Bei Aquila geht Vivien Jain davon aus, dass gut die Hälfte der Vermögensverwalter der Partnergesellschaften in den nächsten zehn Jahren das Pensionsalter erreicht. Deshalb forciert die CEO der Vermögensverwaltungs-Gruppe nun die Nachfolge – und rechnet mit einer weiteren Konsolidierungswelle, wie sie im Interview mit finews.ch erklärt.
Frau Jain, in der Vorweihnachtswoche vor einem Jahr herrschte bei Aquila Alarmstufe rot. Nach einem Hackerangriff mussten Sie die IT-Systeme der Dienstleistungsplattform abschalten. Die Archive sämtlicher Partnergesellschaften waren zeitweilig nicht mehr abrufbar. Gibt es heute noch Spuren des Hacks?
Wir haben damals rasch beschlossen, die gesamte Plattform-IT herunterzufahren und das ganze System neu aufzubauen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass dies die richtige Entscheidung war. Hätten wir dies nicht getan, könnte ich heute wohl nicht sicher sein, ob wir noch etwas aus der Attacke mitschleppen.
Also fühlt sich Aquila jetzt sicher?
Wir haben alles unternommen, um den grösstmöglichen Schutz zu gewährleisten. Es gibt jedoch nie eine hundertprozentige Sicherheit. Das ist eine der Lehren, die jeder aus einem solchen Vorfall ziehen sollte. Seither muss ich innerlich lachen, wenn ich von Instituten höre, die glauben, unangreifbar zu sein.
Das klingt nicht gerade beruhigend.
Bankensysteme sind bereits sehr sicher – so konnten die Hacker ja auch nicht ins System der Aquila Bank eindringen. Aber auch Cyberkriminelle lernen dazu.
«Dank der Turbozündung durch den Hack haben wir den IT-Betrieb komplett ausgelagert»
Deshalb haben wir auch für unsere sichersten Systeme zusätzliche Massnahmen ergriffen und lassen die Abwehr regelmässig testen. Man darf sich nie hinsetzen und sagen: Jetzt ist aber mal gut. Sondern man muss stets versuchen, einen Schritt voraus zu sein.
Wurden die Täter jemals dingfest gemacht?
Dies ist Sache der Polizei. Wir haben die Energie darauf gerichtet, den Betrieb zu sichern und in den Arbeitsalltag zurückzukehren: Stand heute sind wir massiv stärker aufgestellt als noch vor einem Jahr. Mittlerweile habe ich Freude daran, was wir in kurzer Zeit alles erreicht haben. Man darf nicht vergessen, dass unsere über 80 Partnerfirmen ebenfalls unter den Schutzschirm genommen werden mussten.
Das klingt kompliziert.
Das war ein hoch komplexes Unterfangen und für alle Beteiligten herausfordernd. Dank der Turbozündung durch den Hack haben wir unseren IT-Betrieb inzwischen komplett ausgelagert. Etwas, was wir sowieso vorhatten, aber ohne den Vorfall wohl mit weniger Druck verfolgt hätten.
An wen lagern Sie aus?
Im vergangenen Oktober haben wir mit der Unterstützung des Providers Isolutions die Migration in eine Cloud-Lösung abgeschlossen. Den direkten Support für unsere Partner bestreiten wir selbstverständlich weiterhin selber.
Nicht nur bei den Systemen hat sich einiges verändert. Ein Jahr, nachdem Sie von Max Cotting die CEO-Funktion übernommen hatten, haben Sie die Struktur der Aquila-Gesellschaft umgebaut. Hat sich die neue Organisation eingespielt?
Ich hatte bei meinem Antritt als CEO die Chance erhalten, die Struktur zu vereinfachen und auch die Geschäftsleitung der Grösse des Unternehmens anzupassen. Ebenfalls wichtig war mir der Fokus auf die Service-Plattform. Denn wir sind in erster Linie ein Dienstleister für unsere Partnergesellschaften, alles unabhängige Vermögensverwalter.
