«Wir leben in einer Zeit von zunehmender Komplexität und mehrdimensionalen Abhängigkeiten. Zugegeben, die Anforderungen an Bankmitarbeitende waren wohl noch nie so hoch wie heute und werden weiter zunehmen», sagt Alain Krapl vom Swiss Finance Institute im Interview mit finews.ch.
Herr Krapl, was sind für Sie die grössten Überraschungen in der neusten Umfrage zu den Berufsaussichten in der Schweizer Finanzbranche?
Grosse Überraschungen habe ich weder erwartet, noch haben sie sich eingestellt. Es liegt auf der Hand, dass die Ergebnisse unserer Umfrage auch geprägt sind von den Ereignissen rund um die Credit Suisse (CS). Die damit einhergehende Verunsicherung vieler Arbeitnehmenden auf dem Schweizer Finanzplatz hat sich natürlich entsprechend in den Resultaten reflektiert.
Haben Sie auch Widersprüchlichkeiten festgestellt?
In der Tat zeigt sich eine Diskrepanz, die Fragen aufwirft. Im Vergleich zum Vorjahr wird Berufseinsteigern eine Laufbahn in der Finanzbranche deutlich verhaltener empfohlen.
Diese Zurückhaltung kontrastiert mit der Aussage, dass die Befragten selber wieder denselben Berufspfad einschlagen würden – inwiefern das auf eine lediglich kurzfristige bzw. mittelfristige Verunsicherung der heutigen Bankmitarbeitenden hinweist, wird sich wohl in der nächstjährigen Umfrage zeigen.
Teilen Sie die gemäss Umfrage weit verbreitete Meinung, dass der Finanzplatz Schweiz durch das Ende der CS als eigenständige Bank Schaden genommen hat?
Die knappe Antwort, was die kurze und mittlere Frist betrifft, müsste «ja» lauten. Aus einer etwas differenzierter Optik muss man aber zum Schluss kommen, dass ein abschliessendes Urteil, insbesondere in der langen Frist, erst über die Zeit erfolgen kann.
«Ich glaube tatsächlich, dass sich im Swiss Banking zahlreiche Führungsverantwortliche finden, die einen hervorragenden Job machen»
Längerfristig werden andere Faktoren, wie der technologische Fortschritt, Marktentwicklungen und regulatorische Änderungen eine grosse Rolle spielen. Sicher ist, dass eine neue globale Finanzkrise, ausgelöst durch einen unkontrollierten Untergang der CS, die Reputation des Schweizer Finanzplatz ungleich nachhaltiger beschädigt hätte.
Fast zwei Drittel der Befragten stellten fest, dass es der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) an Kompetenz fehle. Überrascht Sie dieser hohe Anteil?
Ja und nein. Ja, weil ich nicht sicher bin, auf welchem Kenntnisstand die Kritiker der Finma stehen und inwieweit sie mit den komplexen Zusammenhängen in der Finanzmarktregulierung im Detail vertraut sind.
Und nein, weil es in der Natur der Sache liegt, dass sich selbstverständlich auch der Schweizer Regulator nach dem Niedergang der CS kritischen Fragen stellen muss und das Handeln naturgemäss reaktiv geprägt ist. Das Gleiche gilt übrigens auch für die politischen Entscheidungsträger.
Finden Sie – wie viele Umfrageteilnehmende auch –, dass es dem Swiss Banking heute an echten Vorbildern fehlt?
Das sehe ich nicht so. Ich glaube tatsächlich, dass sich im Swiss Banking zahlreiche Führungs- und Fachverantwortliche auf allen Hierarchie-Ebenen finden, die einen hervorragenden Job machen, und die sich als Vorbilder qualifizieren.
«Wer sich stetig aus- und weiterbildet, schafft ein belastbares Karriere-Fundament»
Das erlebe ich auch immer wieder persönlich mit den Teilnehmenden in unseren industrie-orientierten SFI-Aktivitäten. Den Rückschluss, der wohl mutmasslich auch aufgrund der unschönen aktuellen Branchen-Ereignisse gemacht wird, halte ich darum für unzutreffend.
Ist das Banking unter den neuen Rahmenbedingungen (steigende Zinsen, hohe Inflation, drohende Rezession, Paradigmenwechsel an den Finanzmärkten) anspruchsvoller geworden – und setzt dadurch auch höhere Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung?
Banking war noch nie ein triviales Geschäft, und wir leben in einer Zeit von zunehmender Komplexität und gegenseitigen, mehrdimensionalen Abhängigkeiten. Zugegeben, die Anforderungen an Bankmitarbeitende waren wohl noch nie so hoch wie heute und werden weiter zunehmen.
