Der Prozess auf den Bermudas, den die Credit Suisse gerade gegen Ex-Kunden aus Osteuropa verloren hat, scheint weit weg. Doch das Urteil weist direkt auf das Schweizer Hauptquartier der Grossbank. Das dürften die Kläger zu nutzen wissen.

Für Narinder Hargun, Richter am Supreme Court von Bermuda, ist klar: In der Affäre um betrogene Ex-Kunden habe die Bermuda-Tochter der Credit Suisse (CS) sehr wohl über die Taten des ehemaligen CS-Bankers Patrice Lescaudron Bescheid gewusst. «Sie hat sich aber entschieden, die Vergehen nicht sehen zu wollen», hält Chief Judge Hargun in der Urteilsbegründung fest. Das über 280-seitige Dokument liegt finews.ch vor.

Am (gestrigen) Mittwoch war die Schlappe der CS-Tochter Credit Suisse Life (Bermuda) bekannt geworden; nach fünf Jahren juristischen Auseinandersetzungen hat das Oberste Gericht des Inselstaats die Niederlassung zu Schadenersatz von vermutlich 550 Millionen Dollar verdonnert.

Das ist viel mehr, als die Schweizer Grossbank für den Rechtsfall zurückgestellt hat; entsprechend dürfte die Zahlung den Ausweis der Bank im ersten Jahresviertel 2022 belasten.

Schuld bei der ganzen Gruppe

Cerutti 500

(Romeo Cerutti, Bild: Credit Suisse)

Denn: Obschon die CS-Tochter umgehend Berufung eingelegt und separat Stellung zum Urteil genommen hat, muss sie der Weisung des Gerichts nachkommen, bis ein weiteres Urteil gefällt ist.

Wie ebenfalls aus der Urteilsbegründung hervorgeht, wird die Schuld keineswegs nur bei der Bermuda-Tochter gesehen, sondern auch bei der Gruppe selber: bei den Vorgesetzten des ehemaligen CS-Private-Bankers Lescaudron in Genf sowie den involvierten Stellen im Konzern, bis hinauf zum Rechtsdienst unter Chefjurist Romeo Cerutti. «Die CS Life und die Gruppen-Funktionen haben keine Massnahmen getroffen, um Lescaudrons betrügerische Handlungen zu unterbinden», stellt das Gericht fest.

Dreistellige Millionenbeträge abgezweigt

Bisher betonte das Geldhaus stets, selber vom betrügerischen Ex-Angestellten getäuscht worden zu sein. Ab 2011 hatte der einstige CS-Banker, der von Genf aus schwerreiche osteuropäische Kunden betreute, dreistellige Millionenbeträge aus den von ihm betreuten Vermögen abgezweigt. Im Jahr 2015 wurde er von der CS fristlos entlassen und 2018 in Genf zu Gefängnis verurteilt. Im Jahr 2020 nahm er sich das Leben.

Für die Kläger-Vereinigung «CS-Victims», die in ihrem juristischen Feldzug vorab Tochter-Gesellschaften der Gruppe ins Visier genommen hat, öffnet sich mit dem Urteil ein Tor zum Konzern selber – und damit zur «Festung» Credit Suisse.

Nächster Schritt in Singapur

Die «CS Victims», die sich um den schwerreichen Ex-Premierminister von Georgien Bidzina Ivanishvili gruppieren, liessen einstweilen verlauten, als nächstes in Singapur anzusetzen. Dort wende ein anderer Trust-Arm der CS die gleiche Abwehr-Taktik an, um sich der Verantwortung für die Verluste der Lescaudron-Geschädigten zu entziehen.

Ivanishvili macht letztlich Verluste geltend, die er auf seinen Konti bei der Credit Suisse in der Schweiz erlitten hat. So gesehen macht es durchaus Sinn, dass er auch in der Schweiz den Schaden einklagt; eine solche Klage würde sich aber nach Schweizer Recht richten und könnte nicht vom Bermuda-Urteil «profitieren» – mit entsprechend offenen Erfolgschancen.

Vorgesetzter im Visier

Das Urteil verweilt auch ausgiebig bei der Person eines früheren Vorgesetzten von Lescaudron, der heute eine wichtige Kaderpositionen im Wealth Management der Grossbank besetzt. Dieser habe nicht als Zeuge befragt werden können, obschon er wohl am besten über mögliche Vergehen Bescheid gewusst hätte, moniert das Gericht: In einem Prüfbericht, den die Schweizer Kanzlei Geissbühler Weber & Partner im Jahr 2017 im Auftrag der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) erstellte, wurde der leitende Banker eingehend zu Lescaudron befragt.

Der Bericht «leakte» im vergangenen Jahr an die Presse durch und bildete auch eine Grundlage für das Verfahren auf den Bermudas. Dies, während die CS interne Dokumente zum Fall zurückzuhalten suchte.

Hunderte von Warnhinweisen

Obwohl der Bericht aus dem Jahr 2017 zum Schluss kommt, dass niemand ausser Lescaudron sich bei der CS strafbar gemacht habe, finden die Richter nun, der Kadermann habe trotz Warnhinweisen zugelassen, dass der Private Banker Kunden wie Ivanishvili weiter bedienen durfte. Der seither beförderte Finanzexperte war 2015 in Zusammenhang mit der Lescaudron-Affäre von der Bank schriftlich verwarnt worden.

An solchen «Red Flags» hat es offenbar nicht gemangelt. Der Prüf-Bericht der Schweizer Kanzlei verzeichnete Hunderte von Warnhinweisen, die im untersuchten Zeitraum von 2009 bis 2015 von der Bank nicht vollständig überprüft worden seien. Im Herbst 2018 war die CS von der Finma gerügt worden, weil sie den Banker unzureichend kontrolliert habe.

Nonchalanter Umgang

Dies hat die Lescaudron-Affäre mit der Archegos-Debakel vom Jahr 2021 gemeinsam, bei dem eine interne Überprüfung ebenfalls einen auffällig nonchalanten Umgang mit Warnsignalen feststellte. Einen Prüfbericht zu den im vergangenen Frühling geschlossenen Greensill-Fonds hält die CS derweil unter Verschluss.

Sie wurden nun aber von Aktionären um die Schweizer Ethos Stiftung aufgefordert, an der Generalversammlung Fragen zur Causa Greensill zu beantworten.

Kulturwandel kommt (zu) spät

Einmal mehr scheinen die Entgleisungen eigenmächtiger Banker die CS einzuholen; die Verstärkung der Risikokultur, der sich die Bankspitze um Präsident Axel Lehmann und CEO Thomas Gottstein verschrieben hat, kommt zwar für die Lescaudron-Affäre zu spät. Doch der Streit mit den «CS Victims» wird die Grossbank wohl noch auf Jahre hinaus in Atem halten; insgesamt fordern Ivanishvili und die anderen Lescaudron-Geschädigten rund 800 Millionen Dollar vom Institut zurück.

Dazu gehen sie mittlerweile auch in der Schweiz gegen die CS vor. Im vergangenen November haben sie in Genf eine Strafanzeige wegen Verdachts auf Geldwäscherei gegen die CS eingereicht; genauer gesagt handelt es sich um eine Ergänzug einer schon fünf Jahre alten Anzeige. Schon zuvor hatte die Staatsanwaltschaft in der Rhonestadt ein neues strafrechtliches Verfahren gestartet.

In der Folge wurden seither diverse CS-Banker in Genf einvernommen – unter diesen fand sich auch der im Bermuda-Prozess abwesende CS-Kadermann wieder.