«Die Finanzbranche ist leider bekannt für teilweise veraltete Systeme»
Wir haben deshalb das sogenannte Partner Center geschaffen, das nebst den Dienstleistungen im Bereich Treuhand und Buchhaltung auch den direkten First-Level-Support umfasst. Das Management mit den zwei neuen Geschäftsleitungsmitgliedern hat sich bereits gut eingearbeitet. Das ist wichtig, denn unsere Pendenzenliste für nächstes Jahr ist lang.
Können Sie den Vorhang schon anheben?
Wir haben zum Thema Digitalisierung weiterhin viel vor – etwa im Bereich Treuhand und Buchhaltung. Dort gibt es noch viel Potenzial. Was unsere Partnergesellschaften betrifft, stehen die Themen Next-Generation und Nachfolge zuoberst auf der Liste.
Das gilt wohl nicht nur für die Partnerfirmen. Die Aquila-Gesellschaft braucht wohl auch selber junge Kräfte, um beim Thema Digitalisierung und Next-Gen den Anschluss nicht zu verpassen?
Absolut, aktuell benötigen wir vor allem Verstärkung im Umgang mit den neuen Arbeitsweisen in der Cloud. Es ist gar nicht so einfach für uns, solche jungen, IT-affinen Mitarbeitenden zu finden. Dies auch, weil die Finanzbranche leider bekannt ist für teilweise veraltete Systeme. Auch die Arbeitskultur ist eine andere als zum Beispiel bei Google. Deshalb müssen wir schauen, wie wir attraktiv sein können für die Digital Natives.
Wissen Sie schon, wie?
Wir sind daran, das herauszufinden. Es geht eben auch hier um die Generationenfrage: Viele unserer Mitarbeitenden sind schon lange im Betrieb. Dieses Know-how ist enorm wichtig. Doch braucht es zur Ergänzung auch frischen Wind, der neue Ideen und andere Perspektiven einbringt.
«Ich mag den Begriff Homeoffice eigentlich nicht besonders»
Wir haben vor einiger Zeit eine Mitarbeiterbefragung gemacht und dabei durchaus kritische Fragen gestellt, auch bezüglich Arbeitsmodellen. Wie können wir etwa Leute gewinnen, die nicht in Zürich vor Ort sind? Wie viel Homeoffice können und wollen wir anbieten? Das sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen.
Leben Sie denn als Chefin das Homeoffice vor?
Ich mag den Begriff eigentlich nicht besonders. Ich spreche lieber von flexiblem Arbeiten. Ich bin zwar nach Möglichkeit jeden Tag im Office, aber ich wehre mich gegen fixe Arbeitszeiten. Es ist also gut möglich, dass ich um 3 Uhr nachmittags das Büro verlasse…
…Sie gehen gerne früh in den Nachmittag?
Ich gehe gerne früher nach Hause, um dort weiter zu arbeiten. Ich finde, wir sind trotz den Erfahrungen der Corona-Krise noch sehr festgefahren in alten Gewohnheiten. Wenn ich einmal den Zug um 5 Uhr nachmittags nehme, dann ist der weiterhin randvoll. Ich finde es schade, wenn die neu gewonnene Flexibilität nicht genutzt wird.
Werfen wir einen Blick auf das operative Geschäft: 2021 war für Aquila ein Rekordjahr mit 19 Milliarden Franken verwalteten Vermögen, einem Plus von knapp 6 Milliarden Franken. 2022 erwies sich dann für die Branche als wesentlich schwieriger.
Wir haben sechs neue Partnergesellschaften hinzugewonnen. Die Anzahl Mitglieder beträgt nun 86. Damit konnten wir kompensieren, dass sich die Märkte negativ auf das Volumen ausgewirkt haben. Wir haben die 20-Milliarden-Franken-Grenze überschritten. Aber sie haben recht, es war ein herausforderndes Jahr.
