Boris Collardi ist sowohl für Pictet als auch für Julius Bär eine Belastung. Pictet scheut den Druck der Medien und die Finma. Julius Bär kämpft mit weiteren Fällen aus der Ära Collardi, wie finews.ch aufzeigt.
Die Privatbank Pictet in Genf und ihre sieben Partner haben derzeit zwei grosse Befürchtungen. Erstens, dass die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma nach dem Aufdecken schwerer Mängel in der Geldwäschereibekämpfung bei Julius Bär Verfahren gegen Einzelpersonen eröffnen könnte. Zweitens: Dass die kritische Presse über den jüngsten ihrer Partner, Ex-Julius-Bär-CEO Boris Collardi, die Reputation der stets auf höchste Diskretion bedachten Bank angreift.
Beides ist in der Schwebe. Pictet, beziehungsweise Collardis Anwalt Peter Nobel, gelang es zuletzt nur halbwegs, die Spekulationen über ein mögliches Strafverfahren der Zürcher Staatsanwaltschaft gegen Collardi zu beenden.
Schuld einzelner Personen?
Ein Verfahren gibt es zwar nicht. Aber Vorabklärungen, die zu einem Strafverfahren führen könnten, werden weiterhin getätigt. Zu den weiteren Untersuchungen der Finma ist seit der letzten Aussage zu dem Fall von Direktor Mark Branson vom Februar nichts Weiteres bekannt: Die Behörde untersucht, ob die systematischen Mängel in der Risikokontrolle und der Compliance von Julius Bär direkt an Einzelpersonen festgemacht werden können.
Das schliesst Collardi ein. Er war CEO von 2009 bis Ende 2017, jene Periode, in der die Finma schwere Verstösse in Bezug auf die Abklärung von heiklen Kunden und deren Transaktionen über Bär-Konten feststellte; namentlich im Kontext der mutmasslichen Korruptionsfälle rund um den venezolanischen Ölkonzern PDVSA und den Weltfussball-Verband Fifa.
Was tat Präsident Daniel Sauter?
Weitere Finma-Ermittlungen in dem Fall müssten auch andere Personen betreffen: Möglicherweise den früheren Lateinamerika-Chef Gustavo Raitzin, vielleicht auch Rémy Bersier, der lange Kunden aus Ländern betreut hat, in denen Korruption stark verbreitet war und teils immer noch ist.
Auch die Rolle des langjährigen Risk- und Compliance-Chefs Bernhard Hodler, der 2017 den CEO-Posten von Collardi übernahm, muss durchleuchtet werden. In der Verantwortung steht auch der Bär-Verwaltungsrat und allen voran der 2019 abgetretene Präsident Daniel Sauter, der ständiges Mitglied im Risk Committee war.
Doch derzeit richtet sich alle Aufmerksamkeit auf die Person Collardi und sein neun Jahre langes Wirken an der Spitze von Julius Bär – dessen Erfolg nun kritisch hinterfragt wird.
Collardi ging Probleme an
Alle begangenen Fehler bei Julius Bär ihm anzulasten, wäre falsch. Die Finma hat in ihrem Enforcementverfahren nicht Einzelfälle festgestellt, sondern Mängel in den Risiko- und Kontrollfunktionen auf allen Stufen der Bank, vom Verwaltungsrat bis hinunter in die entsprechenden Back-Office-Funktionen.
Es war auch Collardi, der die offensichtlichen Probleme in der Bank zwar spät, aber dennoch anging. Er iniitierte das Atlas-Programm zur Durchleuchtung aller Kundenbeziehungen, er ersetzte Lateinamerika-Chef Raitzin durch Beatriz Sanchez. Und er holte – kurz vor seinem Absprung zu Pictet – mit Oliver Bartholet eine neuen Chief Risk Officer.
Neues Kapitel mit grossen Altlasten
Bei Julius Bär, die mit Romeo Lacher als Präsident und CEO Philipp Rickenbacher eigentlich ein neues Kapitel aufschlagen will, ist die Vergangenheit zur Belastung geworden.
Insider der Bank bestätigten gegenüber finews.ch wiederholt, dass es durchaus eine «Collardi-Kultur» gegeben habe. Das Geschäft sei praktisch ausschliesslich auf Wachstum- und Gewinnsteigerung ausgerichtet gewesen.
Aufarbeitung nicht vorüber
Der Chef persönlich habe regelmässig den Stichentscheid für die Annahme von heikleren Kunden getroffen, wenn es Diskussionen zwischen Berater und Compliance gegeben habe. Collardi hat das immer dementiert. Die Compliance-Abteilung habe immer unabhängig vom CEO gehandelt.
Die Aufarbeitung ist noch länger nicht vorüber und es werden weitere Fälle öffentlich, die auf die bis 2018 vorgefundenen, systematischen Mängel zurückzuführen sind.
Beim Kunden-Check versagt
Ein prominenter Fall beschäftigt derzeit Genfer Gerichte. Vladimir Antonow und Raimondas Baranauskas – ein russischer Millionär und ein litauischer Geschäftsmann – hatten ihre eigene Bank «geplündert», die inzwischen verstaatlichte Bank Snoras in Litauen, und bis ins Jahr 2011 Hunderte Millionen Euro auf Konten von Julius Bär und anderen Banken verschoben. Der Snoras-Liquidator fordert von Julius Bär 335 Millionen Euro plus Zinsen; die Bank habe Transfers der veruntreuten Gelder nicht verhindert.
Julius Bär wehrt sich gegen die Forderung. Aber die Bank hatte sicherlich keinen guten Job gemacht, indem sie diese Kunden annahm. Ein einfacher «Know your Customer»-Check hätte offenbart, dass es sich bei den Kontoinhabern um Personen handelt, denen verschiedentlich kriminelle und mafiöse Machenschaften vorgeworfen worden sind.
Auch dieser Fall ist nicht allein Collardi anzulasten, fällt aber grösstenteils in seine Schaffenszeit bei Julius Bär. So ist der einst gefeierte CEO zum Risikofaktor geworden – bei den «Bären» und für die Genfer Pictet.