Während des Steuerstreits zwischen Deutschland und dem Schweizer Bankenplatz war er wohl die unbeliebteste Gestalt in der hiesigen Finanzindustrie. Heute tritt Peer Steinbrück (SPD) als «Elder Statesman» in Zürich auf. Seine Bilanz als Steuervogt und Finanzminister ist allerdings mit Makeln behaftet, findet Publishing Director Florian Schwab.
Allzu tief muss man nicht in den Keller der Geschichte hinabsteigen, um auf die Kontroverse zwischen der Schweiz und Deutschland in Sachen Bankgeheimnis und Steuerhinterziehung zu stossen.
Nur 15 Jahre nämlich ist es her, dass der damalige Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland, Peer Steinbrück (SPD), den verbalen Zweihänder auspackte.
Kavallerie und Indianer
Die damals diskutierte Schwarze Liste der OECD mit unkooperativen Ländern in Steuersachen bezeichnete er als «siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann». Sie müsse aber nicht unbedingt gegen die Schweiz ausrücken: «Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.»
Ein Jahr zuvor hatte er der Schweiz mit der «Peitsche» gedroht, was ihm hierzulande den Übernamen «Peitschen-Peer» eintrug. Als Gesicht des «hässlichen Deutschen» apostrophierte ihn daraufhin die Boulevard-Zeitung «Blick».
Die Schweiz gab nach
Der Rest ist Geschichte: Unter dem Druck der OECD, wobei die USA und Deutschland führende Rollen einnahmen, willigte die Schweiz in den Automatischen Informationsaustausch (AIA) zwischen Banken und OECD-Ländern in Steuersachen ein. Dieser ist seit 2017 in Kraft, das steuerliche Bankkundengeheimnis gehört seither der Vergangenheit an.
Von 2012 bis 2017 überwiesen die Schweizer Banken an den deutschen Fiskus eine anonyme Abgeltungssteuer.
Historischer Grusel-Faktor
Wenn der ehemalige deutsche Finanzminister heute Dienstag am Finance Forum Zürich in Erscheinung tritt, um ein Referat über das unverfängliche Thema «Gefahren für eine neue Finanzkrise» zu halten, werden manche Zuhörer dem Anlass mit ambivalenten Gefühlen beiwohnen. Der historisch bedingte Grusel-Faktor, der dem Redner anhaftet, hat sicherlich auch eine Rolle gespielt bei der Einladung.
Aus Anlass dieses Besuches darf und soll daran erinnert werden, dass Steinbrücks Bilanz als Saubermann im Kampf für die deutschen Staatsfinanzen so makellos nicht ist.
Staatsverschuldung gestiegen
Steinbrück amtierte unter Bundeskanzlerin Angela Merkel von 2005 bis 2009 als Finanzminister.
Er verantwortet einen Anstieg der Staatsverschuldung von 65 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahr 2004 auf 73 Prozent im Jahr 2009. In seiner Amtszeit wurde auch die Saat gelegt für eine weitere Zunahme der Staatsverschuldung auf 82,4 Prozent im Jahr 2010. Das ist weit jenseits der in den Konvergenzkriterien der Maastrichter Verträge für die Eurozone festgelegten Obergrenze von 60 Prozent.
CDs mit geklauten Bankkundendaten
Diese markante Neuverschuldung ist teilweise durch die Finanzkrise entschuldbar. Gleichwohl hat sie eine wichtige Rolle bei der zunehmend aggressiven Praxis in Sachen Steuereintreibung gespielt, die in Steinbrücks rhetorischen Pfeilen in Richtung Schweiz ihren Ausdruck fand.
Er liess es zudem nicht bei Worten bewenden. Wir erinnern uns, dass es sich der deutsche Staat unter Finanzminister Steinbrück zum Sport machte, Datenträger (damals: CDs) mit den Daten von Schweizer (und Liechtensteiner) Banken zu kaufen, welche Bankmitarbeiter unrechtmässig entwendet hatten.
