Das Zürcher Bezirksgericht hat Raiffeisen Schweiz im Fall Vincenz zwar Entschädigungen zugesprochen. Doch für den Grossteil der Forderungen müssen die Genossenschafter nun eine Extrarunde drehen – Raiffeisen hat bereits Berufung eingelegt.
Das durchaus harte Urteil gegen Pierin Vincenz dürfte manche Raiffeisen-Genossenschafter mit Genugtuung erfüllen. Wie auch finews.ch berichtete, hat das Zürcher Bezirksgericht den langjährigen CEO am Mittwoch zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt; dies im Komplex um ungerechtfertigte Spesenbezüge und Schattenbeteiligungen bei Firmen.
Der zweite Hauptbeschuldigte Beat Stocker, gegen den Raiffeisen ebenfalls Strafanzeige eingereicht hatte, wurde gar mit vier Jahren Haft bestraft. Ihm wie Vincenz sowie drei anderen in Zürich sanktionierten Beschuldigten steht der Weg in die Berufung offen. Zudem ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Es kann beim Obergericht des Kantons Zürich angefochten werden.
Für Raiffeisen höchstens ein halber Sieg
Doch für Raiffeisen Schweiz ist der Urteilsspruch vom Mittwoch höchstens ein halber Sieg. In der Schadenersatz-Frage hat die St. Galler Zentrale der Genossenschafts-Banken nämlich einen bedeutenden Rücksetzer erlitten. So muss Vincenz dem Verdikt zufolge zwar 274’276 Franken und 27’550 Euro als Schadenersatz an seine frühere Arbeitgeberin überweisen, zuzüglich Zinsen.
Gemeinsam hatten Raiffeisen Schweiz und die Zahlungs-Spezialistin Aduno (die heutige Viseca Payments), im Fall Vincenz sowohl eine Straf- wie auch eine Privatklage einreichten, jedoch rund 25 Millionen Franken an Schadenersatz geltend gemacht.
Zusatzklage auf letzten Drücker
Um diese Forderungen zu beschleunigen, reichten Raiffeisen und Aduno kurz vor Prozessbeginn im vergangenen Januar eine so genannte Adhäsionsklage beim Bezirksgericht ein. Dieses Vorgehen gilt als eher ungewöhnlich, da bei Schadenersatz-Forderungen zumeist das Urteil abgewartet wird. Medienberichten zufolge preschten die beiden Unternehmen aber vor, weil ihren Forderungen die Verjährung drohen könnte.
Gerichtspräsident Sebastian Aeppli mochte jenem Vorgehen aber nicht folgen und verwies Raiffeisen Schweiz im Urteils-Dispositiv vom Mittwoch «auf den Weg des Zivilprozesses». Dies, während Vincenz und Stocker vom Gericht verpflichtet werden, der heutigen Viseca wegen der festgestellten Vergehen beim Verkauf der Firma Commtrain im Jahr 2007 einen Schadenersatz von gut 2’660’590 Fanken zu zahlen.
«Vorsorglich Berufung anmelden»
Hingegen verwies das Bezirksgericht auch bei den Raiffeisen-Forderungen rund um den Kauf der Firma Investnet im Jahr 2017, wo Richter Aeppli ein besonders schweres Verschulden von Vincenz feststellte, auf den Weg der Zivilklage. Mit diesem Vorgehen will das Gericht verhindern, dass die Beschuldigten mit Doppelzahlungen belastet werden. Raiffeisen Schweiz muss damit wohl oder übel eine aufwändige juristische Extraschlaufe nehmen, um zum geforderten Schadenersatz zu gelangen.
Wie es bei Raiffeisen Schweiz auf Anfrage hiess, habe man das Urteil des Bezirksgerichts Zürich zur Kenntnis genommen. «Die Privatklägerin Raiffeisen Schweiz wird vorsorglich Berufung anmelden und das weitere Vorgehen nach Analyse der schriftlichen Urteilsbegründung festlegen», erklärte die Banken-Gruppe in einer ersten Reaktion.
Kein professionelles Controlling
Bei der Urteilseröffnung hatte Gerichtspräsident Aeppli dabei mündlich festgehalten, dass Raiffeisen Schweiz etwa im Fall Investnet über keinen «professionellen Controlling-Mechanismus» verfügt habe.
Dies ist auch der Eindruck, der sich in fünf Jahren Auf und Ab im Fall um Spesenbezüge und Firmentransaktionen bei Zuschauern verfestigt hat. Scheinbar unbehelligt von interner Aufsicht konnte Vincenz dort als langjähriger und angesehener CEO schalten und walten, wie er wollte.
Andere brachten den Stein ins Rollen
Sinnigerweise war es nicht Raiffeisen Schweiz, die im Jahr 2017 den Stein in der Affäre Vincenz ins Rollen brachte. Stattdessen hatte damals die heutige Viseca Strafanzeige gegen ihren ehemaligen Präsidenten Vincenz und Ex-CEO Stocker eingereicht. Raiffeisen folgte erst 2018 mit einer eigenen Anzeige.
Die Anschuldigungen gegen Vincenz haben die Gruppe in der Folge in eine innere Krise gestürzt, die einen kompletten Management-Wechsel bei Raiffeisen Schweiz und drei neue Präsidenten in drei Jahren erforderte – und eine Erneuerung der Organisation.