Fintech 2018: Jahr des Ökosystems
Fintech und Schweizer Banken: Das ist 2017 eine mehrheitlich produktive Koexistenz geworden. 2018 werden die Grenzen der Lager schwinden – sofern die Banken den Mut zur Öffnung aufbringen.
Vergangenen Herbst zitierte finews.ch den Gründer und CEO der Peer-to-Peer-Kredit-Plattform Twino Armands Broks: «Die Fintech-Industrie unterzeichnet gerade ihr eigenes Todesurteil».
Was Broks wehmütig ansprach, war eines der prägenden Elemente des vergangenen Jahres in der Schweizer Startup- und Finanzszene gewesen: Kaum ein Fintech oder Insurtech, das keine Kooperation mit einer Bank, einem Versicherer oder einem anderen Fintech eingegangen wäre.
Gegenseitige Abhängigkeiten
Fintech und Banking, das ist kein Kampf von innovativen und wendigen Davids gegen ignorante und behäbige Goliaths mehr. Es ist eine Koexistenz unter gegenseitigen Abhängigkeiten geworden.
Hier die Fintechs, welche die Finanz- und Vertriebskraft der Banken zum Überleben brauchen. Da die Banken, welche ohne Fintechs in der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle wohl keinen Fuss vor den anderen bringen würden.
Zwei übergeordnete Trends werden die Banken- und Versicherungsbranche im kommenden Jahr prägen: Der Auf- und Ausbau eines digitalen Ökosystems und als Voraussetzung dafür Open Banking. Auf Seiten der Fin- und Insurtechs werden sich zwei Trends akzentuieren: Selektion und Konsolidierung.
1. Open Banking – komme, was da wolle
Im Prinzip spielt es keine Rolle, ob die Schweiz die EU-Zahlungsrichtlinie PSD2 annimmt oder nicht: Die Schweizer Banken werden sich gegenüber Fintech-Anbietern öffnen müssen. Mitnichten praktizieren bereits alle Schweizer Banken das Open Banking, wie es die PSD2-Gegnerin Schweizerische Bankiervereinigung behauptet.
Eigentlich ist es mit der Hypothekarbank «Hypi» Lenzburg erst eine Bank, welche den Open-Banking-Gedanken konsequent angeht und umzusetzen begonnen hat. Sie hat ihr Kernbankensystem für Fintech-Angebote geöffnet und es zu diesem Zweck mit einer Schnittstellenplattform ausgestattet. Das heisst, die Hypi macht ihre Daten, Dienstleistungen und Prozesse nun auch für «angedockte» Fintechs nutzbar – eine Win-Win-Situation für beide Seiten und insbesondere für den Kunden.
Andere Schweizer Institute werden es der Hypi Lenzburg nachmachen – müssen. Open Banking ist keine Option, sondern eine Bedingung, um in der rasant fortschreitenden Digitalisierung der Finanzbranche mithalten zu können und neue Kundengruppen und Ertragsquellen zu erschliessen. Dies, während der Preiszerfall für klassische Bankdienstleistungen unweigerlich fortschreitet.
2. Ökosysteme: Der Schritt zur Plattform
Das «Ecosystem» hat im Internetzeitalter den Weg aus den Naturwissenschaften in die (digitalisierte) Unternehmenswelt gefunden. Inzwischen darf der Begriff in keiner Präsentation mehr fehlen. Im vergangenen Jahr haben insbesondere die Versicherungsunternehmen massiv in den Aufbau sogenannter Ökosysteme investiert.
Nicht nur durch die Übernahme von Insurtechs zur Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle, sondern mittels Kauf von «verwandten» Geschäften, welche Zugang zu neuen Kundengruppen schaffen. Der Zweck des Aufbaus eines Ökosystems ist die Kundenbindung. Der Kunde soll sich in einem vernetzten System von verschiedenen Dienstleistungen bewegen und in diesem Ökosystem sein Geld ausgeben. Apple ist mit seiner geschaffenen Welt von miteinander verbundenen Produkten und Dienstleistungen über die iTunes-Plattform das Paradebeispiel für ein solches Ökosystem.
Warum Banken ein solches bauen müssen? Produktepreise werden in der digitalisierten Welt gegen Null sinken. Beratungen werden so teuer sein, dass sie sich nur eine exklusive Klientel leisten kann. Und die Rolle als Finanzintermediär wird durch Peer-to-Peer-Netzwerke marginalisiert. Darum müssen Banken auch soweit gehen, Ertragsströme ausserhalb ihrer angestammten Finanzgeschäfte anzuzapfen. Bisher ist auf dem Schweizer Finanzplatz davon nichts zu sehen. 2018 werden Banken stärker aus ihrer Komfortzone gezwungen. Sie müssen sich mit völlig neuen Geschäftsmodellen beschäftigen.
3. Selektion und Konsolidierung: Ein Ende in Raten
In der Schweiz hat sich eine Fin- und Insurtech-Startup-Szene etabliert, die über 200 Unternehmen umfasst. Nur ein Teil davon sind Anbieter von hochspezialisierten Technologien, welche sie an Banken oder Versicherer verkaufen können. Ein guter Teil der Fintechs ist in einem Geschäft tätig, in welchem sie Anwendungen als White-Label-Lösung für Banken oder Versicherungen anbieten.
Ein weiterer Teil der Fintechs wendet sich an den Retailkunden, sei es über Kreditplattformen, im Paymentbereich oder als Robo-Advisor. Eine der grossen Herausforderungen für jedes digitale Geschäftsmodell in der Schweiz ist die begrenzte Marktgrösse. Erfolgreiche Fintechs wie Contovista oder Bexio haben bereits die Finanzkraft von etablierten Partnern gesucht, da aus eigener Kraft eine Expansion zu kostspielig würde.
Contovista wurde von Aduno übernommen, Swiss Life hat sich an Bexio beteiligt. Der digitale Vermögensverwalter Truewealth hat sich an die Basellandschaftliche Kantonalbank gehängt.
Im kommenden Jahr werden die Sololäufe von Fintechs weiter abnehmen. Banken werden Fintechs mit einem funktionierenden Geschäftsmodell an sich binden wollen, um ihr Ökosystem aufzubauen. Und Fintechs werden sich vermehrt in die Arme etablierter Finanzinstitute werfen, um ihr Wachstum finanzieren zu können. Dieser Prozess führt zu einer Selektion valabler Fintech-Geschäftsmodelle. 2018 wird vermutlich mehr gescheiterte Fintechs sehen als in den vorangegangenen Jahren.