Nach seinem gescheiterten Wechsel zu Santander könnte Ex-UBS-Manager Andrea Orcel zuletzt doch noch als Sieger dastehen – zumindest finanziell. Das hängt jedoch von den drei wichtigen Fragen ab.
Andrea Orcels Rücktritt als Chef der UBS-Investmentbank hätte für ihn zur Krönung einer erfolgreichen Karriere führen sollen. Doch die spanische Grossbank Santander, deren CEO er hätte werden sollen, zog ihr Angebot zurück.
Statt der wichtigsten Bank Spaniens als Chef seinen Stempel aufzudrücken, fand sich Orcel in einem Rechtsstreit wieder: Santander soll ihm gut 100 Millionen Euro zahlen, fordert er.
Konkurrenzverbot
Derweil schuldet die UBS dem Banker über die nächsten Jahre angeblich etwa 50 Millionen Dollar. Um diesen Anspruch nicht zu verwirken, darf er bei keinem anderen Unternehmen in der Finanzbranche anheuern.
Trotz der ausführlichen Berichterstattung zu Orcels zerschlagenen Hoffnungen, bleiben allerdings noch offene Fragen. finews.ch wirft ein Schlaglicht auf die drei wichtigsten:
1. Wie viel Geld kann Andrea Orcel maximal bekommen?
In seiner Dimension ist der Gerichtsstreit zwischen dem italienischen Banker und Santander wohl einzigartig. Viele in seiner Situation würden wohl ähnlich reagieren – immerhin hat Orcel für seine Chance bei Santander einen guten Job aufgegeben und steht jetzt vor der Wahl zwischen Nichtstun und dem Verzicht auf seine Ansprüche.
Santander habe dem Ex-UBS-Manager schriftlich einen Antrittsbonus von 17 Millionen Euro in Bar und 35 Millionen Euro in Aktien als Ersatz für die UBS-Boni versprochen, auf die er für den Wechsel verzichtet hätte, wie die britische «Financial Times» diese Woche schrieb. Darüber hinaus verlangt der Italiener Ersatz für fünf Jahre Lohn à 10 Millionen Euro.
Interessant ist die Überlegung, ob die UBS ihrem ehemaligen Geschäftsleitungsmitglied auch dann noch Bonus-Zahlungen schuldet, wenn er von Santander eine Entschädigung bekommt. Denn damit würde er die Bedingung, keine Stelle bei der Konkurrenz anzunehmen, nicht brechen.
Im Extremfall könnte es also passieren, dass Andrea Orcel, der im Januar vor dem beruflichen Nichts zu stehen schien, plötzlich Anrecht auf 150 Millionen Dollar hat: Die 100 Millionen Euro aus der Santander-Klage plus die UBS-Ansprüche. Ob die UBS allerdings noch zahlen müsste, wenn Orcel vor Gericht gewinnt, ist unklar.
2. Welche Jobs stehen dem Star-Banker offen?
Die offizielle Erklärung für den Rückzieher von Santander ist, dass die Bank die hohe Entschädigung an Orcel für entgangene Ansprüche bei der UBS gegenüber Aktionären und Angestellten nicht hatte rechtfertigen können. Unabhängig davon, ob dies zutrifft, würde sich bei jeder anderen europäischen Bank dasselbe Problem ergeben.
Wie sensitiv das Thema ist, zeigt die heftige Kritik an der Abgangsentschädigung von 26 Millionen Euro für drei zurücktretende Manager der Deutschen Bank. Keinem der gebeutelten UBS-Konkurrenten in Europa stünde es gut an, einem Banker bereits bei Stellenantritt eine zweistellige Millionensumme zu bezahlen.
Bei einer US-Bank dürfte er dafür bessere Chancen haben. Orcel arbeitete schon vor seinem Wechsel zur UBS für die Bank of America Merrill Lynch. In einem Interview mit der «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) sagte der Italiener zudem, für einen interessanten Job würde er auf das Geld von der UBS verzichten.
Immerhin: Jamie Dimon, CEO von J.P. Morgan und Vorbild anderer Grossbanken-Chefs, hat es als Angestellter zum Milliardär gebracht. Die Lohn- und Boni-Praktiken in den USA sind immer noch eine Kategorie für sich. Orcel wäre mit seinen Ansprüchen dort gut aufgehoben.
Neben dem Wechsel zur UBS-Konkurrenz wäre auch die Selbständigkeit eine Option für den Investmentbanker. In diesem Szenario bliebe allerdings keine Wahl: Er müsste auf die UBS-Boni verzichten. Je nach Ausgang des Gerichtsstreits könnte er sich mit den Millionen von Santander begnügen.
3. Endet das Konkurrenzverbot im Silicon Valley?
Ein Artikel Anfang Monat brachte eine weitere Option ins Spiel: Orcel könnte zu einem Unternehmen aus dem Silicon Valley wechseln und soll bereits entsprechende Gespräche geführt haben, schrieb «Bloomberg». Ob es sich dabei um Giganten wie Amazon oder Facebook handelt oder um vielversprechende Startups ging aus dem Artikel nicht hervor.
Orcel wäre nicht der erste, der von einer Bank zu einem Tech-Konzern wechselt. Ruth Porat etwa, die Finanzchefin des Google-Konzerns Alphabet, hatte zuvor die Finanzen von Morgan Stanley unter sich.
Ein Branchenwechsel Orcels würde die UBS aber ebenfalls vor die Frage stellen, ob er damit zur Konkurrenz übergelaufen ist. Sollte die UBS diese Frage bejahen, würde die Bank damit indirekt zugeben, dass sie Unternehmen wie Facebook oder Amazon als direkte Konkurrenz sieht.
Doch diese Firmen haben – je nach Reifegrad – tiefe Taschen und bieten riesige Aktienpakete. Womöglich wären im Fall eines Wechsels ins Silicon Valley die 50 Millionen Dollar von der UBS plötzlich zweitrangig.