Der 5-Milliarden-Verlust der Credit Suisse mit der New Yorker Finanzfirma Archegos Capital hat sich abgezeichnet. Aber weder die involvierten Investmentbanker noch das Management hatten den Durchblick, besagen neue Enthüllungen.
Das «Wall Street Journal» (Artikel bezahlpflichtig) hat in der Nacht auf Dienstag eine vertiefte Recherche zum desaströsen Verlust der Credit Suisse (CS) im Prime Brokerage mit dem privaten Hedgefonds Archegos Capital des Financiers Bill Hwang veröffentlicht.
Der Bericht ist interessant, denn er offenbart einerseits, wie katastrophal langsam die Mühlen innerhalb einer Grossbank wie der CS mahlen, um Prozesse zu verändern und zu verbessern. Und er zeigt auch auf, wie schlecht in der CS über die verschiedenen Hierarchiestufen kommuniziert wird: Elementare Informationen, so legt das «Journal» nage, gelangen schlicht nicht zu Entscheidungsträgern.
In Unkenntnis der Risiken
Der Artikel beschreibt, dass veraltete Risikosysteme dazu führten, dass eine ganzheitliche Beurteilung von Handelspositionen eines Kunden wie Archegos nicht möglich war. Zweitens stützte sich die CS auf ein System zur Berechnung der Margen, das die Nachschusspflicht auf Krediten anzeigen müsste, das nicht in Echtzeit funktionierte.
Die CS-Investmentbanker wussten in Bezug auf Archegos demnach nie genau, welche Risiken die für den Kunden gehaltenen Positionen mit sich bringen würden, wenn die Aktienpreise stark schwanken würden.
Geld zurückbezahlt, anstatt mehr gefordert
Fatal war im vergangenen März, als sich die Katastrophe anbahnte, dass die CS Archegos gar noch Bargeld zurückzahlte, das als Deckung gedient hatte. Die Bank tat dies auf Bitte von Archegos, nachdem die gehaltenen Aktien in den Wochen zuvor stark an Wert zugelegt hatten. Die Folge war, dass die Archegos-Positionen, die bereits zu einem hochriskanten Verhältnis von 10:1 gehebelt waren, noch schwächer abgesichert waren.
Als am 22. März die Viacom-Aktien rasch an Wert verloren, setzte die fatale Abwärtsspirale ein, die zum Verlust von über 5 Milliarden Franken führte. Das «Wall Street Journal» schreibt, andere Banken mit Archegos als Kunde hätten genau das Gegenteil getan: nämlich eine höhere Deckung verlangt.
Schon im Jahr zuvor ein 200-Millionen-Verlust
Archegos war, wie sich weiter zeigt, eine Katastrophe mit Ankündigung. Denn die CS hatte in der Sparte Prime Brokerage bereits im Jahr zuvor einen hohen Verlust von 200 Millionen Dollar eingefahren, nachdem ein Hedgefonds namens Malachite Capital implodiert war. Im Jahr 2018 hatte die CS einen Verlust von 60 Millionen Dollar mit Aktien des Kleiderherstellers Canada Goose erlitten.
Massnahmen waren nach einer Überprüfung der Risikosysteme zwar bestimmt, aber nicht umgesetzt worden. Die Höhe des Verlustes mit Malachite Capital habe gewisse CS-Manager schockiert.
Tod des obersten Risikomanagers
Der Artikel des «Journal» stützt auf CS-Insider, die darauf hinwiesen, Personalwechsel im Prime Brokerage hätten ebenfalls dazu beigetragen, dass ein Risikobewusstsein abhanden gekommen sei. Warnsignale seien schlicht nicht die Hierarchiestufen hoch gemeldet worden. Unter Ex-CEO Tidjane Thiam, der die Investmentbank verkleinert hatte, sei viel erfahrenes Personal verloren gegangen. Zudem kam der oberste Risikomanager im Prime Brokerage, Jason Varnish, im Februar 2020 bei einem Skiunfall ums Leben.
Sein Nachfolger, der inzwischen entlassene Parshuh Shah, war kein Risikomanager, sondern ein Verkäufer, der unter anderem Archegos zu seinen Kunden zählte. Shah habe im Herbst 2020 zwar intern vor den massiv gestiegenen Risiken mit Archegos gewarnt, doch es sei nichts geschehen. Shah habe Vorgesetzte nicht in Kenntnis gesetzt.
CEO: Von Archegos noch nie gehört
CS-CEO Thomas Gottstein und die vormalige Risikochefin Lara Warner wurden erst kurz bevor die Archegos-Katastrophe ihren Lauf nahm über den Kunden und die Risikopositionen in der Höhe rund 20 Milliarden Dollar orientiert. Sie hätten vorher noch nie von einem Kunden namens Archegos Capital gehört.
Die CS kommentierte zum Bericht, der Verwaltungsrat untersuche die Vorkommnisse genau, und Konsequenzen würden gezogen und mitgeteilt.