Bereits mehr als 30 Schweizer Banken bleiben dem US-Programm zur Beilegung des Steuerstreits fern. Damit stossen sie Bund und Finanzmarktaufsicht vor den Kopf, die einst zum Mitmachen geradezu drängten. Das hat Folgen.
Es ist der letzte Fall einer ganzen Serie. Anfang dieser Woche gab die vornehme Genfer Privatbank Mirabaud bekannt, dass sie nicht am Programm der US-Justizbehörden zur Beilegung des Steuerstreits mit Amerika teilnimmt. Zuvor hatte das Institut noch erwogen, sich in den so genannten «Unschulds»-Kategorien 3 und 4 einzureihen.
Jetzt nicht mehr. Nach «neuerlicher Analyse» entschloss sich die Privatbank, dem Programm gänzlich fernzubleiben.
Zur Teilnahme gedrängt
Manch einer reibt sich die Augen. Als die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf im Sommer 2013 das US-Programm präsentierte, liess sie keinen Zweifel daran, dass dies das definitive Verhandlungs-Ergebnis mit den Amerikanern sei. Entsprechend fühlten sich die Banken zur Teilnahme gedrängt.
Dies umso mehr, als der damalige Finma-Direktor Patrick Raaflaub im November 2013 die Banken in einem viel diskutierten Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» unmissverständlich ermahnte, im Zweifelsfall in die Kategorie 2 des Programms zu wechseln.
Dies ist die «Schuld»-Kategorie des US-Programms. Banken, die sich dort einreihen, bekennen sich auf Vorrat dazu, Amerikanern beim Steuerbetrug geholfen zu haben – und nehmen eine Busse in Kauf. Dafür dürfen sie auf Straffreiheit hoffen (non-prosecution agreement). Aufgeschreckt von Bund und Behörden meldeten sich in der Folge mehr als 100 Schweizer Banken für die Kategorie 2 an.
Bunte Schar von Dissidenten
Seither hat sich das Blatt aber gewendet. Mehr noch: Dass inzwischen mehr als 30 Banken nichts mehr vom hart erstrittenen US-Programm wissen wollen, läuft auf eine eigentliche Desavouierung der Schweizer Unterhändler und deren Chefin, Bundesrätin Widmer-Schlumpf, hinaus.
Zu den Dissidenten gehören dabei so unterschiedliche Häuser wie die Zürcher Finanzboutique Bank am Bellevue, die Freiburger Kantonalbank, die auf nachhaltige Investments ausgerichtete Globalance oder der Verbund der 15 Clientis-Regionalinstitute. Die entsprechende Liste hat der Westschweizer Finanzblog «Finance Corner» zusammengetragen:
• Bank am Bellevue
• Alternative Bank Schweiz
• Banque Bénédict Hentsch (heute GS Bank)
• Appenzeller Kantonalbank
• Banque Cantonale de Fribourg
• Barclays Bank (Suisse)
• BZ Bank
• Clientis
• Globalance
• Mirabaud
• Bank Reyl
• Valartis
• VP Bank (Schweiz)
• VZ Holding
Die Liechtensteiner VP Bank hatte sich ursprünglich auch in die Schuld-Kategorie 2 eingeteilt und kehrte dem Programm bereits im vergangenen August den Rücken. Die Genossenschaftsbank Raiffeisen Schweiz und die Zürcher Bank Vontobel reihten sich derweil schon von Anfang an die «Unschulds»-Kategorie 3 ein.
Jenseits der Hysterie
Der plötzliche Wechsel kommt indes nicht von ungefähr: Wie Kenner der Verhandlungen berichten, sei von Anfang an klar gewesen, dass es für Schweizer Banken eigentlich nur zwei sinnvolle Varianten im Programm gebe: Die 2. Kategorie oder gar keine. War jene Erkenntnis in der anfänglichen Hysterie noch völlig untergegangen, dämmere dies nun vielen Banken nach eingehender Prüfung ihrer Kundenstämme.
Insidern zufolge werden sich immer mehr Institute gewahr, dass das Thema US-Schwarzgeld bei ihnen zu gering ist, um ins Fadenkreuz der amerikanischen Steuerfahnder zu geraten. Dass die Banken so den für ihr Geschäft extrem belastenden Steuerstreit schnell ad acta legen können, dürfte ebenfalls eine wichtige Rolle bei einer nicht-Teilnahme am Programm spielen.
Verhandlungen liegen auf Eis
Dies gilt umso mehr, als die Verhandlungen mit den Kategorie-2-Banken seit Monaten auf Eis liegen. Schuld daran ist ein überraschender Schachzug der Amerikaner. In einem «Entwurf» forderten sie im vergangenen Oktober eine praktisch unbegrenzte Kooperation der Kategorie-2-Banken in Steuerfragen. Dem konnten letztere unmöglich zustimmen, hätten sie doch damit gegen das Schweizer Bankgeheimnis verstossen.
Eine Intervention des in den Verhandlungen mit den USA federführenden Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) blieb bisher ohne Widerhall. Ebenso ein Protestschreiben von 73 Schweizer Banken an das Departement of Justice (DoJ) in Washington.
Umso mehr könnten die Banken deshalb dazu übergehen, das Heft selber in die Hand zu nehmen.
Nicht unproblematisch
Bund und Behörden schauen den Austritten vorerst tatenlos zu. «Es obliegt den einzelnen Banken, sich gemäss ihrer Risikoeinschätzung für eine Teilnahme am US-Programm zu entscheiden», heisst es bei der Finma. Die Aufsicht verlange aber von den Banken, dass sie «einen wohlüberlegten und fundierten Entscheid» fällten.
Auch beim SIF gibt man sich zurückhaltend. «Das Programm beruhte von Anfang an auf Freiwilligkeit», hält dort ein Sprecher fest. Deshalb empfinde das SIF den Austritt einzelner Schweizer Banken aus dem US-Programm auch nicht als Desavouierung. Der Sprecher räumt jedoch ein, dass die erweiterten Forderungen aus den USA «nicht unproblematisch» seien. Dennoch hofft das SIF, dass bald die ersten definitiven «Non-Prosecution-Agreements» für Schweizer Banken abgeschlossen werden können.
Kenner der Verhandlungen sind da allerdings weniger optimistisch: Zwar gebe es Anzeichen, dass die Verhandlungen zwischen den US-Justizbehörden und den einzelnen Kategorie-2-Banken wieder in Gang kämen. Dennoch, so die Insider, werde das US-Programm Ende 2015 wohl noch nicht abgeschlossen sein.
Noch ein Exempel statuieren?
Die Amerikaner, heisst es, dürften sich nämlich erst auf die rund zehn Kategorie-1-Banken konzentrieren, die von Anfang an mit einer Anklage der US-Justizbehörde rechnen müssen. Ende letzten Jahres erzielte die zu dieser Gruppe gehörende Bank Leumi eine Einigung – und zahlte eine Busse von 400 Millionen Dollar.
Auch sei es möglich, dass die US-Behörden ein Exempel an einer Bank statuiere, die nicht am Programm teilnimmt. «Über die nötigen Daten dazu verfügt das Departement of Justice inzwischen längst», so die Insider.