Nichts deutet daraufhin, dass die Credit Suisse die Kunden der gesperrten Greensill-Fonds entschädigen will. Doch der neue Bankpräsident António Horta-Osório fällte in einer ähnlichen Lage einst einen höchst kontroversen Entscheid.

«Ich bin dazu erzogen worden, anderen zu dienen. Für mich kommt dies einer moralischen Verpflichtung gleich.» Das sagte António Horta-Osório vergangenen April zur britischen Zeitung «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) – nur wenige Tage, bevor ihn die Aktionäre der Credit Suisse (CS) zum neuen Bankpräsidenten wählten.

Das liesse sich als schöne Worte eines langjährigen Bankmanagers abtun. Doch der in einem Jesuiten-Kolleg in Lissabon erzogene Banker hat schon einmal gezeigt, dass er es mit seinen Werten ernst meint. Damit ist er im Greensill-Debakel bei der Schweizer Grossbank wohl zur letzten Hoffung der Fondsinvestoren avanciert: Sie haben mit den gesperrten Anteilen der Greensill-Fonds bereits viel Geld verloren und sind mit einer Bankführung konfrontiert, die sich bislang hütet, Kulanz zu zeigen.

Erst die Hälfte liquidiert

Die CS-Greensill-Fonds waren im vergangenen März mit einem Gesamtwert von zehn Milliarden Dollar geschlossen worden. Einiges deutet darauf hin, dass viele der rund 1'000 Käufer reiche Privatpersonen waren; unter ihnen befindet sich auch der einflussreiche katarische Scheich Hamad bin Jassim Al Thani.

Bisher hat die Grossbank knapp die Hälfte der Greensill-Investments liquidieren und zurückführen können. Die wirklich kniffligen Fälle stehen dem Institut noch bevor; CS-Chef Thomas Gottstein hat sich dabei entschlossen, diesem Vorgehen den Vorzug gegenüber Entschädigungszahlungen an die Fondskunden zu geben.

Die Priorität liege auf den Rückzahlungen an die Anleger, lautet seither die Losung bei der Bank. «In erster Linie sind die Fondsinvestoren die Geschädigten», erklärte Gottstein im vergangenen April in der «NZZ». Man werde aber alles tun, um die Ansprüche der Investoren zurückzufordern. Die Möglichkeit von Entschädigungen erwähnte er mit keinem Wort.

Viel teurer als gedacht

Sinnigerweise hat Gottsteins neuer Präsident, als er selber noch CEO war, anders entschieden. Als Chef der britischen Staatsbank Lloyds befahl Horta-Osório 2011, Kunden im Skandal um unter falschen Angaben verkauften Kreditversicherungen – so genannte Payment Protection Insurances (PPI) – zu entschädigen. Das löste Konsternation in der Branche aus, wo sich andere Manager bislang mit Händen und Füssen dagegen gewehrt hatten.

Horta-Osórios Entscheid kam Lloyds und nicht zuletzt ihm selber teuer zu stehen. Nachdem die Bank anfänglich umgerechnet gut 4 Milliarden Franken für die Entschädigungen beiseite gestellt hatte, zahlte das Institut bis letztes Jahr gegen 28 Milliarden Franken in der Affäre. Das entspricht in etwa dem gesamten Börsenwert des Geldinstituts. Eine neuerliche PPI-Milliardenrechnung sorgte 2020 dafür, dass sich der Lohn Horta-Osórios um ein Drittel auf 5,9 Millionen Pfund (7,5 Millionen Franken) verringerte.

«Es war eine Frage des Prinzips, nicht des Geldes», blickte der Ex-Lloyds-Lenker gegenüber der «Financial Times» zurück.

Urs Rohners Taktik ging selten auf

Unter dem Vorgänger Horta-Osórios bei der CS, Urs Rohner, galt ein ganz anderes Prinzip: jenes der maximalen Gegenwehr gegenüber jedweden Forderungen von aussen. Die unter dem Juristen Rohner verfolgte Taktik ging oftmals nicht auf. Im Jahr 2014 musste sich die CS nach massivem Druck der USA der Beihilfe zum Steuerbetrug schuldig bekennen und wurde zu einer Busse 2,6 Milliarden Dollar verurteilt. Obwohl sich diese Summe später reduzierte, zahlte die CS im US-Steuerstreit mehr als jede andere Schweizer Bank.

Andernorts sorgte die Abwehrhaltung dafür, dass sich Klagen über Jahre hinzogen – und nun für die Bank im dümmsten Moment wieder virulent werden, wie finews.ch unlängst analysierte. Dies, während wegen Greensill nun schon mehrere Sammelklagen in den USA eingereicht wurden.

Goodwill-Abschreiber im Asset Management?

Sollte bei der CS die moralische Verpflichtung ihres neuen Präsidenten durchdringen, blüht der Bank ebenfalls eine gesalzene Rechnung. Beobachter schätzen das Verlust-Potenzial der Greensill-Fonds noch auf 2,3 Milliarden Dollar. Zusammen mit den bisherigen Verlusten aus dem Debakel mit der New Yorker Finanzfirma Archegos Capital von gegen 5 Milliarden Dollar häuften sich dieses Jahr 7,3 Milliarden Dollar an Miesen an – gegenüber einem Gewinn von 2,67 Milliarden Franken, den die CS 2020 erzielte.

Wie die Agentur «Reuters» vorrechnete, würde das harte Eigenkapital der CS durch die Auszahlung von 2,3 Milliarden Dollar von derzeit 12,8 Prozent auf 12,1 Prozent gedrückt. Unangenehm wäre auch der möglicherweise nötige Goodwill-Abschreiber im Asset Management der Bank. Dies, wenn künftig davon ausgegangen wird, dass die CS regelmässig für Fondspleiten aufkommt. Diese Massnahme wäre aber immerhin nicht kapitalwirksam.

Prinzip oder Geld

Hingegen verfügt die CS heute einschliesslich ihrer Bail-in-Bonds über Kapital von über 100 Milliarden Franken, um Verluste zu absorbieren. Dass es von der Kapitalisierung her wegen den gut zwei Greensill-Milliarden eng würde für die Bank, ist da kein trifftiges Argument. Hingegen würde eine Zahlung die kurzfristigen Gewinne des Instituts verhageln, die Aktionäre wütend machen – und die Boni fürs Management gefährden.

Das Dilemma präsentiert sich für den Bankpräsidenten damit ganz ähnlich wie bei Lloyds im Jahr 2011. Fragt sich nur, ob nochmals das Prinzip obsiegt. Oder doch eher das Geld.