Nachhaltigkeitsregeln: Gegenwind ist stärker geworden

Der Bundesrat legt die weitere Verschärfung der Nachhaltigkeitspflichten für Unternehmen aufs Eis. Er begründet dies mit den Bestrebungen der EU, ihren Regulierungsdschungel zu lichten. Doch auch die Kritik in der Vernehmlassung und die Anti-ESG-Politik der US-Regierung dürften eine Rolle gespielt haben. Eine Einordnung.

Beim Thema Nachhaltigkeit ist derzeit – um es leicht euphemistisch auszudrücken – einiges im Fluss. Im Finanzsektor sind Anlagen, die ökologische, soziale und unternehmensorganisatorische Kriterien berücksichtigen (Environmental, Social, Governance; ESG) schon seit einiger Zeit keine Selbstläufer mehr.

Mit dem Amtsantritt von Donald Trump, der ESG im allgemeinen und die Dimension Diversität, Gleichstellung und Einbezug (Diversity, Equity, Inclusion; DEI) im besonderen aus der Unternehmenslandschaft und damit auch aus der Finanzwelt verbannen will, hat sich der Gegenwind verstärkt. Etliche international tätige Firmen und Banken, darunter auch solche mit Schweizer Domizil, haben bereits reagiert – und werben deutlich weniger offensiv mit ESG-Argumenten, als dies noch vor wenigen Monaten der Fall war.

Lockerung des Regulierungskorsetts in der EU absehbar

In Europa und auch in der Schweiz ist Nachhaltigkeit in der Unternehmenswelt zwar weiterhin ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers, aber die zuvor sehr hohe Kadenz der Regulierung scheint nun gedrosselt zu werden.

In der EU, wo nicht nur böse Zungen von einem Nachhaltigkeitsregulierungsdschungel sprechen, sollen die Vorschriften insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen gelockert werden, wie im Februar bekannt wurde. Neben den Bestimmungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD und EU-Taxonomie) will die Kommission das EU-Lieferkettengesetz sowie Vorgaben zu nachhaltigen Investitionen lockern. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD), die erst im Juli 2024 in Kraft getreten ist.

Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

In der Schweiz gelten seit 2022 strengere Regeln für die nachhaltige Unternehmensführung. Grosse Schweizer Unternehmen müssen über die Risiken in den Bereichen Umwelt, Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption sowie über die dagegen ergriffenen Massnahmen berichten. Unternehmen mit Risiken in den Bereichen der Kinderarbeit und der sogenannten Konfliktmineralien sind weitergehenden Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten unterworfen.

Grössere kotierte Schweizer Unternehmen müssen den Nachhaltigkeitsbericht seit 2024 zwingend der Generalversammlung (GV) zur Abstimmung vorlegen. Aufgrund der neuen Bestimmungen im Obligationenrecht (OR) sind kotierte Unternehmen mit mindestens 500 Vollzeitstellen und einem Jahresumsatz von über 40 Millionen Franken (oder einer Bilanzsumme von über 20 Millionen) verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen und diesen den Aktionären vorzulegen. Gemäss einer Auswertung des Stimmrechtsberaters Ethos zur GV-Saison 2024 waren davon 140 SPI-Unternehmen betroffen. 

Massive Ausweitung des Kreises der Unternehmen

Und der Bundesrat beabsichtigte eigentlich sogar eine weitere Verschärfung. Gemäss einer im Juni 2024 präsentierten Vernehmlassungsvorlage wollte er analog zu den EU-Regeln, dass noch mehr Unternehmen über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Korruption sowie die ergriffenen Massnahmen Bericht zu erstatten hätten.

Damals ging der Bundesrat im Rahmen der sogenannten Regulierungsfolgeabschätzung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von bis zu 50'000 Schweizer Unternehmen aus, die vom entsprechenden EU-Recht betroffen sind.

Künftig wollte der Bundesrat rund 3'500 Unternehmen dazu verpflichten, über ihre Risiken in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Korruption sowie über die dagegen ergriffenen Massnahmen zu berichten. Bei den Nicht-Publikumsgesellschaften sollte die Schwelle von 500 auf 250 Mitarbeiter gesenkt werden. Ausserdem war geplant, dass neu ein externes Revisionsunternehmen oder eine Konformitätsbewertungsstelle die Berichterstattung überprüft.