Wer sich aber stetig aus- und weiterbildet, schafft ein belastbares Karriere-Fundament, um im Berufsleben zu bestehen und weiterzukommen. Am SFI arbeiten wir intensiv daran, diesen Prozess zu unterstützen. Zum Beispiel mit unseren SFI Master Classes, deren Beliebtheit sich – für uns natürlich sehr erfreulich – auch in den Umfrageresultaten widerspiegelt.
Manche Leute sprechen mittlerweile schon von einer Zeitenwende in der Finanzbranche. Fliesst diese Annahme auch in die weitere Kursgestaltung des Swiss Finance Institute (SFI) ein?
Es ist unser ganz klares Bestreben, nahe am Puls der Finanzindustrie zu sein. Garant für diese Nähe und unsere eigene Daseinsberechtigung ist die SFI-Fakultät mit ihren rund 80 Professuren, welche die kolportierte «Zeitenwende» aus einer akademischen Optik eng begleitet und erforscht.
«Ich verstehe die Ängste und die teilweise sehr berechtigten Sorgen»
Die gewonnen Erkenntnisse fliessen dann unter anderem über unsere SFI Master Classes in Form von finanzwissenschaftlichem Wissenskapital an die Bankmitarbeitenden, und damit in die Finanzindustrie, ein.
IT-Kompetenz wird gemäss Umfrageteilnehmenden als die wichtigste Anforderung in der Bankbranche genannt. Wie weit beeinflussen Künstliche Intelligenz (KI) und Anwendungen wie ChatGPT das Metier?
Ich glaube der derzeitige Fokus der öffentlichen Diskussion auf KI blendet aus, dass in der Finanzbranche schon lange mit Algorithmen und hochkomplexen Modellen gearbeitet wird. Ich verstehe die Ängste und die teilweise berechtigten Sorgen, die mit dem zunehmenden Einsatz von KI respektive automatisierter Technologie im Allgemeinen – auch im Bankgeschäft – verbunden sind.
Klar ist für mich, dass das Bankgeschäft dennoch ein «People Business» ist und zum grössten Teil auch bleiben wird. Es ist aber auch wahrscheinlich das grosse Teile der Finanzindustrie weltweit durch weitere Entwicklungen im Bereich KI deutliche Veränderungen erfahren werden.
«Die Wissenschaft ist per Definition ein Early Mover»
Im Grossen und Ganzen sehe ich das als positiv. Ganz wichtig ist es auf alle Fälle, dass die Banken mit der Evolution dieser neue Technologien Schritt halten. Nur so können sie nicht nur die Risiken, sondern eben auch die Chancen frühzeitig erkennen.
Wie weit muss sich auch die Wissenschaft mit diesen Phänomenen, die heute «Mainstream» sind, auseinandersetzen?
Die Wissenschaft ist per Definition ein «Early Mover», wenn es darum geht, neue Entwicklungen zu antizipieren und diese frühzeitig auf ihr Potential sowie die damit verbundenen Risiken zu untersuchen. Das war beispielsweise auch so bei der Blockchain-Technologie, die bereits in den frühen 1980er-Jahren erforscht wurde. Und es ist auch im Bereich «Machine Learning», oder eben KI, so.
Was sind die Pläne und Prioritäten bis Ende Jahr beim SFI?
Unser erster Anspruch ist und bleibt, die Wettbewerbsfähigkeit, und damit die Prosperität, des Schweizer Finanzplatzes durch eine fundierte, finanzwissenschaftliche Grundlagenarbeit zu unterstützen und wertvolles Wissenskapital über die SFI Master Classes an die Front zu bringen.
Sie sind erst seit rund einem Viertel Jahr in Ihrer aktuellen Rolle als SFI Head of Knowledge Exchange. Was ist Ihre Motivation dafür, welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Zuerst einmal empfinde ich es als ein grosses Privileg, zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen das in der SFI-Fakultät geschaffene Wissenskapital zu kultivieren und über verschiedene Kanäle den aktiven Austausch mit der Schweizer Bankenbranche sicherzustellen.
In meiner neuen Rolle setze ich alles daran, diesen intensiven Austausch weiter zu fördern und natürlich insbesondere auch die SFI Master Classes inhaltlich weiterzuentwickeln und das Programm zusammen mit unseren Stakeholdern in der Industrie und der Wissenschaft noch breiter zu verankern.
Alain Krapl ist seit Februar 2023 Head Knowledge Exchange and Education sowie Mitglied der Geschäftsleitung beim Swiss Finance Institute (SFI). Zuvor war er bereits eineinhalb Jahre als Director im Bereich Knowledge Exchange tätig. Der Finanzexperte verfügt über eine langjährige akademische Karriere in den USA. Seine Hochschulaktivitäten führten ihn unter anderem von der University of North Carolina at Charlotte über die University of Connecticut bis zur Northern Kentucky University, wo er zuletzt als Finanzprofessor in der Forschung und als Verantwortlicher für verschiedene Weiterbildungsangebote tätig war.