Cum-Ex: Gravierender als unversteuerte Vermögen
Steinbrücks Diensteifer im Umgang mit der Schweiz-Frage kontrastiert deutlich mit seinen Handlungen und Unterlassungen in einem Themenkomplex, der für den deutschen Fiskus quantitativ wohl bedeutender war als die Steuerhinterziehung via Bankkonten bei Schweizer Privatbanken.
Die Rede ist von Cum-Ex, dem Skandal um die in Deutschland zeitweise zum Geschäftsmodell gewordene mehrfache Rückforderung der Kapitalertragssteuer auf Dividenden, zu dem unter anderen die «Neue Zürcher Zeitung» eine umfangreiche Auslegeordnung publizierte (Artikel bezahlpflichtig).
Zehnmal teurer
Diese Praxis soll den deutschen Staat kumuliert rund 36 Milliarden Euro gekostet haben, wie der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel ausgerechnet hat. Bei der Nachversteuerung undeklarierter Vermögen von deutschen Kunden Schweizer Banker im Rahmen der zwischen 2012 und 2017 (vor dem AIA) geltenden Abgeltungssteuer kam lediglich rund ein Zehntel dieses Betrages zusammen. Und das für einen Zeitraum von rückwirkend zehn Jahren, also zwischen 2002 und 2011.
Während Steinbrücks Amtszeit als Bundesfinanzminister unterband die Steuerverwaltung in der Schweiz hierzulande das Cum-Ex-Geschäft.
Warnbriefe ignoriert
Ganz anders in Steinbrücks Bundesrepublik Deutschland. Dort hat sein Ministerium etliche Warnbriefe wie beispielsweise jenen des Instituts der Wirtschaftsprüfer vom 30. März 2009, in den finews.ch Einsicht genommen hat, erst ignoriert.
Anschliessend wirkten Steinbrücks Mitarbeiter aus dem Finanzministerium am 20. Oktober 2009 im sogenannten Arbeitskreis Leergeschäfte mit. Zwar erkannte der Arbeitskreis, dass es «problematisch» sei, «wenn der Verkäufer leer verkauft, d.h., sich zur Erfüllung der Lieferverpflichtung mit den entsprechenden Stücken eindecken muss».
Legalität bestätigt
Allerdings hielten die am Tisch versammelten Experten fest: «Auch in diesen Fällen ist der Käufer dividendenberechtigt, auch wenn zum Dividendenstichtag die Stücke nicht in einem Depot des Leerverkäufers lagen, sondern von Dritten gehalten wurden.» Dies zeigen Unterlagen zu der Sitzung, die finews.ch vorliegen.
Die Rechtmässigkeit der Cum-Ex-Geschäftsgrundlage wurde also von der Crème de la Crème der deutschen Finanzbürokratie bestätigt, während die Behörden in der Schweiz genau an diesem neuralgischen Punkt einen Riegel schoben.
Persönliche Verflechtungen in die Cum-Ex-Industrie
Kein Ruhmesblatt für Saubermann Steinbrück sind die persönlichen Verflechtungen des Cum-Ex-Komplexes hinein in sein Ministerium. Er selber gehörte vor seiner Berliner Zeit dem Verwaltungsrat der WestLB an, die wie viele andere Landesbanken substantiell am grossen Cum-Ex-Rad gedreht hat.
Und sein Staatssekretär war Jörg Asmussen, der damals mit Henriette Peucker zusammenlebte. Sie wiederum war oberste Lobbyistin der Deutschen Börse, die über ihre Tochter Clearstream in erheblichem Rahmen am Cum-Ex-Karussell verdiente. Auf der Clearstream-Plattform wurden sämtliche der inkriminierten Leerverkäufe abgewickelt.
Man darf also die Frage stellen: War Kavallerie-General Peer Steinbrück so sehr mit seinem publicityträchtigen Schlachtplan gegen die unbotmässigen helvetischen Indianer beschäftigt, dass ihm die deutlich gravierendere Plünderung der Kriegskasse in seinem Fort Yuma entgangen ist?