Kontroverse Stellungnahmen in der Vernehmlassung

Nun nimmt auch der Bundesrat Tempo heraus, wie aus einer Mitteilung vom Freitag hervorgeht. Die Landesregierung habe die Vernehmlassungsergebnisse zu den strengeren Bestimmungen über die Berichterstattungspflichten für Unternehmen zur Kenntnis genommen. Die eingegangenen Stellungnahmen seien kontrovers ausgefallen. Die Vernehmlassung wurde gemäss dem entsprechenden Bericht sehr rege benutzt. Unter den 164 Teilnehmern finden sich Parteien, Kantone, Wirtschafts- und Branchenverbände sowie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen.

Der Bundesrat wolle weiterhin, dass das Schweizer Recht bei der nachhaltigen Unternehmensführung international abgestimmt sei, weil dies für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen zentral sei. Er hat aber auch festgestellt, dass bei der EU einiges in Bewegung ist. «In der EU zeichnen sich derzeit erneut rasche und gewichtige Veränderungen ab», beobachtet die Landesregierung. Und weiter: «Die EU-Kommission will namentlich auch die Regeln bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung und bei den Sorgfaltspflichten stärker vereinfachen.»

«Pragmatische Änderung der Gesetzgebung»

Der Bundesrat wird über das weitere Vorgehen entscheiden, sobald die Vereinfachung in der EU beschlossene Sache ist, «spätestens jedoch im Frühjahr 2026». Der Ball liegt nun erneut bei der Bundesverwaltung, die er beauftragt hat, «mögliche Varianten für eine pragmatische Änderung der aktuellen Gesetzgebung auszuarbeiten». Diese Vorschläge sollen sowohl die Nachhaltigkeitsberichterstattung als auch die Sorgfaltspflichten umfassen.

Neben dem Vernehmlassungsbericht wurde dem Bundesrat auch eine aktualisierte Studie über die Auswirkungen der EU-Regeln im Bereich der Sorgfaltspflichten für Schweizer Unternehmen vorgelegt. Insbesondere die CSDDD sieht deutlich weitergehende Sorgfaltspflichten vor als die OR-Bestimmungen. Allerdings sind die jüngsten EU-Vereinfachungsvorschläge und deren Folgen für die Schweiz in dieser Studie noch nicht enthalten.

Positive Nebeneffekte des bundesrätlichen Aufschiebens

Die Landesregierung begründet ihr Zuwarten also mit den laufenden Entwicklungen im EU-Nachhaltigkeitsrecht. Dies ist eine schlüssige Erklärung, aber das Aufschieben hat positive Nebeneffekte. Erstens muss sich der Bundesrat noch nicht zum Inhalt äussern und damit Farbe gegenüber den Argumenten der Vernehmlassungsteilnehmer bekennen. Und zweitens ist Abwarten und Beobachten auch die richtige Devise, wenn man den Blick über Brüssel hinaus nach Washington schweifen lässt.

Denn die US-Regulierung und deren Auslegung in der Praxis sind für multinationale Schweizer Unternehmen und insbesondere für den hiesigen Finanzplatz erfahrungsgemäss mindestens so wichtig wie Anpassungen auf EU-Ebene – nicht zuletzt mit Blick auf die hehre Absicht des Bundesrats, will dieser doch gemäss Communiqué «Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich faire Handelsbedingungen garantieren».

«Faire Handelsbedingungen» und «internationale Abstimmung»

Was man immer auch von Trumps Politik halten mag: Es ist sein Verdienst, in Erinnerung gerufen zu haben, dass zu «fairen Handelsbedingungen» auch der Abbau von kostspieliger feinteiliger Regulierung oder der Verzicht auf neue Vorschriften gehören und dies auch ein probates Mittel zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sein kann.

Weiter in die Ferne gerückt ist allerdings mit Trump das Erreichen des bundesrätlichen Ziels der «internationalen Abstimmung», nicht nur, aber auch im Bereich der Nachhaltigkeitsvorschriften für Unternehmen. Vielleicht muss sich die Schweiz bei der Regulierung hie und da wieder vermehrt daran orientieren, was ihren Prinzipien entspricht und was aus ihrer Sicht sinnvoll und richtig ist.