Aus dem Bericht des Bundesrats zur Bankenstabilität ist ein Wälzer mit zig Vorschlägen und Massnahmen geworden. Diese Komplexität könnte sich noch als kostspielig für die Schweiz erweisen, findet finews.ch.
«The dog and the frisbee» lautet ein legendärer Aufsatz, den der frühere britische Notenbanker Andrew Haldane (Bild unten) im Jahr 2012 publizierte. Damals waren die Regulatoren der westlichen Welt gerade mit der Aufarbeitung der Finanzkrise von 2008 beschäftigt, die in der Schweiz die Staatsrettung der UBS nötig gemacht hatte.
Risiko von Verlusten minimieren
Mit den «Too big to fail»-Vorgaben und den Basel-III-Eigenkapital-Vorschriften hofften die Bankenaufseher damals, Krisenbanken künftig entweder zu sanieren oder in den Konkurs schicken zu können. Ohne Gefahr für das Finanzsystem und den Steuerzahler.
Dabei setzten die Regulierer auf komplex zu errechnenden Kennzahlen wie die Kernkapital-Quote und Leverage-Ratio. Die Einhaltung von Mindestwerten sollte künftig das Risiko übergrosser Verluste bannen. Getestet wurden diese Vorgaben aber nur in Übungen. Sanktionen wurden selten bemüht.
Ad absurdum geführt
Das war dem Finanzstabilitäts-Experten Haldane suspekt. In seiner Parabel über den Hund, der trotz der höchst komplexen physikalischen Parameter den geworfenen Frisbee mühelos fängt, forderte er eine möglichst intuitive Bankenregulierung: Simple Regeln – und klare Folgen bei Fehlverhalten.
Der Untergang der Credit Suisse (CS) hat die «Too big to fail»-Regeln im März 2023 ad absurdum geführt. Obwohl die Grossbank auf den ersten Blick alle Anforderungen an die Kapitalisierung erfüllte, hätte sie keinen weiteren Tag überlebt. Das Institut hatte das Vertrauen des Marktes aufgebraucht und stand vor der Zahlungsunfähigkeit. Erneut musste der Bund als Garantiegeber einspringen, während das Geldhaus an die Erzrivalin UBS zwangsverkauft wurde.
(Bild: Bank of England)
22 einzelne Massnahmen
Dennoch gelangte der Bundesrat nun in seinem Bericht zur Bankenstabilität am (gestrigen) Mittwoch zum Schluss, dass «Too big to fail» im Grundsatz funktioniert habe. Das Regelwerk habe die Widerstandskraft der systemrelevanten Banken gestärkt. Anderseits musste die Regierung konzedieren, dass nach der Krise Handlungsbedarf für eine Weiterentwicklung und Stärkung des Regelwerks bestehe.
Das unternahm eine vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe nun mit der Definition von drei «Stossrichtungen» mit jeweils mehreren «Handlungsfeldern», die in nicht weniger als 22 «Massnahmen» gipfeln.
Das Ganze wird über 339 Seiten hinweg als Vorschlag ausgebreitet, wobei sich die Landesregierung vorbehält, ihre Anliegen per Verordnung durchzudrücken. Allerdings will auch sie erst einmal abwarten, was die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur CS-Notfusion noch herausfindet. Der PUK-Bericht wird Ende 2024 erwartet.
Gar nicht erst diskutiert
Unschwer ist zu erkennen, dass da kein Frisbee durch die Luft fliegt. Sondern schon eher ein Airbus A380. Bei zentralen Forderungen wie etwa beim in der Politik verbreiteten Ruf nach mehr Eigenkapital für die Grossbanken widersprechen sich zudem die Experten. Der Bericht laviert: «Ein abschliessendes Urteil über die genauen Auswirkungen erhöhter Eigenmittelanforderungen ist schwierig.»
Klar ist für den Bundesrat hingegen, was er auf jeden Fall verhindert will: Eine neuerliche Rettung einer Schweizer Grossbank durch den Steuerzahler. Über einen Mechanismus für eine Verstaatlichung habe man nicht diskutiert, sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter am Mittwoch vor den Medien in Bern.
