Anleihen von Deutschland, Frankreich und Italien bilden traditionell eine wichtige Anlageklasse für Schweizer Investoren. Die politischen Entwicklungen erinnern daran, dass die Staaten trotz gemeinsamer Währung individuell analysiert werden sollten. Eine Studie der UBS liefert eine Gesamtschau. Fazit: Das Nettoangebot an Staatsanleihen wird einen Rekordwert erreichen. Grund dafür ist die EZB.

Vor bald 13 Jahren beendete der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi die in der Finanz- und Schuldenkrise aufgeflammten Spekulationen um Austritte oder Ausschlüsse einzelner Mitgliedstaaten aus der Europäischen Währungsunion (EWU) oder gar um deren Zusammenbruch. Die EZB unternehme alles («what ever it takes»), was nötig sei, um den Euro zu retten, hielt er im Juli 2012 fest.

Dass seither am Fortbestand der Einheitswährung nicht mehr ernsthaft gezweifelt wird, heisst allerdings nicht, dass die Märkte alle Länder über einen Kamm scheren. So hat die Regierungskrise in Frankreich im vergangenen Herbst dazu geführt, dass die Republik vergleichsweise hohe Zinsen respektive einen relativ stattlichen Renditeaufschlag gegenüber den als risikolos betrachteten deutschen Bundesanleihen bieten muss, wenn sie am Anleihenmarkt frisches Geld aufnehmen will.

Frankreich ist für Swiss Life nur noch «Semicore»

Der Zins liegt sogar über demjenigen, den der einstige Wackelkandidat Griechenland aktuell bezahlen muss. Swiss Life Asset Managers betrachtet Frankreich, wie Daniel Rempfler, Leiter Portfoliomanagement für Staats- und Schwellenländeranleihen, an einer Veranstaltung am Dienstag bestätigte, nur noch als «Semicore», also nicht mehr als Kernland der Währungsunion. Die Republik drifte in Richtung Peripherie ab, stellte Rempfler fest, und machte wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung im Nachbarland.

Die dortige (Minderheits-)Regierung bleibt latent absturzgefährdet. Frankreich ist aber nicht der einzige Nachbar der Schweiz, der sich durch eine hohe politische Unsicherheit auszeichnet.

Verkehrte Welt: Italien stabil, Deutschland und Österreich wacklig

In Deutschland kommt es nach dem Ampel-Aus im Februar zu Neuwahlen, mit mutmasslich schwieriger Regierungsbildung, nicht zuletzt, weil die etablierten Parteien mit Brandmauern ihren eigenen Handlungsspielraum beschneiden.

Und in Österreich hat FPÖ-Chef Herbert Kickl nach dem Zerbröseln der dortigen, gegen ihn ad personam errichteten Brandmauer reelle Chancen, Kanzler zu werden. Zur Erinnerung: Als vor über 25 Jahren die FPÖ als Juniorpartnerin in einer ÖVP-geführten Regierung mitmachte, ergriffen diverse EU-Mitgliedstaaten umgehend Sanktionen gegen die unbotmässige Alpenrepublik.

Der gemeinsame Nenner: Es geht ums Geld

So unterschiedlich die Hintergründe der derzeitigen politischen Turbulenzen in Frankreich, Deutschland und Österreich sein mögen, einen gemeinsamen Nenner gibt es: Es geht um das Geld. Die Staatsfinanzen sind in allen drei Ländern ein grosses Thema. Während Frankreich und Österreich den fiskalischen Spielraum bereits ausgereizt oder überdehnt haben, wird in Deutschland über eine Aufweichung der Schuldenbremse diskutiert, mit der hehren Absicht, die mit der «Multikrise» verbundenen Herausforderungen zu meistern.

Bereits vor der Gründung der EWU waren Anleihen der heutigen Mitgliedstaaten eine gewichtige Anlageklasse. Durch die Politik ist sie wieder spannender geworden – wobei es diesbezüglich durchaus auch positive Trends gibt. Wer hätte beispielsweise darauf gesetzt, das ausgerechnet das Nachbarland Italien durch politische Stabilität besticht, wie das derzeit unter der ersten Minsterpräsidentin Giorgia Meloni der Fall ist?

Ein Kompendium zur rechten Zeit

Das «Euro area sovereign issuance compendium 2025», welches das Global Research der UBS Anfang 2025 verfasst hat, dürfte daher heuer auf mehr Interesse stossen als in früheren Jahren.

Anhand der Angaben, welche die für die Emission von Staatsanleihen zuständigen nationalen Schatzämter und Finanzagenturen gemacht haben, gibt UBS Schätzungen für den Mittelbedarf von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Finnland, Irland, Portugal und Griechenland ab.

Gezügelter Mittelbedarf

Zusammengenommen werden sich die elf Mitgliedstaaten 2025 brutto 1'281 Milliarden Euro über die Emission von Staatsanleihen beschaffen. Das sind 56 Milliarden weniger als 2024. Fällig werden Papiere über 816 Milliarden Euro (–29 Milliarden); die Nettomittelaufnahme beträgt damit 465 Milliarden Euro (–27 Milliarden).

Die Diskussionen um eine Lockerung der Schuldenbremse in Deutschland sind auch UBS nicht entgangen. Die Analysten gehen davon aus, dass dies das Emissionsvolumen von Bundesanleihen 2025 um maximal 30 Milliarden Euro oder gut 10 Prozent erhöhen könnte.

