Wegen des Sanktionsregimes erfüllen Banken und Zahlungssysteme ihre Rolle bei Russland-Anleihen nicht. Investoren müssen sich weiterhin in Geduld üben. Trost finden sie möglicherweise bei Börsendoyen Kostolany. Dieser hat mit Spekulationen in Zarenanleihen viel Geld verdient.
Diese Woche findet die Bürgenstock-Friedenskonferenz zum Ukraine-Konflikt statt, ohne Beteiligung der Kriegspartei Russland. Die USA und die EU haben umfangreiche Sanktionspakete gegen den Aggressor geschnürt, die von der Schweiz weitgehend übernommen wurden und auch den Finanzplatz betreffen. Namhafte Stimmen insbesondere von Privatbanken (jüngst Renaud de Planta) kritisieren seither immer wieder den Copy-Paste-Ansatz unseres Landes.
Wie man auch immer die Sinnhaftigkeit der Bürgenstock-Konferenz einschätzt, sie kann sich der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewiss sein. Und der opportunistische Ansatz des Schweizer Sanktionsregimes dürfte am Finanzplatz weiterhin Diskussionsstoff liefern.
Russland am Schweizer Markt
Weitgehend unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit «fliegen» hingegen die sieben Frankenanleihen von russischen Schuldnern an der SIX Swiss Exchange. Es handelt sich um fünf Anleihen der Russian Railways sowie je eine Anleihe der VTB Bank und von Gazprom. Es geht dabei nicht um Kleingemüse:
Der Nominalwert der Eisenbahn-Bonds, darunter eine «ewige» Anleihe mit Kündigungsrecht des Emittenten, beträgt zusammen 1'450 Millionen Franken – wobei zwei Emissionen sogar das Gütesiegel «Green Bond» tragen, also zum Segment der nachhaltigen Anleihen an der SIX gezählt werden. Die zwei anderen russischen Emittenten sind die VTB Bank mit 350 Millionen und der Energiekonzern Gazprom, der 500 Millionen Franken am Markt hat.
Nicht direkt sanktioniert
Regulär an der Börse gehandelt wird nur die 2021 emittierte Gazprom-Anleihe, die 2027 fällig werden wird. Gazprom ist nicht direkt sanktioniert und kann bisher die Zinsen bezahlen, aber von einem normalen Markt kann nicht die Rede sein.
Die Anleihe wird seit Monaten nicht mehr gehandelt, der Kurs verharrt auf 44 Prozent. Russian Railways und VTB Bank sind vom Sanktionsregime betroffen und werden daher seit 2022 «flat» gehandelt, d.h. ohne Marchzinsen, weil beide Schuldner die Zinsen oder – für die Obligationäre quasi der Gau – den Nominalwert nicht bezahlen. Letzteres ist bei der 2017 lancierten Eisenbahnanleihe der Fall, die im Oktober 2023 fällig geworden wäre.
Ausgetrockneter Handel
Die Zahlungen bleiben aus, weil Russian Railways und VTB Bank wegen der Sanktionen keine Bank finden, welche für sie die Zahlungen abwickeln würde, die Clearingsysteme sich weigern, die Zahlungen zu verarbeiten und ausländische Behörden keine entsprechenden Ausnahmebewilligung erteilen.
Das ist untypisch: Normalerweise kommt es zu einem Zahlungsausfall, wenn dem Schuldner die finanziellen Mittel ausgehen. Das trifft hier nicht zu; grundsätzlich dürfte auch der Wille vorhanden sein, die Zinsen und Rückzahlung zu leisten.
Riesige Differenzen
Typisch für Anleihen, die schon seit einiger Zeit notleidend sind, ist hingegen, dass nur ein sporadischer Handel stattfindet, die Kurse sich im einstelligen Prozentbereich bewegen und die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufskurs riesig ist.
Wer im Detail verstehen möchte, wie die russischen Anleihen ausgestaltet sind, was genau geschehen und was ein technischer Default ist, dem sei die dreiteilige Studie von ZKB-Analyst Adrian Knoblauch zu Russian Railways nahegelegt. Knoblauch bestätigte auf Anfrage von finews.ch, dass seine Ausführungen (Teil 3 wurde im Oktober 2023 publiziert) unverändert aktuell sind.
Derzeit sendet die Grosswetterlage keine Anzeichen, dass sich an der verfahrenen Situation rund um die russischen Franken-Anleihen etwas ändern könnte. Die Erwartungen, dass am Bürgenstock eine wichtige Weichenstellung gelingt, ist gering, und auch die diese Woche in Berlin stattfindende dritte Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine dient mehr der politischen Symbolik.
Spekulationsobjekt Zarenanleihen
Zurück zu den Anleihen: Ob Russian Railways und VTB auch tatsächlich gewillt sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, wird man erst dann definitiv wissen, wenn die technischen Hürden mit der Aufhebung der Sanktionen wegfallen. Vielleicht können sich die Obligationäre in der Zwischenzeit mit der Lektüre eines Werks von André Kostolany (1906-1999) trösten.
In «Die Kunst, über Geld nachzudenken» schildert Kostolany, wie er ab 1989 günstig notleidende Zarenanleihen der Romanow-Dynastie aus den Jahren 1822 bis 1910 zusammenkaufte. Diese Anleihen, die seit der russischen Revolution 1917 von den Bolschewisten nicht mehr bedient wurden, galten zuvor jahrzehntelang als Prototyp für Schuldpapiere, die durch politische Ereignisse unwiederbringlich verloren waren und als Nonvaleurs vernünftigerweise eigentlich nur noch für Sammler historischer Wertpapiere von Interesse sein sollten.
Regelung der Altlasten als Türöffner
Kostolany registrierte in den 1980er-Jahren die Entspannungspolitik von Michail Gorbatschow aufmerksam und spekulierte darauf, dass das neue Russland unbedingt an den internationalen Kapitalmarkt zurückkehren wollte. Und tatsächlich war es 1996 soweit. Russland kehrte mit einer Dollaranleihe aufs globale Finanzparkett zurück. Frankreich setzte dabei als Bedingung durch, dass die Obligationäre der Zarenanleihen von Russland eine Entschädigung erhielten – und Börsenspekulant Kostolany kassierte damit zig Millionen.
«Für mich, der zu fünf Francs gekauft hat, bedeutet es einen Gewinn von fast 6'000 Prozent.» Nach diesem Durchbruch avancierten Institutionen, Unternehmen und Banken aus Russland zu gern gesehenen «kapitalmarktfähigen» Gästen, die von Credit Suisse und UBS auch in die Schweiz eingeladen wurden.
Redselig und schreibfreudig
Eine gute Beobachtungsgabe, eine Portion Gelassenheit und die Fähigkeit, im richtigen Moment zu handeln - diese Eigenschaften müssen auch diejenigen aufbringen, die sich bis heute nicht von ihren Russland-Obligationen getrennt haben. Die Geschichte spricht eher dafür, dass die Obligationäre darauf hoffen können, dereinst zumindest einen Teil ihres Geld wiederzusehen.
Kostolany war redselig, schreibfreudig, gab bis kurz vor seinem Tod Interviews und genoss seinen Kultstatus. Leider können wir den Grandseigneur der Börse heute nicht mehr fragen, wie er die Situation einschätzen würde.