Die Genossenschaftsbanken wollen ihr Online-Angebot in einer einzigen App bündeln. Roland Altwegg, Geschäftsleitungs-Mitglied bei Raiffeisen Schweiz, hat mit finews.ch über die Pläne gesprochen – und warum sich die Gruppe mit der Erhöhung der Sparzinsen Zeit lässt.
Eine App, um sie alle zu binden: Das ist bei Raiffeisen Schweiz nicht «Fantasy», sondern soll mittelfristig Realität werden. «Auf der Agenda steht die Raiffeisen App, wo das E-Banking und weitere bereits vorhandene Tools zusammengeführt werden», sagt Geschäftsleitungs-Mitglied Roland Altwegg zu finews.ch.
Seit genau einem Jahr führt er offiziell das Departement Produkte und Investment Services von Raiffeisen Schweiz – ein weites Feld, das über klassische Angebote wie Sparkonti und Hypotheken über Raiffeisen-Fonds bis hin zu Apps zum Vorsorgesparen reicht.
Phase der Strategieschärfung
Nachdem die Raffeisen-Banken aufgrund der Affäre rund um den Ex-Chef Pierin Vincenz über Jahre stark mit sich selber beschäftigt waren, vermochte die St.Galler Zentrale Raiffeisen Schweiz zuletzt die Digitalisierung zu forcieren: Ankündigungen zu neuen Online-Angeboten, Fintech-Kooperationen und um die Lancierung des Wohnen-Ökosystems Liiva mit der Versicherung Mobiliar jagten sich in den letzten Jahren in rascher Folge.
Und Altwegg, der bereits seit 2007 für die Gruppe arbeitet, ist als Leiter neue Geschäftsmodelle und Ökosysteme sowie in seiner aktuellen Rolle stets mittendrin gewesen.
Wie er erklärt, ist nach dem digitalen Aufbruch bei den Genossenschaftsbanken nun aber eine Phase der «Strategieschärfung» angebrochen. Entsprechend werde bei den neuen Angeboten noch stärker auf die Marke Raiffeisen, die eigenen Kanäle und Kunden gesetzt.
Liiva verkauft
Die Raiffeisen App ist ein Paradebeispiel für diese Bemühungen. Die integrierte Portallösung soll mittelfristig das E-Banking ablösen, blickt Altwegg in die Zukunft. «Unser Ziel ist eine App für alle digitalen Raiffeisen-Dienste, optimiert für das Smartphone.» Weiterhin habe aber für die Bankengruppe mit dem schweizweit grössten Filialnetz die physische Bank vor Ort eine zentrale Bedeutung, gibt der Manager zu bedenken. «Mit ihr muss der Online-Kanal zusammenspielen.»
Strategieschärfung: vor diesen Hintergrund es auch der Abschied der Bankengruppe vom Joint-Venture mit der Liiva zu verstehen. Nachdem Raiffeisen Schweiz und der Berner Allversicherer das gemeinsame Unternehmen erst im Sommer 2021 lanciert hatten, übernahm die Mobiliar im vergangenen Oktober sämtlich Anteile. «Wir haben im vergangenen Jahr entschieden, im Geschäftsfeld Wohnen in der aktuellen Strategieperiode nur noch banknahe Dienste zu vermitteln – also nicht auch noch den Gärtner, der den Rasen zu mäht», berichtete Altwegg.
«Wir bleiben bei unserer DNA»
Im Angebot sind stattdessen der Kauf und Verkauf von Liegenschaften, welche auch mit der Makler-Tochter Raiffeisen Casa abgedeckt werden. Ausserdem berät die Gruppe hinsichtlich Modernisierungen oder dem Vererben von Liegenschaften. «Wir bleiben also bei unserer DNA, die aus der Finanzierung kommt», so der Bankmanager weiter. Das sei auch gegenüber den Kundinnen und Kunden einfacher vermittelbar. Zudem böten sich unter dem eigenen Brand viele Verbundeffekte.
Mit der Absage an ein weit gefasstes digitales Ökosystem dürfte Raiffeisen andere Akteure am hiesigen Markt auf der Fintech-Lernkurve überholt haben: Die Verwässerung der eigenen Marke, die Öffnung der Schnittstelle zum Kunden für Dritte sowie die hohen Investitionen sind nur die wichtigsten Argumente, die aus Unternehmenssicht gegen solche Zukunft-Modelle sprechen.
