Die jüngsten Börsenturbulenzen haben gezeigt, dass der Franken für die internationalen Anleger immer noch ein sicherer Hafen ist. Das ist im Grunde eine gute Nachricht für den Finanzplatz, auch wenn dadurch der Job für die Nationalbank schwieriger wird.

Die Börsenturbulenzen der letzten Woche haben nicht nur die Aktienhändler, die Bankaktionäre und die weiteren Anleger ins Schwitzen gebracht, sondern auch die Akteure an den Devisenmärkten. Und wer geglaubt hatte, der Status des Frankens als sicherer Hafen sei ein allmählich verblassendes historisches Relikt, wurde eines Besseren belehrt. Die Schweizer Währung legte zu Wochenbeginn gegenüber dem Euro und dem Dollar sozusagen bilderbuchmässig kräftig zu, um sich danach im Gleichklang mit der abnehmenden Risikoaversion wieder etwas abzuschwächen.

Wie wird es mit dem Franken weitergehen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur für die Devisenhändler (oder die Glücklichen, deren Ferien im Ausland noch bevorsteht) von Interesse. Der Wechselkurs ist auch für die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) eine zentrale Grösse.

Geldpolitik über den Zinskanal

Zwar steuert die SNB die monetären Bedingungen wie die anderen Zentralbanken primär über einen Leitzins. Dieses Jahr hat sie ihren Leitzins bereits im März und im Juni um je einen Viertelprozentpunkt gesenkt – womit die SNB international betrachtet zu den Vorreiterinnen im geldpolitischen Lockerungszyklus zählt. 

Die SNB, die den Auftrag hat, die Preisstabilität zu sichern, reagierte damit auf den Rückgang der Teuerung. Gemäss den Ausführungen zu ihrem geldpolitischen Konzept im jüngsten Rechenschaftsbericht stimuliert eine Zinssenkung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, was zu einer steigenden Auslastung der Produktionskapazitäten und einer Zunahme der Inflation führt.

Wechselkurs: Nur «grundsätzlich» frei

Doch der Wechselkurs ist ebenfalls relevant, da die Schweizer Volkswirtschaft stark aussenhandelsorientiert und international eng verflochten ist. Im Rechenschaftsbericht hält die SNB fest, dass eine Aufwertung des Frankens importierte Güter und Dienstleistungen günstiger macht und so die Inflation reduziert. Eine Aufwertung dämpft über die für das Ausland teurer werdenden Exporte die Wirtschaftsaktivität, und damit über die Zeit die Inflation nochmals zusätzlich.

Auch wenn die SNB «grundsätzlich flexible Wechselkurse»(was bedeutet, dass diese allein den Marktkräften von Angebot und Nachfrage unterworfen sind) als Voraussetzung für eine eigenständige Geldpolitik nennt, interveniert sie bei Bedarf am Devisenmarkt. Sie kauft Devisen vor allem dann, «wenn der Spielraum für Zinssenkungen klein ist und durch die Aufwertung des Frankens eine deflationäre Entwicklung droht». Ist hingegen dieser Spielraum vorhanden, kann die SNB den Franken mit Zinssenkungen weniger attraktiv machen.

Lage für die SNB wird ungemütlicher

Damit wird klar: Die Geldpolitik beeinflusst den Wechselkurs und umgekehrt. Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St. Galler Kantonalbank (und früher für die Verwaltung der Devisenreserven der SNB verantwortlich), geht in einer Publikation vom Montag mit dem sprechenden Titel «SNB nicht zu beneiden» davon aus, dass der Leitzins im September und allenfalls im Dezember nochmals gesenkt wird – und dadurch auf 0,75 Prozent zu liegen käme.

Die SNB befinde sich mit ihrem begrenzten Spielraum in einer schwierigen Lage, weil ab September auch die US-Notenbank (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen senken würden. Damit ist es nicht mehr möglich, die Zinsdifferenz zum Euro und zum Dollar zu vergrössern und so die Attraktivität des Frankens zu mindern. Stucki weist auch auf die prinzipiellen Grenzen des Zinsinstruments hin: Der Effekt auf die Devisenkurse sei – wie sich in den letzten Monaten gezeigt hat – nur vorübergehend und verpuffe rasch.

