Ist es vielleicht gerade deswegen, dass die Öffentlichkeit der Bankbranche so verständnislos begegnet?

Genau. Über den Häuptern des Bankpersonals entlädt sich die Entrüstung der Schweizer Gesellschaft und Politik. Dabei sollte man sich viel eher vor Augen halten, dass die Mehrheit der Bankmitarbeiter nichts mit dem verschrienen, gierigen Bankern zu tun hat – selbst wenn es solche gibt, und diese sicher viel Einfluss haben.

«Es gab eine Zeit, da glaubten die meisten Bankmitarbeiter an ihre Kapitäne»

Vielmehr müsste die Gesellschaft diese Mehrheit (an Bankmitarbeitern) in ihrem organisationsinternen Bemühen unterstützen. Weil man aber diese vielen, redlichen Beschäftigten von aussen nicht erkennen kann, wirft man die gesamte Branche in einen Topf, mit vielleicht fatalen Folgen.

Sie beschreiben die früheren, patronalen Verhältnisse in den Schweizer Banken anschaulich. War es früher wirklich besser?

Sagen wir es so: Es gab eine Zeit, da glaubten die meisten Mitarbeiter aller Schweizer Banken an ihre «Kapitäne». Die Leute waren stolz darauf, unter dieser Flagge zu segeln, und sie waren zuversichtlich, dass sie ans Ziel kamen. Heute hängt diese Einstellung ganz stark vom einzelnen Institut ab.

Gewisse Banken, auch Grossbanken, haben «Kapitäne», die auf eine neue Weise eine gemeinschaftliche Zukunftsperspektive erschaffen. Andere «Kapitäne» scheinen bei ihren Mitarbeitern eher den Eindruck zu vermitteln, sie befänden sich auf der Titanic.

Liesse sich denn etwas von früher aufnehmen, um das heutige Klima zu verbessern?

Man sollte nicht mit der Vergangenheit die Zukunft gestalten. Unsere Gesellschaft durchlebt einen epochalen Wandel, und man ist gut beraten, wenn man sich den Neuerungen stellt und nicht versucht, Veränderungen aufzuhalten. Diese Veränderungen betreffen aber nicht alle Aspekte der Lebens- und Arbeitswelt.

Sondern?

Beispielsweise verändert sich die Gestaltung des Familienlebens, aber die emotionale und soziale Wichtigkeit der Familie an sich bleibt doch für viele bestehen. Ähnlich sieht es mit der Arbeitswelt aus. Wir leben in einer schnelleren Welt, die mehr Veränderungen und damit verbunden auch eine gewisse Überforderung mit sich bringt, die jeder einzelne für sich meistern muss. Dennoch bleiben Zusammenhalt und Identifikation wichtig.

Was folgern Sie daraus?

Die Vergangenheit sollte uns daran erinnern, wie sich das «Wir» in den Organisationen und Unternehmen anfühlte. Aber es ist die Aufgabe der gegenwärtigen Führungskräfte und Mitarbeiter, herauszufinden, wie ein «Wir» in der Zukunft sichergestellt werden kann.

Sie haben eine «Organisationsethnographie» geschrieben. Welche Lösungsansätze leiten Sie daraus ab?

Wichtig war mir, aufzuzeigen, dass es müssig ist, immer wieder die Banken oder deren Führung zu kritisieren, wenn man auf der anderen Seite nicht gewillt ist, sich gewissen Grundsatzdebatten zu stellen, die für unseren Finanzplatz und dessen Zukunft ausschlaggebend sind und dies vor allem auch auf politischer Ebene.

Was meinen Sie damit konkret?

Der wirtschaftliche Erfolg der Schweizer Bank geht mit kulturellen Veränderungen einher, was auch die Frage der heimatlichen Verwurzelung dieser Banken mit sich bringt. Was erwartet man gesellschaftlich und politisch von einer Schweizer Bank?

«Wo ist man gezwungen, Abstriche zu machen?»

Die obersten Führungsebenen der Banken müssen sich neben geschäftlichen Entwicklungen auch mit ihren Organisationen beschäftigen. Stimmen die proklamierten Werte mit den Verhaltens- und Entscheidungsmustern überein? Ist man gelenkig genug, um den Spagat zwischen kurzfristigen Erfolgen und langfristiger organisationaler Stabilität zu machen? Wo ist man gezwungen, Abstriche zu machen? Und wie kommuniziert man diese, so dass die Mitarbeiterschaft trotzdem an das gemeinsame Ziel glaubt?

Was muss sich ändern, damit das Swiss Banking langfristig eine Überlebenschance hat?

Ich glaube, dass wir «Kapitäne» in den Banken brauchen, die fähig sind, diesen überaus schwierigen Spagat zwischen internationalem, wirtschaftlichem Erfolg und innerer Stabilität und Nachhaltigkeit zu machen.

«Menschenverachtend ist ein hartes Wort, aber kalt trifft es ganz gut»

Die Führung muss jedoch eine Zukunftsperspektive schaffen und gleichzeitig parasitäre Nebeneffekte aus der Vergangenheit meistern können. Denn nur wenn es gelingt, die Organisationen auf einen Nenner zu bringen, verfügen die Banken auch über die notwendige Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit, um sich langfristig als Schweizer Häuser international zu behaupten.

Mit Verlaub, das klingt sehr idealistisch.

Was ist in Anbetracht der nüchternen Profitorientierung an Idealen so verkehrt? Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob es notwendig ist, dass Schweizer Banken den Anspruch haben, globale Top-Player – im Investmentbanking – zu sein. Klein-Amerika mitten in Europa? Ich persönlich bin eher ein Freund von «Schuster bleib’ bei Deinen Leisten».

Sie beschreiben die Bankbranche bisweilen als kalt und menschenverachtend. Was aber motiviert Sie persönlich, weiterhin in diesem Gewerbe tätig zu sein?

Menschenverachtend ist ein hartes Wort, aber kalt trifft es ganz gut. Meine Antwort lautet: die Menschen. Ich habe so viel Lebenszeit mit so vielen Menschen aus verschiedenen Regionen und Fachbereichen verbracht – glauben Sie mir, das sind tolle Leute, Mitarbeiter und Führungskräfte wie sie im Buche stehen. Die Mehrheit, die ich kennenlernen durfte, sind bescheidene, fröhliche, echt korrekte Frauen und Männer, die gar nichts mit dem verschrobenen Bild des «Bankers» zu tun haben.

*«Ehrliche Bindungen und andere Geschäfte – Die Sicherheit in Schweizer Banken», Dissertation der Universität St. Gallen


Franca Burkhardt studierte Soziologie und Psychologie an der Universität Fribourg sowie politische Wissenschaften an der Universität Genf, wo sie mit einem Master abschloss. Mit der nun vorliegenden Dissertation hat Burkhardt das PhD Programm DOK der Universität St. Gallen erfolgreich abgeschlossen.

Nach verschiedenen Tätigkeiten stieg sie 2010 in die Bankbranche ein, wo sie zunächst für Julius Bär und später für die UBS im Bereich Business Continuity Management tätig war. Im Jahr 2015 wechselte sie ins Inhouse Consulting der Credit Suisse und ist seit diesem Jahr im Bereich Organisationsentwicklung und Business Risks im COO Office der Gruppe tätig.