Bitcoin schlägt in Londoner Privatclub ein

Wie beurteilt die englische Elite die Kryptowährung? Einblicke bot ein Anlass im «Smoking Room» des berühmten Mitglieder-Clubs «The Athenaeum». finews.ch war dabei.

Die Affiche verspricht eine gewisse Spannung: Im Londoner «The Athenaeum», einem der bekanntesten Londoner Mitglieder-Clubs, soll über den Bitcoin diskutiert werden, den disruptiven Spaltpilz für die herkömmliche Geldtheorie.

«The Athenaeans» treffen sich seit 1824 in ihrem imposanten Clubhaus an der Prestige-Adresse 107 Pall Mall im Stadtteil St. James’s in der Nähe des Buckingham Palace. Über 2’000 Mitglieder zählt der Privatclub, der seit 2002 auch Frauen offensteht.

51 Nobelpreisträger zählt der Club

Zehn Unterstützer aus dem Kreise der Mitgliedschaft muss man als «Sponsor» gewinnen, will man hier Mitglied werden. Voraussetzung dafür ist, dass man eine gewisse intellektuelle Distinktion vorweisen kann. Der Club versteht sich als Begegnungszentrum für die Avantgarde aus Wissenschaft und Schönen Künsten. Auf 51 Nobelpreisträger, vor allem aus den Naturwissenschaften, bringen es die «Athanaeans» über ihre lange Geschichte, darunter die Literaturnobelpreisträger T.S. Eliot und Winston Churchill oder die Mediziner James Rothman und Tim Hunt sowie der Ökonom John Hicks.

Die Aufgabe, den Bitcoin in diesen Kreisen einzuführen, fiel am vergangenen Donnerstag dem Schweizer Fintech-Unternehmer und früheren Top-Kader-Mann  bei der UBS, Adriano Lucatelli, zu. Der Abendanlass wurde von den «Young Athenaeans» ausgerichtet, bei denen die jüngeren Clubmitglieder organisiert sind. Jünger, das bedeutet in diesem Kontext so ungefähr unter 50. Aber natürlich stand der Anlass auch den älteren Mitgliedern offen, die von dieser Chance zahlreich Gebrauch machten.

Gemütliches Kamingespräch-Setting

Der «Smoking Room» in der oberen Etage des Clubhauses – geraucht werden darf hier seit entsprechender Gesetzgebung der Tony-Blair-Regierung im Jahr 2007 leider nicht mehr – wirkt wie ein überdimensioniertes Wohnzimmer: Innerhalb einzelner Sitzgruppen sind Sofas und Sessel um niedrige Tische drapiert, die jeweils zwischen zwei und acht Gästen Platz bieten. Gegen fünfzig Teilnehmer lassen sich in diesem gemütlichen Kamingespräch-Setting nieder.

Seinen ersten Auftritt auf dieser Bühne feiert der Bitcoin 17 Jahre nach seiner Erfindung.

Lucatelli: Erhebliche Geldentwertung

Lucatelli, der der Kryptowährung lange skeptisch gegenüberstand, in den letzten Jahren aber einen bemerkenswerten Sinneswandel durchgemacht hat und den Bitcoin seit einigen Tagen sogar als Beimischung zu den Vermögensverwaltungs-Portfolios seines Unternehmens Descartes Finance eingeführt hat (finews.ch berichtete), beleuchtet in seinem einleitenden Plädoyer dessen Chancen und Risiken.

Ausgangspunkt seiner Analyse ist, dass die Kaufkraft einer Million britischer Pfund beim Ende des Bretton-Woods-Systems, also 1975, der Kaufkraft von heute 10,7 Millionen Pfund entspreche. Beim US-Dollar betrage der Faktor 5,9 und beim Schweizerfranken, welcher eine der weltweit wertstabilsten Währungen sei, immerhin 2,2. «Das heisst, in der Schweiz haben sich die Preise in den letzten 50 Jahren ‹nur› verdoppelt.»

Problematische Aspekte

Dass es angesichts dieser inflationären Bilanz eine Nachfrage nach Alternativen zu den Papiergeld-Währungen gebe, liege auf der Hand. Noch viel mehr gelte dies für die Menschen, die keinen Zugang zu Bankdienstleistungen hätten und die anstelle von schleichender mit galoppierender Inflation zu kämpfen hätten. Deren Zahl gibt Lucatelli mit über einer Milliarde an und nennt Venezuela, Argentinien und Teile Afrikas als Beispiele.

