Präsident Thomas Jordan nimmt bei der Schweizerischen Nationalbank drei Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit den Ausgang. Klagen sind von ihm nicht zu hören – doch klar ist, dass die bereits enorme Last auf seinen Schultern noch zugenommen hätte.
Sucht man nach einer Grundstimmung, die während der zwölfjährigen Amtszeit von Thomas Jordan als oberster Hüter über die Landeswährung, die Preisstabilität und das Schweizer Finanzsystem vorgeherrscht hat, dann ist es wohl diese: Druck.
Gestolperter Vorgänger
Jordan wurde 2012 ins Präsidium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) berufen, nachdem sein Vorgänger unter Druck zurücktreten musste. Philipp Hildebrand war über die Devisenkäufe seiner damaligen Ehefrau gestolpert; Jordan übernahm interimistisch und dann schliesslich offiziell die Leitung des SNB-Direktoriums.
Einmal im Amt, setzte er die umstrittenen Devisenkäufe fort, mit denen die Nationalbank den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken zu verteidigen suchte – bis sich der Druck auf die SNB-Bilanz als zu gross erwies.
Fanken-Schock und Stress für das System
Im Jahr 2015 löste sich die Währungshüterin dann mit dem «Franken-Schock» überraschend vom Mindestkurs. In den folgenden Jahren suchte sie ihr Heil stattdessen in der Anwendung von Negativzinsen, die aber ihrerseits enorme systematische Verzerrungen nach sich zogen, zumal am Immobilienmarkt und im Vorsorgewesen.
Auch hier löste sich der Druck Ende 2022 mit der Abkehr von der Negativzins-Ära nur zeitweilig, weil die SNB in den darauffolgenden Monaten die schnellste Zinssteigerung ihrer Geschichte vollzog. Damit «stresste» sie das Finanzsystem von Neuem.
Von «Spygate» alarmiert
Ganz zu schweigen von dem, was sich abseits der Geldpolitik am Bankenplatz abspielte. Wie die Agentur «Reuters» recherchierte, begann sich Jordan bereits im Jahr 2020, als der damalige CEO der Credit Suisse (CS), Tidjane Thiam, nach der so genannten Spygate-Affäre den Hut nehmen musste, Sorgen um die Stabilität der zweitgrössten Schweizer Bank zu machen.
Dem Bericht zufolge wollte der SNB-Präsident dann bereits im Jahr 2022 durchgreifen: Jordan soll darauf gedrängt haben, 50 Milliarden Franken an Liquidität in die CS einzuschiessen und das Institut zu verstaatlichen.
Von Bund und Finma ausgebremst?
Laut der Agentur bremsten ihn aber der Bund und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) aus, und nicht zuletzt auch die Führung der CS. Der damalige Finanzminister Ueli Maurer erklärte noch im Dezember 2022 in einem Interview, man müsse die CS «jetzt einfach ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen». Drei Monate später war die Grossbank Geschichte.
Die Notrettung und der so noch nie dagewesene Zusammenschluss zweier weltweit systemrelevanter Geldhäuser lastete schwer auf den involvierten Akteuren: Bei der CS-Käuferin UBS wurde der damalige Chef Ralph Hamers noch vor Beginn der Integration mit dem Veteranen Sergio Ermotti ausgetauscht; vergangenen September trat dann bei der Finma Urban Angehrn zurück. Der damalige Direktor begründete dies explizit mit der gesundheitlichen Belastung.
Herzoperation im Jahr 2021
Solches hat man vom zurückhaltenden Jordan, der in der Öffentlichkeit schwierigen Fragen oftmals mit einem Lächeln ausweicht, nie gehört. Wohl hatte er sich im Jahr 2021 einer Herzoperation unterziehen müssen, war aber nach wenigen Wochen zurück auf dem Posten.
Auch bei seiner Rücktritteserklärung war vom Zentralbanker kein Wort zur Belastung der vergangenen Jahre zu hören. «Nach der Bewältigung der verschiedenen Herausforderungen der vergangenen Jahre ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen, von meinem Amt zurückzutreten», liess er sich lediglich zitieren.
Rücktritt noch vor PUK-Bericht
Doch Fakt ist, dass der Druck auf ihn in den nächsten Monaten und Jahren nur weiter zugenommen hätte. Dies einerseits wegen der CS-Rettung. Ende Jahr, also nach dem für den September geplanten Rücktritt von Jordan, soll der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Krise der Credit Suisse (CS) bereitliegen.
Der Horizont der Ermittlungen reicht dabei bis ins Jahr 2015 zurück. Alles, was die Akteure – und eben auch die SNB – bis zum Untergang der Grossbank getan und unterlassen haben, wird dann nochmals Gegenstand der öffentlichen Debatte werden.
Beschwerden und Sammelklagen vor Schweizer Gerichten
Schon zuvor werden die Architekten der CS-Rettung wohl unangenehme Fragen beantworten müssen. So haben Tausende Investoren der auf Geheiss der Finma abgeschriebenen CS-Pflichtwandel-Anleihen (AT-1-Bonds) eine Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Aktionäre der CS wiederum klagen vor dem Handelsgericht in Zürich und fordern von der UBS Schadenersatz für den tiefen Übernahmepreis.
Die SNB ist zwar von diesen Verfahren nicht tangiert, sie hat aber die Modalitäten des Zwangsverkaufs der CS mit gestützt.
Am Entscheid vom vergangenen 19. März kratzt vermutlich die Stellungnahme der Wettbewerbskommission (Weko), die derzeit noch unter Verschluss bei der Finma liegt. Medienberichten zufolge soll die Weko darin offenbar eine vertiefte Untersuchung der Marktmacht der UBS fordern. Bei der CS-Übernahme sind die Wettbewerbshüter zwar an die Seitenlinie gedrängt worden. Ihre allfälligen Bedenken werden die Diskussion rund um den Zwangszusammenschluss ebenfalls noch anheizen.
Bund und Kantone gehen schon wieder leer aus
Und schliesslich gerät die SNB auch wegen der Folgen ihrer Geldpolitik unter Druck. Denn diese bestimmt die Bilanz der Währungshüterin und hat im Jahr 2023 nun erneut einen Milliardenverlust für die Nationalbank nach sich gezogen.
Schon das zweite Jahre infolge müssen deswegen Bund und Kantone über die zuvor üppig ausgefallenen Ausschüttungen verzichten. An diese hat sich der Staat in vergangenen Jahren gewöhnt; entsprechend dürfte die Notenbank in den kommenden Monaten wohl seitens der Politik stark unter Druck geraten.
Der Notenbanker Jordan verfügt mit seiner hühnenhaften Gestalt über entsprechende Schultern; ob diese breit genug sind, um dem in den nächsten drei Jahren wohl nur steigenden Druck standzuhalten, wird nun nicht mehr zu erfahren sein.