Ende Jahr ist auch Stichtag für die unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz. Wer dann nicht zumindest das Gesuch um eine Lizenz bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma eingereicht hat, muss den Betrieb einstellen. Hat sich das bei Aquila in zusätzlichen Anfragen niedergeschlagen?
Viele unabhängige Vermögensverwalter wollen es zumindest einmal auf eigene Faust versuchen und haben das Lizenzverfahren selbst in Angriff genommen, anstatt sich einem grösseren lizensierten Akteur wie uns anzuschliessen.
«Gerade kleinere Anbieter werden dabei wohl an ihre Grenzen stossen»
Ich könnte mir vorstellen, dass die meisten zusätzlichen Anfragen etwas verzögert kommen werden. Denn ich sehe die Schwierigkeit weniger im Erhalt der Lizenz, sondern vor allem darin, die Lizenz dann auch zu behalten und stets alle regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.
Wie meinen Sie das?
Wir leben schon länger mit der neuen Finma-Lizenz. Jeder Schritt, den man als Unternehmen macht, muss der Aufsicht gemeldet werden. Dies ist mit einem enormen administrativen Aufwand verbunden. Gerade kleinere Anbieter werden dabei wohl an ihre Grenzen stossen.
Wird es also eine zweite Konsolidierungswelle geben?
Ich denke schon. Für viele unabhängige Vermögensverwalter stellt der Übertritt von der Selbstregulierung-Welt in die Finma-Welt eine grosse Umstellung dar. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird man hier klarer sehen. Wir beobachten den Markt und halten nach Opportunitäten Ausschau. Für uns ist aber momentan die Nachfolge-Thematik von grösserer Dringlichkeit.
Wieso?
Bei unseren Partnergesellschaften gehen wir davon aus, dass gut die Hälfte der Vermögensverwalter in den nächsten zehn Jahren das Pensionsalter erreicht. Das ist der Grund, weshalb wir das Thema Nachfolge im Jahr 2023 mit allen unseren Partnern genau anschauen möchten. Wir tun dies jetzt schon, da wir wissen, dass eine erfolgreiche Ablösung im Schnitt fünf Jahre in Anspruch nimmt. Wenn jemand mit 67 Jahren findet, in zwei Jahren sei er reif für die Rente – das funktioniert so nicht.
Welche Nachfolgelösungen machen denn Sinn?
Meiner Meinung nach kommt es einem Verrat am Kunden gleich, sich wieder von einer Depotbank anstellen zu lassen oder die Klientel an diese zu verweisen. Das ist nicht Sinn und Zweck der unabhängigen Vermögensverwaltung. Wenn man sich einmal für die Unabhängigkeit entschieden hat, möchte man vermutlich bis zum Ende dabeibleiben.
«Im Optimalfall integriert man eine Person zwischen 40 und 50 Jahren»
Die Nachfolge ist allerdings komplex, denn man kann nicht einfach einen Kunden von X zu Y transferieren. Die Beziehungen zwischen einem unabhängigen Vermögensverwalter und seinen Klienten sind oft langjährig, vertrauensvoll bis hin zu freundschaftlich.
Was schlagen Sie denn den Partnerfirmen vor?
Wir versuchen, mit den Gesellschaften zusammen die beste Lösung zu finden. Im Optimalfall integriert man eine Person zwischen 40 und 50 Jahren, die den eigenen Kundenstamm mitbringt und interessiert daran ist, später die Nachfolge anzutreten. Einen geeigneten Nachfolger zu finden, präsentiert sich aber oft als sehr schwierig, weil potenzielle Kandidaten in diesem Alter oftmals mit Familie und Haus noch andere Verpflichtungen stemmen.
Eine weitere Option sind Fusionen zwischen Partnerfirmen, einen Prozess, den wir ebenfalls schon begleitet haben. In Ausnahmefällen haben Partnergesellschaften ihre Kunden sogar an uns übergeben.
