Ein Prozess soll die Hintergründe eines der grössten Golddiebstähle in Kanada aufklären. Schweizer Finanzunternehmen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Der 17. April 2023 wird der Tessiner Goldraffinerie Valcambi und der Schweizer Bankengruppe Raiffeisen wohl noch lange in Erinnerung bleiben, wahrscheinlich auch mit einer gehörigen Portion Schrecken.
In Kanada betrat an diesem Tag ein Dieb das Lager der Fluggesellschaft Air Canada am Flughafen Pearson bei Toronto. Er legte offenbar einen gefälschten Frachtbrief vor – und verliess das Zolllager mit Gold und Bargeld im Wert von rund 17 Millionen Dollar.
Ein «Gold-Coup» für die Geschichte
Das geht aus einer Klage hervor, welche die US-Gesellschaft Brink's nach dem Goldraub in Toronto vor einem kanadischen Bundesgericht gegen die landesweit grösste Fluggesellschaft eingereicht hat. Es handelt sich um einen der grössten Diebstähle in der Geschichte des Landes.
Die auf Sicherheitsdienste und Werttransporte spezialisierte US-Gesellschaft mit Sitz in Miami, Florida, wirft der Fluggesellschaft «Fahrlässigkeit und Nachlässigkeit» vor. Bei dem Überfall erbeuteten die Diebe rund 400 Kilogramm Gold und 53 Kilogramm Banknoten.
Von Zürich nach Toronto
Festnahmen gab es bei dem «Gold-Coup» bislang nicht, die Ermittlungen dauern an. Der Flughafen Toronto Pearson wird häufig für den Transport von in Kanada gefördertem Gold genutzt, das dann an Kunden in aller Welt verschickt wird. Brink's behauptet, Air Canada habe es versäumt, die als «wertvolle Fracht» gekennzeichnete Sendung angemessen zu sichern und zu schützen.
Mitte April hatten Raiffeisen Schweiz und der Edelmetall-Verarbeiter Valcambi den US-Sicherheitsspezialisten mit dem Transport der Ware von Zürich nach Toronto beauftragt. Wie kanadische Medien von Montreal bis Vancouver dieser Tage unter Berufung auf die Klageschrift berichten, hatte Raiffeisen eine Banknotensendung im Wert von rund 1,95 Millionen Dollar aufgegeben, während Valcambi hinter einer Goldsendung im Wert von rund 13,6 Millionen Schweizer Franken stand.
Sonderbehandlung für hochwertige Fracht
In den Verträgen beider Unternehmen wurde Brink's verpflichtet, Raiffeisen und Valcambi für allfällige Schäden zu entschädigen. Brink's wiederum beauftragte Air Canada mit dem Transport der Fracht von Zürich nach Toronto, mit Hilfe des so genannten AC-Secure-Programms, das angeblich eine «Sonderbehandlung für hochwertige Fracht» zu höheren Kosten als für normale Sendungen vorsah.
Die Wertsendung wurde mit dem Flug AC881 nach Kanada befördert. Sie kam am 17. April kurz vor 16.00 Uhr Ortszeit Toronto in Pearson an und wurde um 17.50 Uhr in einem Lagerhaus von Air Canada deponiert.
Kaum gelagert, schon geklaut
Kurz nach der Landung in Pearson und dem Ausladen der Fracht verschaffte sich eine unbekannte Person Zugang zu den Frachtlagern der Fluggesellschaft. Der «mysteriöse» Dieb sei etwa 40 Minuten später aufgetaucht, heisst es in den Akten.
«Es gab keine Sicherheitsprotokolle oder -einrichtungen, um den Zugang der nicht identifizierten Person zu den Einrichtungen zu überwachen, einzuschränken oder anderweitig zu regeln», so der Vorwurf von Brink’s.
Grosses Schweigen
Das US-Unternehmen behauptet, das Personal habe das gefälschte Dokument akzeptiert, ohne «seine Echtheit in irgendeiner Weise zu überprüfen». Brink’s fordert nun von Air Canada den Gegenwert des verschwundenen Goldes und der gestohlenen Banknoten sowie Schadenersatz in unbestimmter Höhe und die Erstattung seiner Anwaltskosten.
Das kanadische Finanzinstitut Toronto-Dominion Bank, die Empfängerin des Goldes war, lehnte laut kanadischen Medienberichten eine Stellungnahme ab. Die Vancouver Bullion & Currency Exchange, die Empfängerin des Bargeldes war, reagierte ebenfalls nicht, während Air Canada keinen Kommentar abgab, da der Fall nun vor Gericht verhandelt werde.