«Neutraler Zins» ist bald erreicht

So bleiben der SNB für die Kontrolle des Frankens letztlich nur Devisenkäufe, ein Instrument, das sie gemäss Stucki am Montag letzter Woche eingesetzt zu haben scheint.

Etwas weniger forsch als Stucki argumentiert das Economic Research der Raiffeisen. Es bezieht sich auf eine Äusserung von Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der SNB (der nächsten Monat letztmals den geldpolitischen Entscheid vorstellen wird), wonach das aktuelle Zinsniveau noch nicht expansiv sei. Eine weitere «vorsorgliche Senkung» im September hält Raiffeisen daher für «gut möglich». Dann wäre man allerdings beim geschätzten Wert des «neutralen Zinses» angekommen. Als neutraler Zins wird das Niveau bezeichnet, wo die Geldpolitik die Wirtschaft weder stimuliert noch bremst. Er lässt sich indes nicht exakt berechnen und auch nicht direkt beobachten.

Bestimmungsfaktoren für den Wechselkurs sind bekannt...

Und wie lautet nun die Antwort auf die Frage, wie es mit dem Franken weitergehen wird? Sicher ist, dass von der Schweizer Zins- respektive Geldpolitik grundsätzlich ein mässigender Effekt ausgehen wird. Schon weniger sicher ist, wie rasch das Fed und die EZB lockern werden. Je länger sie damit zuwarten, desto besser hat die SNB den Franken im Griff.

Zwar sind die Faktoren, die den Wechselkurs bestimmen, weitgehend bekannt. Neben der Risikoneigung der Anleger und der Verfassung der Finanzmärkte, der Geldpolitik der Zentralbanken, den Zins- und Inflationsdifferenzen zählen fundamentale Wirtschaftsgrössen wie etwa der Leistungsbilanzsaldo oder die Konstellation am Devisenmarkt (Short- und Longpositionen) dazu. Deshalb findet sich im Nachhinein für fast jede Wechselkursbewegung eine plausible Erklärung.

...aber Prognosen liegen trotzdem oft daneben

Die Krux liegt jedoch darin, dass der Einfluss, den ein bestimmter Faktor beispielsweise auf das Währungspaar Franken-Euro ausübt, über die Zeit von vernachlässigbar bis dominant schwanken kann. Dazu kommen unterschiedlich ausgeprägte Wechselwirkungen zwischen den Faktoren. Dies macht Währungsprognosen über die nächsten Monate so schwierig – und erklärt auch, weshalb sich selbst die Schätzungen der ausgefeiltesten quantitativen Wechselkursmodelle der versiertesten Ökonomen von Geschäfts- und Zentralbanken immer wieder als falsch erweisen.

Dass die Schweiz mit dem Franken eine langfristig betrachtet harte Währung hat, mag für die Exportwirtschaft und den Tourismus ein Problem sein. Gesamthaft betrachtet ist sie aber für unser Land ein Qualitätssiegel. Denn der Franken wird von internationalen Anlegern vor allem deswegen als sicherer Hafen betrachtet, weil die Fiskal- und die Geldpolitik hierzulande grosso modo stabilitätsorientiert und damit vernünftig sind, die Rechtssicherheit weitgehend gewährleistet, der gesellschaftliche Frieden gesichert und die Wirtschaft global wettbewerbsfähig ist.

Devisenkäufe sind das kleinere Übel

Und ja, auch der Finanzplatz mit seinen Banken, Versicherungen, weiteren Dienstleistern sowie der soliden Infrastruktur ist ein wichtiger Pfeiler, auf dem die Stabilitätsinsel ruht.

Nicht einmal der unrühmliche Untergang der zweitgrössten Schweizer Bank im Frühling 2023 vermochte die Reputation der Schweiz ernsthaft zu beschädigen. So gesehen sind Devisenkäufe im Kampf gegen die traditionelle Frankenstärke definitiv das kleinere Übel als Devisenverkäufe zur Stabilisierung einer Heimwährung, die wegen des CS-Desasters schwindsüchtig wäre.