Chinas AI-Erfolg: So verändert Deepseek den Finanzplatz Schweiz
Das AI-Modell von Deepseek hat die Finanzwelt erschüttert. Der Schweizer Fintech- und KI-Experte Marc Lussy analysiert, wie Chinas rasante Fortschritte den Schweizer Bankensektor verändern könnten – und warum der Westen nicht darauf vorbereitet war.
Herr Lussy, die Präsentation von DeepSeek löste ein Beben aus. Hat Sie dies überrascht?
Ich hatte China in diesem Bereich noch nicht an der Spitze erwartet hatte, sondern eher bei der Bilderkennung, beim autonomen Fahren und in der Robotik.
Letztlich war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis einer chinesischen Firma wie Deepseek der Durchbruch gelingen wird.
Weshalb?
China verfügt über viele hochtalentierte und sehr hart arbeitende Ingenieure. Mit ihrem Ehrgeiz machen sie alles wett. Da spielt es auch keine Rolle, dass China bei grossen Sprachmodellen (LLM) strukturelle Nachteile hat: Es sind weniger öffentlich verfügbare Trainingsdaten vorhanden als im Englischen. Dazu kommt die sprachliche Komplexität der chinesischen Sprache, die das Trainieren der Modelle zusätzlich erschwert.
Im Westen waren die Reaktionen heftig. Chip-Produzent Nvidia verlor über Nacht 600 Milliarden Dollar an Wert …
Das verwundert mich nicht. Der Westen kennt China schlecht, weshalb die Überraschung und die Unsicherheit gross sind. Das ist Gift für die Märkte.
Wie war dies in China?
Es gab hochkarätige politische Signale. Premier Li Qiang, ein enger Vertrauter von Xi Jinping, veranstaltete am 20. Januar ein hochrangiges Symposium, zu dem er einige Redner einlud. Einer davon war Liang Wenfeng, der Gründer von Deepseek. Dies war ein ein symbolischer Ritterschlag.
Und in der Bevölkerung?
Besonders bei der jüngeren Generation ist der Stolz spürbar. Dies könnte eine dringend benötigte Initialzündung für einen neuen Innovationsgeist sein. Viele junge Chinesen, die nur ein aufstrebendes und schnell wachsendes China kennen, sind zunehmend von Pessimismus geprägt.
«Der Westen kennt China schlecht.»
Die Einschränkungen für bekannte Unternehmer und Innovatoren in den vergangenen Jahren haben es zudem schwer gemacht, die Jugend fürs Unternehmertum zu begeistern.
Welche Ambitionen haben die Chinesen in Sachen AI?
AI wurde von der Regierung schon früh als strategisch wichtig erklärt. Eng damit verknüpft sind Robotics und selbstfahrende Autos.
«China ist digitaler als der Rest der Welt.»
Die niedrige Geburtenrate stellt eine Herausforderung dar, höhere Produktivität ist unerlässlich. AI wird in China daher zwangsläufig eine Schlüsselrolle spielen.
China ist digitaler als der Rest der Welt, von Zahlungsverkehr über IoT bis zum digitalen Zentralbank-Yuan. Es ist fast alles denkbar.
Wohin wird die Reise mittelfristig bei AI gehen?
Deepseek löst eine neue Dynamik aus, da das Modell auch auf kleinere Recheneinheiten heruntergeladen werden kann. Dadurch entfällt die permanente Online-Verbindung, was kompaktere, eigenständig agierende Tools ermöglicht.
Ich erwarte vom Deepseek-Team noch einiges: Gründer Liang Wenfeng verfolgt seit 2023 das Ziel, Artificial General Intelligence zu entwickeln. Er gibt sich nicht mit einem weiteren ChatGPT-Klon zufrieden.
Sie haben Kontakt zu Leuten aus dem Umfeld des Deepseek-Gründers. Wer ist dieser Liang Wengfeng?
Vor dem Launch von DeepSeek R1 war Wenfeng nur in bestimmten Kreisen bekannt. Dann kam der Moment, der alles änderte: Sein Auftritt mit Premierminister Li Qiang katapultierte ihn ins Rampenlicht.
«Wenfeng ist genau der unscheinbare Typ, den viele, vor allem hier im Westen, unterschätzen.»
Er ist extrem smart, zurückhaltend. Wenfeng ist genau der unscheinbare Typ, den viele, vor allem hier im Westen, unterschätzen: Er ist ein chinesischer Nerd wie er im Buch steht.
Seine Geschichte zeigt, dass Innovation auch in China ihren Platz hat. Oft heisst es, das System fördere keine bahnbrechenden Ideen, was nicht ganz falsch ist. Doch es gibt Ausnahmen wie Wenfeng.
Was bedeutet die Entwicklung im AI-Bereich für den Finanzplatz Schweiz?
Die AI-Dynamik wird sich im Finanzsektor beschleunigen. Oder anders zugespitzt ausgedrückt: Deepseek verändert den Finanzplatz Schweiz.
Ich glaube, der Schweizer Finanzsektor wird sich stärker auf die Kundenbetreuung konzentrieren als auf das Managen von Produkten und Portfolios.
«Chinesische AI-Produkte werden sich auch im Westen durchsetzen.»
Die Kundenbetreuung wird jedoch zunehmend in hybrider Form stattfinden, während das Portfolio-Management und die Auswahl von Anlageinstrumenten vollständig durch AI erfolgen könnten.
Die Zuverlässigkeit der Modelle wird wohl weiter steigen. Lanciert jedoch ein Anbieter eine Lösung, die auf genereller Künstlicher Intelligenz (AGI) basiert, würde sich nochmals alles massiv verändern, insbesondere im Finanzsektor.
Der Staat überwacht die Antworten von Deepseek. Kann sich die AI trotzdem im Westen durchsetzen?
Ja, chinesische AI-Produkte werden sich auch im Westen durchsetzen, sofern sie besser oder zumindest günstiger sind als die westliche Konkurrenz.
Eine Sperrung, insbesondere durch die USA, ist möglich, dürfte aber primär von wirtschaftlichen Interessen der US-Tech-Giganten getrieben sein. Verhindern lässt sich der Rollout nicht.
Derzeit konkurrieren rund zehn chinesische AI-Modelle mit Deepseek – und das ist erst der Anfang. Falls sich die kommunizierten Performance-Daten bestätigen, kann es sich der Westen kaum leisten, darauf oder auf vergleichbare chinesische Modelle zu verzichten, da dies einen Wettbewerbsnachteil bedeuten würde.
OpenAI wirft Deepseek vor, mit seinen Daten gearbeitet zu haben. Was ist davon zu halten?
Diese Anschuldigung wirkt heuchlerisch. OpenAI ist selbst bekannt dafür, enorme Datenmengen aus dem Internet zu sammeln, dabei geistige Eigentumsrechte zu ignorieren und auch Inhalte aus persönlichen Daten, sozialen Medien und Entwickler-Quellcodes zur Modellschulung zu nutzen.