Lucatellis Plädoyer bleibt aber eingemittet. Er weist auch auf die problematischen Aspekte des Bitcoins hin: die Volatilität, die inhärente Attraktivität für das organisierte Verbrechen, den Energieverbrauch, die Möglichkeit von Regierungen, ihn zu kriminalisieren oder gar den Garaus zu bereiten…

Historische Anleihen und Bonmots

Das Format des Anlasses will es, dass, nach der Einführung durch den Redner, das Thema innerhalb jeder Sitzgruppe gesondert besprochen wird, bevor es dann im Plenum eine Frage- und Diskussionsrunde gibt. Am Tisch, wo sich finews.ch platziert hat, treffen zum Beispiel ein Patentanwalt aus Oxford, ein distinguierter ehemaliger Banker, ein auf den ersten Blick etwas exzentrisch anmutender englischer Professor für Astrophysik, ein italienischer Ökonom, der ein Buch über digitale Währungen geschrieben hat, und ein KI-Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufeinander.

Das Tischgespräch, angeregt durch etwas Rot- und Weisswein, mäandriert vom Bitcoin zu Schwarzen Löchern, geopolitischen Fragestellungen (Donald Trump und Elon Musk dürften die Ohren geläutet haben), Fragen des Quantum-Computings, die Schweizer Vollgeld-Initiative… Die Einlassungen der Tischgenossen sind meist interessant und kenntnisreich, häufig auf Hochglanz poliert durch historische Anleihen und Bonmots («Es ist wie im Goldrausch: Reich werden nicht diejenigen, die nach Gold graben, sondern diejenigen, die ihnen die Schaufeln verkaufen»).

Interessante Fragen und Gedanken

Als das Gespräch schliesslich wieder auf den gesamten «Smoking Rooms» erweitert wird, muss Adriano Lucatelli Red’ und Antwort stehen. Die meisten Fragen, die aufgeworfen werden, zeugen von authentischer Neugier: Was passiert mit dem Bitcoin, wenn neue Quanten-Computer die bestehende Verschlüsselungs-Technologie dereinst um Potenz-Faktoren in den Schatten stellen sollten? Warum verläuft die markante Geldentwertung selbst in Grossbritannien eher geräuschlos? Ist der elektrische Strom, der ins Mining von Bitcoin investiert werden muss, nicht am Ende auch eine Art von Natural-Deckung der Währung?

Abschliessende Antworten gibt es in «The Athanaeum» nicht, aber viele interessante Gedanken.

Ungewohnte Kontroversen

Gegen Schluss hinterfragt eine ältere Teilnehmerin im lupenreinen «British English» der Upper-Class hartnäckig die Tatsache, dass die Geldschöpfung des Bitcoin für alle Zeiten auf 21 Millionen Stück limitiert ist. Eine anwesende Mitarbeiterin der Bank of England aus dem Gästekreis unternimmt einen Erklärungsversuch, der im ersten Anlauf sehr technisch ausfällt, im zweiten Anlauf aber doch noch einigermassen verfängt: Der Software-Code enthalte einen unabänderlichen Selbstzerstörungsmechanimus für die Bitcoin-Kreation.

Der Grossteil der Wortmeldungen zum Bitcoin fällt skeptisch bis kritisch aus. Dennoch beeindruckt die Neugier und Offenheit, mit welcher sich die Edelauslese aus dem englischen Establishment auf das Thema einlässt. Es sei einer der anregendsten und kontroversesten Anlässe in jüngerer Vergangenheit in diesem Club, hört man verschiedentlich.

Und was sagt der Mann, der das Bitcoin-Thema in den historischen Hallen von «The Athenaeum» lanciert hat? Adriano Lucatelli denkt kurz nach und sagt: «Es beeindruckt mich immer wieder aufs Neue, wie hier die Perspektiven von Persönlichkeiten derart unterschiedlicher Hintergründe, Perspektiven und ‹walks of life› zusammenkommen.»

Widerstreit aus Statik und Dynamik

Beim Verlassen des Clubhauses fällt uns ein steinernes Podest auf, entlang des Bordsteins. Die Inschrift verrät, dass dieses angefertigt wurde, damit der erste Duke of Wellington (1769-1852), der Bezwinger Napoleon Bonapartes in der Schlacht bei Waterloo anno 1815, bequemer vom Pferd absteigen konnte, wenn er in seinen Club kam.

Der Duke und sein Pferd sind lange verschwunden, der Sockel aus Stein aber ist geblieben – eine stille Erinnerung daran, dass der Widerstreit zwischen Statik und Dynamik, zwischen Tradition und Umbruch, nie endet. Ein Gedanke, der nach ein paar Gläsern Wein umso passender für die Bitcoin-Debatte erscheint.