Das heisst, die Vermögen fallen dann an Aquila?
In diesen Einzelfällen schon. Dies soll aber die Ausnahme bleiben. In einigen Fällen sind wir jedoch für das Portfolio-Management unserer Partnergesellschaften verantwortlich. Da sind wir bereits in die Prozesse integriert. Falls kein Nachfolger gefunden wird, könnten wir hier auch als Berater für die Kunden da sein. Ziel Nummer eins ist es aber wie gesagt, eine unabhängige Vermögensverwaltungs-Gesellschaft selbständig am Leben zu erhalten.
Sie haben erwähnt, dass 40-Jährige oftmals andere Prioritäten haben. Stirbt die unabhängige Vermögensverwaltung aus?
Es ist zweifellos schwierig, junge Nachfolger zu finden. Wir erhalten glücklicherweise weiterhin Anfragen von Personen, die sich als Vermögensverwalter selbstständig machen möchten. Es braucht für diesen Schritt ein unternehmerisches Gen. Wir können unseren Partnern zwar vieles abnehmen, sie bleiben jedoch unternehmerisch unabhängig und handeln selbständig.
Und eben dieser finale Schritt in die Selbständigkeit scheint vielen jüngeren Personen schwer zu fallen?
Wir stellen wir fest: Wer diesen Schritt einmal unternimmt, hat sehr gute Aussichten auf Erfolg.
Das lehrt die Erfahrung?
Es gibt Einzelfälle, bei denen das Geschäftsmodell nicht funktioniert. Doch wir bereiten die Unabhängigkeit und die Businesspläne mit den Interessenten akribisch vor.
«Wer bereits viele Assets deponiert hat, wird vielleicht von den Banken noch etwas länger toleriert»
Wenn wir Zweifel haben, dass ein Modell funktionieren wird, dann raten wir von einem Franchise-Vertrag mit uns ab. Was schliesslich am Tag X geschieht, wenn ein Banker sich selbständig macht, kann man jedoch nie zu 100 Prozent voraussehen.
Apropos Banken: Welche Rolle werden die Depotbanken bei der Konsolidierung unter Vermögensverwaltern spielen? Es heisst, dass die Institute zu den Vollstreckern der Finma werden – wer keine Lizenz hat, wird nicht mehr bedient.
Die Depotbanken werden bei dieser Thematik eine wichtige Rolle spielen. Es wird dabei vermutlich ein Schwarz-Weiss-Schema und eines mit Grautönen geben. Schwarz-Weiss heisst: Wer im Januar noch nicht einmal ein Lizenzgesuch eingereicht hat, wird von den Banken abgehängt werden. Der Graubereich ist weit grösser, und hier zeichnet sich eine Zweiklassengesellschaft ab.
Das heisst?
Wer bereits viele Assets deponiert hat, wird vielleicht von den Banken noch etwas länger toleriert, auch wenn er noch auf die Lizenz wartet. Wer zu unbedeutend ist, dem droht mittelfristig die Kündigung – obschon es keine klare Frist gibt, wie lange sich die Lizenzierung hinziehen darf. Umgekehrt ist die Pipeline bei der Finma voll. Die Lizenzen werden wohl über längere Zeit nur tröpfchenweise erteilt werden.
Vivien Jain hat im März 2021 als CEO die Führung der Schweizer Vermögensverwaltung-Gruppe Aquila übernommen. Die 37-jährige Juristin arbeitet seit 2014 für das Unternehmen, wo sie sukzessive mehr Verantwortung in den Bereichen Legal, Compliance und Risk übernahm und 2016 in die Geschäftsleitung aufstieg. Zu den Karrierestationen der kanadisch-schweizerischen Doppelbürgerin mit indischen Wurzeln zählt auch die Beratungsfirma PwC. Laut eigenen Angaben verwaltet die Aquila Gruppe mit aktuell 86 Partnerfirmen mehr als 20 Milliarden Franken an Kundenvermögen.