Im Vincenz-Prozess hat das Zürcher Bezirksgericht Schattenbeteiligungen sowie Rotlicht-Ausflüge auf Firmenkosten festgestellt und hart sanktioniert. Einmal mehr kommt damit das Korrektiv für entgleiste Banker von aussen.
Im schriftlichen Urteil-Dispositiv ist es nicht nachzulesen. Doch Sebastian Aeppli, der als Präsident am Zürcher Bezirksgericht über die sieben Beschuldigten im Vincenz-Prozess urteilte, sagte es am (gestrigen) Mittwoch klipp und klar: Bei einschlägigen Firmenübernahmen habe Raiffeisen Schweiz über «keinen professionellen Controlling-Mechanismus» verfügt.
Somit endet der Finanz-Prozess des Jahrzehnts nicht nur für die beiden Hauptbeschuldigten, Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und der frühere Aduno-CEO Beat Stocker, mit einem harten Verdikt. Auch die Banken-Gruppe muss sich vorwerfen lassen, bei der Kontrolle von Firmenkäufen und ihres Chefs versagt zu haben.
Die Schadenersatz-Millionen, welche Raiffeisen Schweiz von Vincenz und Stocker einfordert, muss sie sich überdies mühselig auf dem Weg einer Zivilklage erkämpfen. Derweil haben alle Verurteilten bereits Berufung gegen den Richterspruch eingelegt. Der Fall wird demnach am Zürcher Obergericht weiter verhandelt.
Kein «Adult entertainment» bei Leonteq
Auch wenn die beste Compliance nicht gegen kriminelle Energie – wie sie das Bezirksgericht festgestellt hat – gefeit ist: Mit Blick auf die Erkenntnisse aus dem Vincenz-Prozess ist es gut vorstellbar, dass die Genossenschafter mit wirksameren internen Kontrollen nicht so leicht in die grösste Krise ihrer jüngeren Geschichte gestolpert wären.
Das legt jedenfalls eine Begebenheit nahe, welche die Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer aufs Tapet brachte. Während die Stripclub- und Cabaret-Besuche von Vincenz bei Raiffeisen Schweiz regelmässig unter der Nase des Revisors und des damaligen Präsident Johannes Rüegg-Stürm durchgingen, machte Vincenz offenbar bei der Zürcher Derivate-Spezialistin Leonteq, für die er von 2016 bis 2017 als Präsident wirkte, eine ganz andere Erfahrung.
So habe Vincenz dort ebenfalls mit der Firmen-Kreditkarte für einen Cabaret-Besuch bezahlt, wussten die Staatsanwälte zu berichten. Dies sei aber bei der internen Prüfung bei Leonteq sofort als «Adult entertainment» aufgefallen und beanstandet worden; Vincenz zahlte darauf die Ausgaben an die Finanzfirma zurück. Kurz: Bei Leonteq wirkte das interne Korrektiv.
Nichts gewusst
Bei Raiffeisen hingegen beteuerte Ex-Präsident Rüegg-Stürm gegenüber den Ermittlern, er habe von Rotlicht-Abstechern seines damaligen CEO nichts gewusst. Gerichtspräsident Aeppli hielt am Mittwoch fest, dass die Auslagen im Milieu nicht im Interesse von Raiffeisen hätten liegen können. Das Gericht sieht den Tatbestand der mehrfachen Veruntreuung, der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie der mehrfachen Urkundenfälschung als erfüllt an.
Das Korrektiv für die Eigenmächtigkeiten von Vincenz kommt bei Raiffeisen also von aussen – und so geschah es in den vergangenen Monaten gehäuft im Swiss Banking, zumal bei der Credit Suisse (CS).
Wie die Grossbank jüngst warnte, wird das Ergebnis im ersten Quartal wohl durch eine Schadenersatz-Zahlung von über 500 Millionen Dollar belastet werden, zu der das Institut nach einem langjährigen Streit mit betrogenen osteuropäischen Kunden verdonnert worden war. Ein Gericht auf den Bermuda-Inseln sah es als erwiesen an, dass das Institut über die Umtriebe des ehemaligen Angestellten Patrice Lescaudron Bescheid gewusst habe. Die CS habe sich aber entschieden, die Vergehen nicht sehen zu wollen, hielten die Richter fest.
Zugeständnisse an einzelne Kundin
Untersuchungen, welche eine Schweizer Kanzlei bei der CS im Fall Lescaudron durchgeführt hatte und die im Jahr 2021 an die Presse durchsickerten, zeigen im Detail auf, wie sich die Eigenmächtigkeiten des Private Bankers bei der Grossbank abspielten.
Auf eigene Faust handelten auch Fondschefs bei der CS, als sie im Jahr 2020 der potenten Kundin und Investorin Softbank Zugeständnisse machten. Wie dieser Tage bekannt wurde, unternahmen sie dies, um an Liquidität für die in Schwierigkeiten geratenen Greensill-Fonds zu kommen. Das war zwar nicht kriminell, verstiess aber klar gegen Regeln der Gleichberechtigung von Investoren und damit gegen Governance.
Jene Versprechen wurden von der Bankführung erst im Nachhinein entdeckt und rückgängig gemacht. Am Debakel, das das Geldhaus im März 2021 mit der Schliessung der CS-Fonds erlitt, konnte das allerdings nichts ändern. Auch hier droht nun ein juristisches Nachspiel mit erbosten Fondskunden, welche die Grossbank bezüglich der Rückzahlung ihrer Vermögen auf Jahre hinaus vertröstet hat.
Instrumente aus dem letzten Jahrtausend
Wenn es die Banker selber nicht lernen, müssen es notwendigerweise die Banken tun. Dies ist einerseits eine Frage der Risiko-Kultur, die nun etwa bei der CS gründlich überarbeitet wird. Anderseits braucht es nicht mehr, aber griffigere Regeln, die klare Verantwortlichkeiten schaffen.
Wie finews.ch bereits berichtete, vertrauen Bankenplatz und Regulator in der Schweiz auf ein Instrumentarium, das aus der Zeit des letzten Jahrtausends stammt und nachweislich unzulänglich ist. Dabei würde seit vergangenem Herbst mit der ISO-Norm 37000 ein Standard für die gute Führung von Organisationen vorliegen.
Für dass Swiss Banking böte dies enorme Chancen, den Führungsbegriff zu erneuern und klaffende Lücken im Umgang mit Risiken zu schliessen. Insbesondere stärkt die neue Norm die Rolle von Verwaltungsräten und regelt den Umgang mit Whistleblowern und kritischen Stimmen.
Kritische Stimme zum Verstummen gebracht
Solche gab es im Fall Vincenz offenbar auch bei Raiffeisen. Laut der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wirkte bei Raiffeisen Schweiz in St. Gallen nämlich ein Experte für Firmenübernahmen, der ab 2011 den geplanten Einstieg von Raiffeisen Schweiz bei der Beteiligungsfirma Investment zu beurteilen hatte – eine jener Firmen, bei der Vincenz laut dem Urteil vom Mittwoch eine Schattenposition aufgebaut und in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte.
Jener Experte äusserte wiederholt Zweifel an der Bewertungsmethode und am Vorgehen von Raiffeisen Schweiz – worauf CEO Vincenz schliesslich erklärte, der Fachmann für Bewertungen sei nicht mehr im Verhandlungs-Team erwünscht. Dem Wunsch wurde von allen Beteiligten entsprochen, damals.