten. In erster Linie kommen Bordeaux in Frage – aber nicht nur, wie die Beispiele von finews.ch-Weinredaktor Peter Keller beweisen.

Der Grossteil der weltweit produzierten Weine wird in den ersten zwei, drei Jahren nach der Ernte getrunken. Aus verschiedenen Gründen: Einerseits können viele Gewächse gar nicht reifen.

Andererseits haben die Konsumenten und Konsumentinnen oft keine geeignete Möglichkeit, Flaschen unter perfekten Bedingungen zu lagern. Das ist indes die Voraussetzung, um Weine in gutem Zustand nach zehn und mehr Jahren geniessen zu können.

Bis zum «Erwachsenen-Stadium»

Weine machen verschiedene Entwicklungsphasen durch. Sie leben in der Jugend von primären Fruchtaromen. Ein Ausbau in Holzfässern oder eine mögliche Lagerung auf der Hefe sorgen für die sogenannten sekundären Aromen. Durch die mehrjährige Reife entstehen dann die tertiären Aromen wie erdige, pilzige, nussige und ähnliche Noten.

Durch die Alterung wird nicht zwingend jeder Wein besser. Erste Voraussetzung sind optimale, gesunde Trauben. Wichtige Bestandteile für diesen Prozess sind sodann Bestandteile wie Alkohol, Säure, Tannin, aber auch Zucker. Das Ziel besteht stets darin, eine perfekte Harmonie im Wein bis zum trinkbaren «Erwachsenen-Stadium» zu erreichen. Wenn dies eintritt, ist der Weingenuss dank überragender Vielschichtigkeit und Balance ein Hochgenuss.

Einige Paradebeispiele

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(Bild: Marco Mornati, Unsplash)

Als Paradebeispiele für die Alterung gelten die Bordeauxweine. Aber auch Crus aus anderen Appellationen verfügen diese Fähigkeit. Wussten Sie, dass bestimmte Schweizer Weissweine nach Jahren der Lagerung einzigartige Erlebnisse bieten? Ich habe in den letzten Wochen einige gereifte Weine verkosten dürfen. Sie sind allenfalls auf Auktionen zu erwerben. Und wenn nicht, dann den neuesten Jahrgang erwerben und einbunkern. Das ist die Selektion der Besten:

1. Château Lynch-Bages 1982, Bordeaux

Der 5ième Grand Cru Classé aus dem Pauillac ist perfekt gereift und bietet jetzt dank perfekter Harmonie vollkommenen Weingenuss. Vielschichtiges Bouquet (Dörrfrüchte, Rosinen, erdige Töne), fein gewobene Gerbstoffe, Eleganz, gute Frische, langes Finale: ein grosser Bordeaux, der zu 70 Prozent aus Cabernet Sauvignon besteht.

Merlot, etwas Cabernet Franc und Petit Verdot ergänzen den Blend. Preis für den neuesten Jahrgang 2022: rund 120 Franken.

2. Château Mouton-Rothschild 1990, Bordeaux

Der berühmte Wein stammt aus einem hervorragenden Jahr und ist sehr gut gelungen. Ihm fehlt aber etwas an Druck und wirkt im direkten Vergleich mit dem Lynch-Bages etwas leichter. Mouton-Rothschild aus dem Pauillac ist ein Premier Grand Cru Classé und entsprechend teuer.

Wer diesen Jahrgang besitzt, darf ich ihn jetzt ohne Reue geniessen. Kaufen würde ich ihn aber nicht. Der 1990er besteht zu 81 Prozent aus Cabernet Sauvignon. Merlot und Cabernet Franc machen den Rest aus. Preis für den neuesten Jahrgang 2022: rund 600 Franken.

3. Martha’s Vineyard Cabernet Sauvignon 1997, Heitz Cellars, Kalifornien

Die Legende aus dem Napa Valley, ausschliesslich aus Cabernet Sauvignon gekeltert, wirkt trotz seinen fast 30 Jahren auf dem Buckel immer noch erstaunlich jugendlich. Das Potenzial ist enorm.

Seine herausragenden Eigenschaften: reichhaltiges Bouquet von dunklen Früchten, Schokolade-Noten, Minze, intensiv, kräftig und komplex im Gaumen, sehr langer Nachhall. Preis für den Jahrgang 2017: knapp 300 Franken.

4. Montebello 1995, Ridge, Kalifornien

Der berühmte Wein aus dem Napa Valley hat seine erste Trinkreife erreicht, darf aber durchaus noch etwas auf die Seite gelegt werden. Es handelt sich um einen kraftvollen, aber nie opulenten Wein, der mit seiner Eleganz an einen Bordeaux erinnert.

Der 1995er, aus 69 Prozent Cabernet Sauvignon sowie Merlot, Petit Verdot und Cabernet Franc zusammengesetzt, zeichnet sich durch seine Struktur und Komplexität aus. Langanhaltend im Finale. Preis für einen neueren Jahrgang: rund 250 Franken.

5. Ornellaia 1997, Tenuta dell’Ornellaia, Toskana

Zu den berühmten Super-Toskanern aus dem Bolgheri zählt Ornellaia, stets ein eigenständiger Bordeaux-Blend aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot und Cabernet Franc.

Er reift hervorragend, wie der kraftvolle, immer noch frische 1997er beweist. Ihn zeichnet zudem ein vielschichtiges Bouquet mit erdig-würzigen Noten aus. Preis für den Jahrgang 2021: gut 200 Franken.

6. Brez Grand Cru 2005, Domaine La Colombe, Waadt

Eine Entdeckung und eine überraschende Offenbarung ist dieser biodynamisch produzierte Lagen-Chasselas aus der Waadtländer La Côte. Der preislich unschlagbare Weisswein ist trotz seinen 20 Jahren weiterhin in sehr guter Form: dunkles Gelb in der Farbe, zuerst verhaltene Nase, dann aber schöne Noten von Nüssen und trockenen Gräsern, im Gaumen trocken, reif, immer noch frisch, strukturiert, gute Länge.

Ein gelungenes Beispiel dafür, dass Schweizer Weissweine gut altern können. Preis für den Jahrgang 2023: 17 Franken.