Unter CEO Tidjane Thiam herrscht in der Geschäftsleitung der Credit Suisse ein Klima der Missgunst und des Misstrauens. Das zeigen die Bespitzelungen von Iqbal Khan und Peter Goerke. Kann eine Grossbank so geführt werden?, fragt finews.ch-Chefredaktor Peter Hody.
Die Enthüllungsgeschichte der «Neuen Zürcher Zeitung» (Artikel bezahlpflichtig) vom Dienstag schlägt ein unrühmliches Kapitel auf dem Schweizer Finanzplatz auf: In der Konzernleitung der Credit Suisse werden unliebsame Mitglieder bespitzelt und von Privatdetektiven nach allen Regeln der Kunst überwacht.
Die «NZZ» belegt, dass vor der Beschattung des früheren Wealth-Management-Chefs Iqbal Khan in diesem Spätsommer die CS ihren früheren Personalchef Peter Goerke bereits im Februar von Privatdetektiven überwachen liess, wenige Tage vor seinem Austritt aus der Konzernleitung.
Khan-Fall muss neu beurteilt werden
Angesichts dieser höchst brisanten Vorfälle verkommt die ebenfalls kürzlich bekannt gewordene Überwachung von Colleen Graham, der früheren Compliance-Chefin der CS, in den USA im Jahr 2017 beinahe zur Fussnote.
Durch die Bespitzelung Goerkes müssen auch die Vorfälle um Khan nochmals neu bewertet und eingeordnet werden.
1. Die Beteuerungen von CS-Präsident Urs Rohner, Überwachungen seien «nicht die Art», wie die Bank ihre Geschäfte führe, haben sich als Worthülsen erwiesen. Die vermeintlich unabhängige und von Rohner angeordnete Untersuchung zum Fall Khan durch die CS-Hauskanzlei Homburger ist angesichts der neuen Enthüllungen Makulatur: Dass Pierre-Olivier Bouée alleine – nur mit CS-Sicherheitschef Remo Boccali als Mitwisser – agiert hat, erscheint nun noch unwahrscheinlicher. Möglicherweise war Bouée auch in die Beschattung Goerkes involviert.
2. Die schon durch den Fall Khan angekratzte Integrität und Glaubwürdigkeit von CEO Tidjane Thiam erhält weitere – noch tiefere – Risse. Ist es plausibel, dass der CEO von den Beschattungen Goerkes und Khans nichts wusste? Wenn Thiam davon tatsächlich nichts gewusst haben soll, muss er sich ernsthaft der Frage stellen, ob er die Konzernleitung und die Geschicke der CS im Griff hat. Denn so viel ist angesichts des Goerke-Falls klar: Auch dieser Überwachungsauftrag kam von einer Person in den obersten Führungsgremien, also Konzernleitung oder Verwaltungsrat.
3. Nach den jüngsten Enthüllungen muss offenbar jedes Geschäftsleitungs- und Kadermitglied der CS befürchten, dass er oder sie auch beschattet und überwacht worden ist, oder dass dies im Fall von Konflikten oder Auseinandersetzungen geschehen kann. Die weiterhin ungeklärten Fragen im Konflikt mit Khan sowie die Ungewissheit, wer den Auftrag für die Überwachung Goerkes gab, führen in den obersten Führungsebenen der CS zu einem Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Verdächtigungen. Im Mittelpunkt stehen dabei CEO Thiam und Verwaltungsratspräsident Rohner. Eine Bankführung kann so nicht funktionieren – das dürfte nun auch den sonst so Thiam-treuen Aktionären dämmern.
4. Verwaltungsratspräsident Rohner wird nicht mehr darum herumkommen, eine ernsthaft unabhängige Aufarbeitung der Fälle durchführen zu lassen. Wenn sich die CS nun als Bank erweist, in der Top-Manager Methoden wie in der Sowjet-Zeit anwenden, schadet dies ihrem Ruf nachhaltig. Ganz offensichtlich herrschen in dieser CS-Geschäftsleitung keinerlei Prinzipien der Kollegialität und des gegenseitigen Vertrauens.
Auch hier stellt sich die Frage nach den Ursachen. Sie müssen zu CEO Thiam führen, dessen Managementstil – Attribute: selbstherrlich und keinen Widerspruch duldend – auch neu beurteilt werden muss. Ob Rohner den Fall Goerke überhaupt untersuchen lässt, ist noch nicht bekannt. Möglicherweise wird der 60-jährige CS-Präsident sich über eigene Konsequenzen Gedanken machen müssen.