Die Zinswende ist Tatsache – das könnte auch Entlastung für die eminent wichtige Anlageklasse bringen. Doch bei Schweizer Banken äussert das Lager der Kritiker schlagende Argumente gegen Anleihen.
Bis zur Corona-Krise war das Verhältnis 60:40 sakrosankt. Ein ausgewogenes Anlage-Portefeuille hatte zu drei Fünfteln aus risikoreicheren Aktien und zu zwei Fünfteln aus soliden Anleihen zu bestehen. Das lernte jeder Kundenberater von der Pike auf.
Bis vor zwei Jahren: Nachdem die Notenbanken in Reaktion auf die Corona-Pandemie die Finanzmärkte mit noch mehr Geld geflutet und die Anleihenrenditen noch tiefer ins Minus gedrückt hatten, zogen manche Schweizer Vermögensverwalter die Reissleine – darunter Baumann & Cie Banquiers. Die kleine, aber feine Basler Privatbank verzichtete im vergangenen August das erste Mal überhaupt auf Festverzinsliche und kippte diese kurzerhand aus ihrem Referenz-Portefeuille.
Eine Wahnsinnstat?
Eine Wahnsinnstat, wenn bedacht wird: mit einem ausstehenden Volumen von mehr als 100 Billionen Dollar kommt eigentlich kein Vermögensverwalter um Obligationen herum. Im historisch auf Vermögenserhaltung getrimmten Schweizer Finanzplatz haben Anleihen erst recht eine überragende Bedeutung.
Doch Baumann & Cie war mit den Entscheid nicht alleine, wie finews.ch damals berichtete. Selbst aus dem Ausland kam damals Sukkurs zum Abschied von den Anleihen.
Auch heute mögen die Baumann-Bankiers an ihrer «View» nicht rütteln. «In unserem Baumann-Portfolio, das unsere aktuelle Positionierung widerspiegelt, sehen wir weiterhin davon ab, in Anleihen zu investieren», sagt Portfolio-Manager Adrian Wildhaber auf Anfrage.
Zinsen so stark angehoben wie seit 20 Jahren nicht mehr
Dies, obwohl die Börsenwelt seit vergangenem Sommer eine grundlegend andere geworden ist. So hat die amerikanische Notenbank Fed am (gestrigen) Mittwoch den Leitzins so stark angehoben wie seit 20 Jahren nicht mehr – um einen halben Prozentpunkt auf eine Zinsspanne von 0,75 bis Prozent. Gleichzeitig haben sich die Notenbanker um Präsident Jerome Powell entschieden, die durch jahrelange Anleihen-Stützkäufe auf über 9 Billionen Dollar angeschwollene Fed-Bilanz schrittweise zu verkleinern.
Damit hofft die mächtigste Zentralbank der Welt, der Inflation Herr zu werden, die in den USA inzwischen 8,4 Prozent erreicht hat. Der Markt rechnet nun damit, dass bis Ende Jahre die US-Leitzinsen bei 2,4 Prozent stehen könnten.
Sicherheitsabstand zur EZB
Damit ist die Zinswende manifest. Zwar hat die Europäische Zentralbank (EZB) noch nicht auf die hohe Inflation reagiert. Dies, obschon die Inflationsraten im Euroraum auf etwa 7,5 Prozent gestiegen sind – die höchsten Werte seit 40 Jahren.
EZB-Direktorin Isabel Schnabel sagte nun dem deutschen «Handelsblatt» (Artikel bezahlpflichtig), aus heutiger Sicht halte sie eine Zinserhöhung im Juli für möglich. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte erwartungsgemäss erst 2023 an der Zinsschraube drehen. Für gewöhnlich hält die Währungshüterin einen Sicherheitsabstand von 0,25 Prozentpunkten zur EZB, um den Aufwertungsdruck auf den Franken unter Kontrolle zu behalten.