Beobachter gehen seit Jahren davon aus, dass es in der hiesigen Finanzbranche zu einer Bereinigung solcher Angebote kommen muss. Die Raiffeisen-Gruppe hat nun offensichtlich die Reissleine früher gezogen als die Konkurrenz.
«Das Geld wird bei der lokalen Bank angelegt»
Dies kontrastiert mit der eher abwartenden Haltung im Bereich der traditionellen Angebote, zumal im Zinsengeschäft. Wie auch finews.ch berichtete, haben die Raffeisenbanken auf der Passivseite zurückhaltend auf die Leitzinserhöhungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) reagiert und bieten im Branchenvergleich eher tiefe Sparzinsen, wobei Genossenschafter ein besseres Angebot geniessen. Raiffeisen Schweiz hat nun Mitte Februar entschieden, ihre Zinsempfehlungen für Sparkonten ab dem 1. April nochmals zu erhöhen.
«Uns hilft, dass wir als Gruppe bereits über eine grosse Basis an stabilen Passivgeldern verfügen, um unser Zinsgeschäft zu refinanzieren», erklärt Altwegg das Vorgehen. Ebenfalls profitiert die weiterhin ländlich geprägte Gruppe davon, dass sich die Kunden ihrer Raiffeisenbank eng verbunden fühlen. «Das Geld wird bei der lokalen Bank angelegt, und diese finanziert wiederum Projekte in der Region», bringt Haltwegg diesen Rückhalt auf den Punkt.
Run auf variable Zinsen
Beim Verkauf von Hypotheken haben die Raiffeisenbanken indes die Sätze des Kapitalmarkts rasch nachvollzogen und diese um die eigene Marge ergänzt – was eine deutliche Erhöhung der Sätze nach sich zog. Und, glaubt man Altwegg, «eine totale Veränderung des Kundenverhaltens». Bei Hypotheken seien lange Laufzeiten sind nicht mehr gefragt, gleichzeitig fände ein Run auf die tieferen variablen Zinsen statt, sagt er. «Rund die Hälfte aller Verlängerungen und Neuabschlüsse bei uns entfallen auf Saron-Hypotheken.»
Die als bodenständig geltenden Schweizer Eigenheimbesitzer, die den Grossteil der Raiffeisen-Schuldner bilden, gehen damit eine Zinswette mit ungewissem Ausgang ein: sie hoffen nämlich darauf, dass die Zinsen schon bald ihren Gipfel erreichen. Doch damit könnten sie auch danebenliegen, und die Kosten ihrer variablen Hypotheken weiter steigen.
Sicherheitsnetz für Saron-Schuldner
Bei Raiffeisen Schweiz hat man indes entschieden, ein Sicherungsnetz einzuziehen. «Wird erlauben den Schuldnerinnen und Schuldnern, ihre Saron-Hypotheken jederzeit gegen ein Festzins-Produkt mit mindestens der gleichen Restlaufzeit umzutauschen», sagt Altwegg.
Deuteten Umfrage zuletzt auf eine steigende Nervosität unter Schuldnern hin, bleibt man bei der Schweizer Marktführerin im Hypogeschäft augenscheinlich gelassen. «Um Raiffeisen mache ich mir wegen möglicher Kreditausfälle keine Sorgen», sagt Produktechef Altwegg. Die Gruppe verfüge über ein robustes Portfolio, und sei anders als in der Vergangenheit in den letzten Jahren nur noch mit dem Markt gewachsen. «Ausserdem sind wir über die ganze Schweiz diversifiziert und in Immobilien engagiert, die relativ einfach verkauft werden können.»
Marge steigt nicht in alte Höhen
Auch auf den generellen Vorwurf an die Schweizer Retailbanken, sie schöpften seit der Zinswende eine stark erhöhte Marge ab, hat Altwegg eine Antwort. In der Negativzins-Ära sei die Zinsmarge ja stetig gesunken – auf 1 Prozent oder noch tiefer. Nun erleben die Banken eine Art Gegenbewegung. «Margen von 1,6 Prozent und höher gehören aber der Vergangenheit an», gibt der Banker zu bedenken.
Und überhaupt: am Ende sei der gesunde Mix von Zinsprodukten in der Bilanz ausschlaggebend, nicht alleine der Ertrag. Wie dieser im vergangenen Jahr 2022 ausgefallen ist, darüber wird die Gruppe am 2. März berichten.