Sie hält es auch für kontraproduktiv, zu signalisieren, dass Banken am Ende immer auf eine staatlichen Rettung vertrauen können.
Bankenrettung nach Drehbuch
«Oberstes Ziel unserer Überlegungen ist es, eine erneut Krise zu vermeiden, und die Risiken für die Bürgerinnen und Bürger zu minimieren», brachte Keller-Sutter diese Grundhaltung an der Konferenz auf den Punkt. Die Maxime, Staat ind Behörden aus künftigen Bankenrettungen herauszuhalten, dürfte nun die Grossbanken-Regulierung der nächsten Dekade bestimmen.
Doch zwingend ist sie nicht. In anderen Jurisdiktionen ist die Notrettung von Banken institutionalisiert, zumal in den USA, dem bedeutendsten Bankenplatz der Welt. Dort geschieht eine Bankenrettung nach einem exakt vorgegebenen Drehbuch: Dies zeigte im März 2023 der Kollaps der kalifornischen Silicon Valley Bank – immerhin die Grösse Bankenpleite in den Staaten seit der Finanzkrise von 2008.
«Bank run» wie bei der CS
Auch dieses Institut erlitt wie die CS einen «Bank run». Kunden zogen in Scharen ihr Vermögen ab. Der Bundesstaat Kalifornien fackelte nicht lange und stellte das Geldhaus unter Zwangsverwaltung der nationalen Einlagensicherung FDIC. Alle Einlagen beim Institut wurden in eine extra geschaffene Zweckgesellschaft überführt und dadurch gesichert. Die Reste des Instituts wurden an die Konkurrentin First Citizens verkauft.
Wenig später wiederholte sich der Vorgang bei der US-Regionalbanken Signature und First Republic. Letztere wurde nach dem Einschreiten der FDIC vom US-Bankenriesen J.P. Morgan geschluckt.
Manöverkritik aus den USA
Sinnigerweise hat sich dieser Tage der Präsident der FDIC, Martin Gruenberg, in einer Rede kritisch zum Vorgehen der Schweizer Behörden bei der CS-Rettung geäussert. Es sei ein Fehler gewesen, dass diese von einer Abwicklung zurückgeschreckt seien, wie ihn die britische Zeitung «Financial Times» (Artikel bezahpflichtig) zitierte.
«Die Tatsache, dass die Schweizer Behörden die Credit Suisse nicht abgewickelt haben, war offen gesagt nicht hilfreich und letztlich eine verpasste Gelegenheit», sagte Greunberg. Die FDIC demonstrierte zu diesem Anlass, wie sie eine Abwicklung auch bei einer global systemrelevanten Bank wie der CS durchziehen würde.
Sichern, auflösen, verkaufen
Natürlich ist die CS und erst recht die neue UBS-CS um ein Vielfaches grösser als die amerikanischen Pleitebanken. Und das BIP der Schweiz macht einen Bruchteil der volkswirtschaftlichen Leistung der USA aus. Dennoch liegt im Drehbuch der Amerikaner eine Einfachheit, die für Berechenbarkeit und damit klare Verhältnisse an den Märkten sorgt. Sichern, auflösen, verkaufen: Alle Marktteilnehmer wissen, was mit einem US-Institut geschieht, das sich verkalkuliert.
Das kommt Haldanes Forderungen an eine einfache Bankenregulierung schon ziemlich nahe.
«Weniger könnte mehr sein»
«Was ist das Geheimnis des Versagens der Bankenaufseher?», fragte der Notenbanker vor zwölf Jahren. «Die Antwort ist einfach. Oder besser, die Antwort ist: Komplexität. So ist zu untersuchen, ob die Art der komplexen Regulierung, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, nicht nur kostspielig und umständlich, sondern auch für die Krisenbewältigung suboptimal ist».
Bei der Finanzregulierung, vermutete Haldane schon damals, könnte weniger mehr sein.