Auf den Fed-Entscheid haben sich die Renditen an den Anleihenmärkten etwas beruhigt, nachdem sie zuvor steil angestiegen waren. So liegt die Nominalrendite der 10-jährigen US-Schatzanleihen (Treasuries) bei über 2,8 Prozent. Dies hat Beobachtern zufolge einerseits mit den Unternehmensgewinnen zu tun; offenbar ging an den Bond-Märkten aber auch die Angst um, die Fed könnte die Kontrolle über die Inflation in den Staaten verlieren.
Hungrige Inflation
Die kletternden Renditen werden nun mancherorts als Signal gedeutet, dass die Rehabilitation der Anlageklasse begonnen hat. Weil sich die Obligationen-Kurse spiegelbildlich zu den Kursen bewegen, erleben zwar Bond-Halter gerade ein schwere Verlustphase. Für Neueinsteiger verheisst der Renditeanstieg aber Potenzial – ebenso besteht Hoffnung auf steigende Anleihen-Coupons. «Infolge der steigenden Renditen ein gewisses Wertpotenzial im festverzinslichen Bereich», erklärte Mark Haefele, der oberste Investmentchef der UBS, Ende vergangenen April in einem Investorenbrief.
Auch seitens des weltgrössten Fondshauses Blackrock hiess es dieser Tage an einem Medienanlass in Zürich, die Zinswende verheisse Chancen am Obligationen-Markt.
Anders sieht das Wildhaber bei der kleinen Basler Konkurrentin Baumann & Cie. «Angesichts der stark zunehmenden Inflation sind wir der Meinung, dass Anlegerinnen und Anleger mit Realwerten besser geschützt sind als mit Nominalwerten.» Tatsächlich fressen Inflationsraten von über 8 Prozent in den USA und über 2 Prozent in der Schweiz die Einkünfte von Obligationen gleich wieder weg. Das bemängelt auch Thomas Steinemann, der bekannte Investmentchef der Zürcher Bellerive Privatbank. Das Institut investiert derzeit für seine Kunden höchstens in kurzlaufende Anleihen, dies gleichsam als Cash-Ersatz.
Noch auf Jahre hinaus abzuraten
«Noch auf Jahre hinaus ist von einem Investment in Obligationen abzuraten. Dies nicht nur wegen der Realrenditen, die wegen der Inflation stark negativ sind, sondern weil der Zinsanstieg die Kurse drückt», erklärt Steinemann. Erst, wenn die Zinssteigerungen einen Höhepunkt erreicht haben, wäre der Zeitpunkt zu einem Einstieg wieder gegeben, findet der langjährige Investmentexperte.
Auch bei schollenverbundenen Häusern wie der Luzerner Kantonalbank traut man der eminent bedeutenden Anlageklasse noch nicht über den Weg. «Wir empfehlen derzeit noch eine deutliche Untergewichtung von Anleihen in gemischten Portfolios, trotz des bereits erfolgten Anstiegs der Renditen», sagt dort Björn Eberhardt auf Anfrage. Der Aufwärtsdruck auf die Staatsanleihen-Renditen dürfte nämlich anhalten, erwartet der Leiter Investment Office beim Staatsinstitut.
«Der Grund ist, dass die Geldpolitik in vielen Industrieländern in den kommenden Monaten weiter gestrafft werden dürfte, bei gleichzeitig anhaltender Unsicherheit, wie schnell sich die Inflation tatsächlich zurückbilden wird.»
Kleinere Brötchen backen
Doch ist gegen die Teuerung selber tatsächlich kein Kraut gewachsen? Bei Baumann & Cie nimmt es Wildhaber mit Gleichmut. «Anlegerinnen und Anleger müssen sich auf die geldpolitische Zeitenwende einstellen. Ein rückläufiges Wirtschaftswachstum, eine strukturell erhöhte Inflation sowie eine geldpolitische Drosselung ergeben kein besonders fruchtbares Marktumfeld», mahnt er. Investoren müssten demnach über die nächsten Monate und Jahre wohl kleinere Brötchen backen und sollten dabei dem realen Vermögenserhalt mehr Relevanz beimessen.