Die Schweizer Banken stehen mit der Umsetzung der Sanktionen im Ukraine-Krieg vor kniffligen Aufgaben. Noch vertrackter sind jedoch die Folgen, die sich für die Branchen aus der jetzigen Übung ergeben, analysiert finews.ch.
Ob die Übernahme der EU-Sanktionen das Ende der Schweizer Neutralität bedeuten oder nicht, mag dahingestellt sein. Doch das Aufspüren und Melden von sanktionierten Vermögenswerten ist für die Schweizer Banken erst der Anfang. Mehr noch: in Zukunft müssen die Institute bei der Prüfung von Kundenbeziehungenen wohl neue Massstäbe ansetzen.
Das Einfrieren von Vermögenswerten dürfte demnach die einfachere Übung sein – obwohl bei schwerreichen Russen der grösste Teil des Vermögens von sanktionierten Personen auf unzählige Unternehmen, Konten und Einzelpersonen in der ganzen Welt verteilt wurde. Das macht den Nachweis direkter Verbindungen höchst kompliziert.
Systeme sind leicht zu überlisten
Wahrscheinlich werden die Institute, wie bereits früher geschehen, Experten für Compliance und Finanzkriminalität anheuern, und gleichzeitig prüfen, wie sie ihre internen Screening- und Namensabgleich-Systeme verbessern können. Das mag alles hilfreich sein, wird aber die Aufgabe längst nicht erfüllen können.
Noch heutzutage können die meisten Systeme und menschlichen Ermittler leicht überlistet werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Gibt ein Kunde alle Staatsangehörigkeiten an, meldet er Status-Veränderungen, oder werden Konten unter veralteten Angaben eröffnet, etwa der Benutzung von Mädchennamen?
So wenig wie möglich preisgeben
Damit die Systeme funktionieren, sind die Banken letztlich darauf angewiesen, dass die Kundinnen und Kunden vollständige Angaben zu ihrer Person machen.
Je mehr Informationen gefordert werden, desto grösser ist jedoch bei den Kunden der Anreiz, so wenig wie möglich preiszugeben. Die Möglichkeiten von Staaten und Unternehmen, darauf zu reagieren, sind beschränkt. Insbesondere in liberalen Demokratien wie der Schweiz. Und das ist auch richtig so. Das Problem ist aber, dass die Banken die volle Schuld tragen, wenn dann doch Verbindungen zu einer sanktionierten Person nachgewiesen werden. Dann leidet der Ruf, vor allem dann, wenn man die problematische Beziehung nicht selbst entdeckt hat.
In der Vermögensverwaltung und im Private Banking sind die Risiken der Finanzkriminalität zumeist nachgelagert und indirekt. Geld aus unsauberen oder kriminellen Quellen wird in der Regel auf verwirrende Wege über schwer zu durchschauende Kanäle geschleust.
Mangelnde Möglichkeiten zur Überprüfung
Schweizer Banken verfügen in der Regel nicht über gross angelegte internationale Systeme zur Überwachung von Privatkunden-Transaktionen, die eine grosse, weit verbreitete Konten-Population abdecken. Verdachts- oder Namensmeldungen bleiben so bei der laufenden Prüfung aussen vor.
Grosse international operierende Handelsbanken haben da ganz andere Möglichkeiten. Handelskredite geben Banken die Möglichkeit, die Aktivitäten eines Unternehmens fast uneingeschränkt zu überprüfen. Dadurch sind die Banker in der Lage, Produktions-Anlagen zu besichtigen, die transportierten Waren mit den Rechnungen abzugleichen und die Versandwege und -ziele zu überwachen.
Statische Sichtweise
Die Sichtweise eines typischen Vermögensverwalters oder einer Privatbank ist dagegen eher statisch. Nach der Aufnahme eines Kunden passiert nicht mehr viel. Zum üblichen Geschäft gehören Zahlungs- und Abbuchungsanweisungen, einige Direktinvestitionen, Brokerage, persönliche Treffen und allgemeines Portfolio-Management.
So können Vorgänge zustande kommen, wie sie jüngst durch die «Suisse Secrets»-Leaks publik wurden. Dabei hat sich die Credit Suisse den Vorwurf eingehandelt, jahrzehntelang Bankgeschäfte mit Kriminellen und korrupten Personen gemacht zu haben. Das erweckt zudem den Eindruck, dass Kontroll-Systeme versagten und der Wille fehlte, sich von zwielichtigen Kunden zu trennen.
Wie können die Schweizer Banken also sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholt, und verhindern, dass sie international als Nachzügler bei der Umsetzung des aktuellen Sanktions-Regimes gegen die Ukraine angesehen werden?
Im Zweifelsfall kündigen
Die Relationship-Banker selbst müssen voll und ganz davon überzeugt sein, dass es unter ihren Kundinnen und Kunden keine denkbaren finanziellen oder familiären Beziehungen zu einer sanktionierten Person steht. Die Banken müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie ihr Onboarding und ihre Dokumentations-Aktivitäten umfassend überprüfen müssen, soll denn die Sanktionen greifen.
Die Geldhäuser müssen in der Lage sein, die Risiken bei entfernten, sekundären Vermögenswerten einzuschätzen. Und sie müssen zweifelhafte Beziehungen auch dann beenden, wenn es keine schlüssigen Beweise für ein Fehlverhalten gibt.
Im Zweifelsfall ist die Beendigung einer Beziehung letztlich ein angemessener Schritt. Die Vermögenswerte werden an den Kunden zurückgegeben, und die Bank beendet lediglich die Geschäftsbeziehung. Und wenn der Kunde die Vermögenswerte nicht zurückhaben will, was durchaus vorkommen kann, kann dies auch das schon ein Hinweis sein.
Es gilt die Schuldsvermutung
Die Einführung eines neuen und weitreichenden Sanktionssystems funktioniert also nur mit einer Umkehrung der Beweislast und der Schuldfrage und steht damit im Gegensatz zum Rechtssystem der Schweiz und dem vieler anderer Länder. Der Grundsatz, dass man unschuldig ist, bis die Schuld bewiesen ist, gilt hier nicht. Zuerst wird die Schuld vermutet.
Wahrscheinlich werden damit am Ende viele gute Geschäfte zusammen mit den schlechten verworfen. Aber genau das könnte der eigentliche Preis für die Aufrechterhaltung des guten Rufs einer Bank in der heutigen Welt sein.