Wie aus dem Nichts hat die Soziologin und Bankangestellte Franca Burkhardt ein Referenzwerk zur Befindlichkeit der Beschäftigten in der Schweizer Bankbranche verfasst.
Die beeindruckende Arbeit von Franca Burkhardt ist eine Dissertation*, in die finews.ch einen Blick werfen konnte. Im Wesentlichen geht es dabei um die Fragen, wie und warum sich die Organisationskultur in den Banken über die Zeit verändert hat. Daraus erwächst die zentrale Frage nach der inneren Sicherheit und Stabilität in Schweizer Finanzhäusern.
Dominierten über Jahrzehnte Vertrauen, Gemeinschaftssinn und Loyalität zur Firma, so nimmt heute eine Entfremdung überhand, ausgelöst durch ein höchst kurzfristiges Leistungsdenken, das «von oben» diktiert wird.
Überforderung an allen Fronten
«Man destabilisiert das Kollektiv, reist aus Spar- und Effizienzgründen die Mitarbeiter und Fachbereiche auseinander und wundert sich dann, dass sich die Leute einem individualistisch nüchternen Geschäftsverhältnis zuwenden und ohne Anreizsysteme nicht mehr über den Tellerrand hinausblicken», sagt die heutige Credit-Suisse-Kaderfrau Burkhardt.
Das alles lässt sich treffend unter dem Begriff «Überforderung» subsummieren. Dabei deutet einiges darauf hin, dass vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Umwälzungen in der heute globalisierten Finanzwelt sowohl die Führungskräfte als auch das übrige Personal zusehends desorientiert sind – was letztlich die Lösungsfindung erschwert.
Zunehmende Risiken
Das gilt besonders für den Schweizer Finanzplatz, wo sich nicht nur branchenspezifische Veränderungen vollziehen, sondern mit dem faktischen Ende des Bankgeheimnisses das Geschäftsmodell zahlreicher Institute schlicht obsolet geworden ist. Umso mehr drängt sich in diesem Kontext die Frage nach der optimalen Organisationskultur auf, nicht zuletzt angesichts der vielfältigen Risiken, die Tag für Tag zunehmen.
Die 33-jährige Franca Burkhardt, die früher auch bei Julius Bär und der UBS gearbeitet hat, liefert in Ihrer Arbeit wertvolle Lösungsansätze, wie man sie bislang wenig gelesen hat. Mehr dazu im nachfolgenden Interview.
Frau Burkhardt, Sie haben fünf Jahre an Ihrer Dissertation gearbeitet. Was war Ihre überraschendste Erkenntnis?
Überraschung ist nicht das richtige Wort. Eher dominierten Erstaunen und Ernüchterung. Erstaunen, weil ich durch die vielen Gespräche mit Bankmitarbeitern eine Reise in die Vergangenheit machen konnte, zu der ich in Anbetracht meines Alters sonst keinen Zugang gehabt hätte. Das zeigte mir auf, dass früher eine starke Identifikation, eine Verbundenheit, mit dem jeweiligen Unternehmen bestand.
Ernüchtert war ich wiederum deshalb, weil ich feststellte, dass die Führungsverantwortlichen in zahlreichen Banken jahrelang nicht über die Organisationskultur nachgedacht haben und heute vor riesigen Herausforderungen stehen.
Tatsächlich scheinen viele der befragten Bankangestellten total überfordert zu sein.
Überforderung trifft es gut – auch Entfremdung. Das ursprüngliche Schweizer Bankwesen verlor vor allem durch die internationalen Einflüsse auf Stufe Eigentümer (Aktionariat) und Geschäftsleitung an Identität. Dabei sind weniger die Veränderungen an sich fatal, sondern es ist mehr die Art und Weise, wie man organisatorisch damit umging: Die verwurzelten Werte der Mitarbeiter wurden international orientierten Profitzielen in einer Art und Weise untergeordnet, die es den Mitarbeitern immer schwieriger macht, sich mit «ihrer Bank» zu identifizieren.
«Es hat mir zu denken gegeben, gestandene Manager zu sehen, die nicht mehr weiter wissen»
Speziell Schweizer Grossbanken riskieren vor lauter Bemühung um internationalen Erfolg, immer mehr zu einem kulturellen Fremdkörper zu werden. Sie befinden sich in einem Balanceakt zwischen den Erwartungen globaler Anspruchsgruppen und der Stabilisierung eines ernsthaft angeschlagenen Innenlebens, womit wir wieder beim Wort «Überforderung» wären.
Sie haben Dutzende von Bankangestellten interviewt. Welche Aussagen haben Sie am meisten schockiert?
Es hat mir zu denken gegeben, gestandene Manager zu sehen, die nicht mehr weiter wissen. Es gab Aussagen wie, dass es Führungspersonen unmöglich sei, noch für ihre Leute einzustehen, dass Fachexperten kein Gehör mehr fänden, und man getrieben sei von kurzfristigen Lösungen und dabei vermeidbare technische und organisationale Risiken eingehe. Dabei wären viele Mitarbeiter durchaus bereit, Teil der Lösung zu sein. Doch sie werden zu Nummern degradiert, ohne Chance, etwas verändern zu können.
Gerade weil die Schweizer Firmenkultur – vielleicht sogar die Schweizer Kultur an sich – diesen Ansatz von «Wir tun es gemeinsam» eigentlich mitbringt, ist es für mich unverständlich, dass man auf diese kollektive Kraft nicht zurückgreift.
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