Dank einem Gerichtsurteil, das superprovisorische Massnahmen der ersten Instanz aufhebt, kann sich die Genfer Zeitung «L'Agéfi» wieder ungehindert zur Digitalbank äussern. Die Details werfen kein gutes Licht auf deren Gebaren.
Die kurze Geschichte der 2020 gegründeten und Mitte Juni von der Finanzmarktaufsicht (Finma) geschlossenen Genfer Digitalbank ist um ein Kapital länger. Allerdings handelt es sich nicht um eine Fortsetzung, sondern um eine Episode, die im Wesentlichen in das Jahrbuch 2023 gehört.
Am vergangenen Freitag widmete die Westschweizer Wirtschaftszeitung «L'Agéfi» der nun im Konkursverfahren steckenden Digitalbank das Editorial und zusätzlich fast zwei ganze Zeitungsseiten. Anlass dazu ist, dass das Genfer Berufungsgericht am Mittwoch superprovisorische Massnahmen aufgehoben hat, die erstinstanzlich im Oktober 2023 gegen «L'Agéfi» auf Ersuchen der Bank angeordnet worden waren.
Sie zwangen die Zeitung dazu, sämtliche Spuren zweier Artikel im Netz und auf den sozialen Medien zu tilgen. Sie wehrte sich in der Folge rechtlich gegen diesen Entscheid – und war jetzt damit erfolgreich.
Unliebsame Berichterstattung der Wirtschaftszeitung
Einen der beiden Artikel hatte «L'Agéfi», die beileibe nicht den Ruf hat, eine fundamentale Kritikerin des Bankenplatzes Schweiz zu sein (hinter dem Akronym verbirgt sich bezeichnenderweise «Agence économique et financière»), am 19. Oktober 2023 abgedruckt. Gemäss Darstellung der Zeitung war der Publikation ein Gespräch mit der Flowbank-Leitung vorausgegangen.
Dabei habe diese ultimativ verlangt, dass der Titel des geplanten Beitrags «Flowbank wird 2023 rentabel sein» lauten müsse. Die Redaktion lehnte dies ab, das Gespräch fand ein jähes Ende. Der Artikel basierte deshalb weitgehend auf dem Jahresbericht und anderen öffentlich zugänglichen Informationen.
Der eine Woche später publizierte zweite sanktionierte Artikel nahm Bezug auf diverse aussergewöhnliche Feststellungen, die der externe Revisor PwC in seinem Bericht gemacht hatte, unter anderem, dass das interne Kontrollsystem der Bank nicht dem schweizerischen Recht genüge. Im Artikel wurde auch die hohe Personalfluktuation bei Kaderfunktionen thematisiert.
Maulkorb gegen die Pressefreiheit
«L'Agéfi» feiert den Entscheid des Berufungsgerichts als Sieg für die Pressefreiheit. Flowbank habe verhindert, dass die Zeitung ihre Arbeit haben machen können, heisst es im Editorial. Und die «unverständliche Entscheidung» des ersten Richters habe ganze Artikel vom Netz verschwinden lassen. Zudem habe der Richter der Zeitung einen Maulkorb verpasst, auch in Bezug auf die vorsorglichen Massnahmen selber.
Fazit aus Sicht der Redaktion: Die Zensur hätte nie angewendet werden dürfen, und die Leichtfertigkeit, mit der diese Art von vorsorglichen Massnahmen angeordnet werden könne, sei sehr besorgniserregend. Das Ungleichgewicht der Finanzstärke der Beteiligten – eine Bank gegen ein Medienunternehmen – verdeutliche das Ausmass der Bedrohung der Informationsfreiheit.
Finma nimmt Stellung
Die Zeitung belässt es aber nicht bei der Vergangenheitsbewältigung und den Lehren, die aus dem Fall zu ziehen sind, sondern liefert auch Präzisionen zur Aktualität. Die Finma habe bestätigt, dass sie die Bank in den vergangenen Monaten und Wochen «sehr eng begleitet» habe.
Zudem habe die Behörde in Aussicht gestellt, dass die Kontoguthaben (bis 100'000 Franken) und die Wertschriften den Kunden zurückerstattet würden, und dies innerhalb von sieben Tagen, nachdem die mit der Liquidation beauftragte Gesellschaft die Bankdaten der Kunden erhalten habe.
Walder Wyss informiert Gläubiger
Auf der Flowbank-Website hat der Liquidator Walder Wyss diese Woche unterdessen neue Informationen aufgeschaltet. Die E-Banking-Plattform des Instituts ist demnach reaktiviert worden, um den Prozess zur Rückzahlung von privilegierten Einlagen zu automatisieren. Berechtigte werden individuell per E-Mail benachrichtigt, wenn der Prozess eröffnet wird.
Walder Wyss fordert Kunden, die Barguthaben auf einem Konto bei der FlowBank AG halten, auf, Instruktionen für die Überweisung anzugeben (Bankverbindung des Kontos, auf das die Rückzahlung erfolgen soll). Die Rückzahlung werde innert weniger Tage erfolgen.
«Substanzielle Zweifel»
Die Finma hatte die Zwangsschliessung von Flowbank vor allem mit den fehlenden Eigenmitteln begründet. In verschiedenen Medien hatte daraufhin Charles-Henri Sabet, Gründer und CEO der Digitalbank, kritisiert, die Behörden hätten verschwiegen, dass er das nötige Kapital fristgerecht bei einer Schweizer Bank deponiert gehabt hätte.
«L'Agéfi» zitiert nun eine Finma-Sprecherin, die anmerkte, diese Notfallspritze habe so viele substanzielle Zweifel aufgeworfen, dass eine Genehmigung nicht in Frage gekommen sei. Es sei auch nicht das erste Mal gewesen, dass die Eigenmittel der Bank unter die Kapitalanforderungen gefallen sei.
Und – so lässt sich dieser Faden weiterspinnen – es dürfte auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die Saga der unglücklichen Flowbank finews.ch Stoff für die Berichterstattung geliefert hat.