Defizitquote leicht rückläufig

UBS führt den Rückgang des Mittelbedarfs darauf zurück, dass das Haushaltsdefizit gemessen am Bruttoinlandprodukt in einer Gesamtbetrachtung von 3,1 auf 2,6 Prozent sinken sollte. Neun der elf Länder werden brutto weniger emittieren als im Vorjahr, am stärksten ins Gewicht fällt dabei die Reduktion in Italien, auf das aber immer noch 27 Prozent der Bruttomittelaufnahme entfallen, gefolgt von Frankreich und Deutschland (26 und 21 Prozent).

Fiskalische Unterstützungsmassnahmen, welche die Staaten im Zuge der Corona- und der Energiekrise in den Jahren 2020 bis 2023 getroffen hätten, liefen allmählich aus, erläutert UBS. Zudem begännen die Vorgaben des soeben reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts dieses Jahr allmählich wieder zu greifen – die Analysten der Grossbank scheinen also tatsächlich davon auszugehen, dass das zum wiederholten Mal geflickte Regelwerk doch noch wirksam werden könnte.

Weniger Geldmarktpapiere, längere Duration

Gemäss der Studie wird der Bestand an Geldmarktpapieren (Laufzeit unter einem Jahr), der in Pandemie aufgrund des plötzlichen hohen Mittelbedarfs der öffentlichen Haushalte hochgeschnellt war, 2025 wie schon 2024 weiterhin leicht rückläufig sein. Dazu passt, dass die durchschnittliche Restlaufzeit (Duration) der ausstehenden Schulden 2025 steigen dürfte, weil die rückläufigen Zinsen die staatlichen Schuldenverwalter dazu animinieren, günstige Niveaus mit der Emission langlaufender Anleihen anzubinden.

Auch die EZB nimmt im Kompendium der UBS eine prominente Rolle ein. Seit der Finanzkrise hat sie über verschiedene Programme mit schönen Kürzeln wie PSPP und PEPP immer wieder Staatsanleihen (und andere Papiere) aus den Mitgliedstaaten aufgekauft und auf ihre Bilanz genommen, um so die monetäre Konditionen «unkonventionell» zu lockern. Damit hat sie dem Markt Staatsanleihen entzogen, d.h. den Free Float (den Anteil der frei handelbaren Obligationen) reduziert.

Quantitative Tightening der EZB erhöht das Nettoangebot

In den letzten zwei Jahren hat die EZB im Zuge der geldpolitischen Kehrtwende begonnen, fällige Staatsanleihen nicht mehr zu reinvestieren und damit ihre Bilanz zu schrumpfen. Aus dem Quantitative Easing ist ein Quantitative Tightening geworden. 2024 erhöhte sich dadurch das Nettoangebot an Staatsanleihen um 281 Milliarden Euro. 2025 sollen auf diesem Weg gar Staatspapiere im Gegenwert von 407 Milliarden Euro dazukommen. 

Als Folge des Quantitative Tightening muss damit der Markt diesen Betrag zusätzlich absorbieren. So betrachtet erreicht die Nettokapitalaufnahme mit 872 Milliarden Euro ein Allzeithoch (2024: 773 Milliarden). Das grosse Angebot müsste ceteris paribus dazu führen, dass die Käufer eine etwas höhere Rendite erwarten könnten.

EZB wird immer noch einen Drittel aller Staatsanleihen halten

Allerdings wird die EZB auch Ende 2025 die grösste Halterin von Staatsanleihen aus dem Euroland sein. Immerhin sinkt ihr Anteil von 40 auf 34 Prozent.

In den letzten Jahren als Emittentin vermehrt in Erscheinung getreten ist auch Europäische Union (EU) selber (die nicht mit der EWU deckungsgleich ist). Die Europäische Kommission plane, dieses Jahr EU-Bonds über 160 Milliarden Euro aufzunehmen, hält die UBS fest.

Syndizierungen, Emissions- und Ratingkalender

Das Kompendium enthält ferner Ausführungen zur Pipeline an Green Bonds (Staatsanleihen, deren Emissionserlös für «nachhaltige» Zwecke verwendet wird), eine Aufstellung über die Emissionen (Syndizierungen) der letzten Jahre, einen Emissionskalender für jedes Land (Beträge nach Laufzeit und Monat) und – für die Anleger angesichts der erwähnten Unsicherheiten besonders relevant – einen Ratingkalender, der Auskunft darüber gibt, an welchem Tag im Jahr 2025 welche Ratingagentur die Einstufung welchen Mitgliedstaats überprüfen wird.

Die Schweiz ist nicht Mitglied der Währungsunion und taucht in der Studie der Grossbank entsprechend nicht auf.

Fiskalischer Druck und Diskussion um Schuldenbremse auch in der Schweiz

Trotz vieler Unterschiede gibt es einige Parallelen: Auch hierzulande ist der fiskalische Druck gestiegen, wie die Diskussionen um das vom Bundesrat im September 2024 vorgelegte «Entlastungspaket» zeigen, und kreative Vorschläge für eine flexiblere Interpretation der Schuldenbremse machen ebenfalls (wenn auch immer noch ein bisschen verschämt) die Runde.

Und wer wissen will, wie es mit dem Nachschub an Schweizer Bundesobligationen aussieht: Die Tresorerie in Bern hatte bereits im Dezember den Emissionskalender 2025 vorgelegt. Darin wird von einem leichten Anstieg des Bestands an Anleihen der Eidgenossenschaft ausgegangen.